Presseschau: "Das Kartenhaus droht einzustürzen"
20. Juli 2006Israelische Pressestimmen:
Die englische Online-Ausgabe der Zeitung "Yedioth Ahronoth" kritisiert die amerikanische Haltung im Nahost-Konflikt:
"Als israelische Soldaten wieder im Gazastreifen einmarschiert sind, Bomben auf Libanon abgeworfen wurden und die israelische Bevölkerung in Bunkern Schutz vor den Raketen der Hisbollah gesucht hat, hat die Welt sich verzweifelt gefragt, ob Frieden zwischen Israel und seinen Nachbarn jemals möglich sein wird. Das ist es - aber nur, wenn Amerika seinen Kurs ändert. (...) Haben etwa die USA gefordert, die palästinensische Führung zu zerstören? Nein. Bill Clinton lud Arafat zum Abendessen ins Weiße Haus ein und George W. Bush erklärte, Friede bedeute, Israel müsse den Forderungen Palästinas nach einem eigenen Staat nachgeben. Schlimmer noch, als Teil der "Zwei-Staaten-Lösung" verlangte Bush, dass Israel sich bis zu den Grenzen von 1967 zurückziehen müsse. (…) Wenn aber Israel auch nur einen Teil von der West Bank, dem Gazastreifen oder den Golanhöhen zurückgäbe - wie Israel es unter dem Druck der internationalen Gemeinschaft getan hat - gibt das den Arabern zu verstehen, dass sie ungestraft Krieg gegen Israel führen können."
Arabische Pressestimmen:
Die führende englischsprachige Zeitung im Mittleren Osten "Arab News" schreibt:
"Vielleicht führt der Angriff der Israelis auf den Libanon zu einem dringend notwendigen Weckruf an die Vereinigten Staaten. Vielleicht versteht die Bush-Regierung endlich, dass die kostspieligen Bemühungen, Frieden in den Irak zu bringen und die Arabische Welt zu demokratisieren, sehr stark von der Lösung des Israel-Palästina-Konflikts abhängt. Und vielleicht begreifen auch die Kongressabgeordneten, dass die vorbehaltslose Unterstützung für Israel zusammen mit den herablassenden Diskussionen über ihre arabischen Verbündeten die Spannungen nur noch weiter verschärfen. Aber traurigerweise ist es unwahrscheinlich, dass der Bush-Regierung oder den Kongressabgeordneten ein Licht aufgeht und sie - angesichts der zunehmenden Gefahr für die Region als auch für die USA selbst - begreifen, dass die Beibehaltung des Status quo weder Friede, Demokratie, Reformen, noch einigermaßen Stabilität bringt, die die arabisch-israelischen Beziehungen seit dem Ende des Libanesischen Bürgerkriegs in 1990 charakterisiert hat. Das Kartenhaus droht einzustürzen."
Die libanesische Zeitung "Al-Safsir" hinterfragt die Strategie der Führung Hisbollahs:
"Sicherlich kann man der Führung der Hisbollah vorwerfen, sie habe die jetzige kriegerische Eskalation im Nahen Osten provoziert. Wichtiger als diese Tatsache dürfte allerdings die Frage nach deren politischer Strategie sein. Denn auch, wenn wir den Hisbollah-Chef Nasrallah nicht als reinen Befehlsempfänger Teherans sehen möchten, müssen wir als rationale Beobachter nach seiner Verantwortung für die Tasache fragen, dass nun das gesamte libanesische Volk als Geisel für sein Vorgehen genommen wird."
Die in Abu Dhabi erscheinende Tageszeitung "alittihad" fordert die "Libanonisierung" der politischen Agenda der Hisbollah:
"Gewiss spielt sowohl der regionale als auch der internationale Kontext eine wichtige Rolle bei den politischen Entscheidungen der Hisbollah-Führung; aber diese Führung hätte auch wissen müssen, dass es im politischen Geschäft keinen dauerhaften Verlass auf Unterstützung externer Mächte - sowohl in Damaskus als auch in Teheran - geben kann. Denn diese haben eigene nationale Prioritäten. Die Raketen Hisbollahs auf Israel wirken auf die israelische Bevölkerung zweifelsohne bildhaft und demoralisierend; allerdings spielen sie keine entscheidende Rolle im Kräftespiel nahöstlicher Staaten. Deshalb sollte Hisbollah seine Agenda in den Dienst libanesischer Interessen stellen, zumal das libanesische Volk einen unermesslich hohen Preis für die Folgen ihrer Strategie zahlt."
Die offizielle saudiarabische Zeitung "Okaz" erläutert den Realitätssinn der saudiarabischen Haltung zur eskalierenden Lage in Nahost:
"Die katastrophale Lage im Nahen Osten ist keinesfalls im Interesse der arabischen Nation; sie ist die unmittelbare Konsequenz übereilter, unüberlegter und letztendlich verantwortungsloser Entscheidungen arabischer Akteure. In dieser Situation reicht es nicht, die israelische Aggression gegen den Libanon zu verurteilen; vielmehr sollten wir mehr Realitätssinn entwickeln und zuerst ein neues Kapitel unserer innerarabischen Zusammenarbeit aufschlagen. Das geht nur mit Verhandlungen und Prinzipien – und die Einhaltung von UNO-Resolutionen – in Israel und in Iran."
Europäische Pressestimmen:
Zur Lage in Nahost schreibt die römische Zeitung "La Repubblica":
"Herzlich willkommen in der neuen, vielschichtigen Welt-Unordnung. Der Staat Israel ist im Krieg mit der Hisbollah, die gleichzeitig eine innenpolitische Bewegung im Libanon und eine terroristische Organisation außerhalb der Grenzen des Landes ist. Der libanesische Staat kontrolliert nicht einmal sein eigenes Territorium. Der Iran hat großen Einfluss, kontrolliert aber nicht Hisbollah. (...) Russland ist von allen G8-Mächten wohl diejenige, die die engsten Kontakte mit Syrien (dem Waffen geliefert werden) und dem Iran hat. Auch China ist beteiligt, wie auch die wichtigsten europäischen Mächte, die wieder einmal unfähig sind, gemeinsam als Europäische Union zu handeln. Die Vereinigten Staaten verfügen über die mächtigste militärische Gewalt, die man je auf der Welt gesehen hat, und wie nutzen sie diese? Um ihre Bürger aus dem Libanon herauszubringen. Wenn US-Außenministerin Condoleezza Rice es schaffen sollte, einen Waffenstillstand auszuhandeln, dann nur mittels einer komplexen, diplomatischen, multilateralen Aktion. Also herzlich willkommen in der neuen, vielschichtige Unordnung - und 'auf Wiedersehen' für die bisher offenbar unstrittige, einsichtige amerikanische Übermacht."
Die russische Tageszeitung "Kommersant" (Moskau) ist der Überzeugung, dass im Konflikt mit dem Libanon die Zeit gegen Israel läuft:
"Wenn es Israel nicht gelingen sollte, die Aufgabe in möglichst kurzer Zeit zu lösen, wird man das Vorgehen gegen den Libanon in einem ganz anderen Licht sehen. Die Tatsache, dass die Hisbollah den Israelis in den Rücken gefallen ist und dadurch den Konflikt provoziert hat, dürfte dann in den Hintergrund treten. Stattdessen wird man das Vorgehen Israels nicht mehr als Akt der Selbstverteidigung wahrnehmen, sondern als 'Eroberungskrieg', mit dem der jüdische Staat unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung seinen Machtbereich ausweiten will. (...) Israel reicht es deshalb nicht nur zu siegen. Es muss ein schneller Sieg sein."
Die linksliberale französische Tageszeitung "Libération" meint zum militärischen Vorgehen Israels im Libanon:
"Angesichts der zahlreichen zivilen Opfer sprechen das Rote Kreuz und die Vereinten Nationen von Verletzung des internationalen Rechts und sogar von möglichen Kriegsverbrechen, und zwar von der einen wie von der anderen Seite begangen. Selbst die USA, die Israels Offensive unterstützen, fangen an, Ungeduld ihrem Verbündeten gegenüber an den Tag zu legen. Das könnte einen Waffenstillstand beschleunigen, von dem auch der israelische Generalstab weiß, dass er unausweichlich ist, auch wenn die Generäle ihn so weit wie möglich hinausschieben möchten. Im Gegensatz zu dem, was er sagt, hat der israelische Regierungschef Ehud Olmert also nicht beliebig Zeit im Libanon."
Amerikanische Stimmen:
Die "Los Angeles" Times fordert von Isreal ein härteres Vorgehen:
"Israel spielt eine wichtige Rolle in dem von den USA geführten Krieg gegen den Terror; es kann sich und seinem Verbündeten am besten helfen, indem es sich nicht auf Vereinbarungen mit seinen störrischen Feinden einlässt, sondern indem es ihnen deutlich macht, dass es Israel immer geben und es nie verschwinden wird. Um das Ziel zu erreichen, muss jedem klar gemacht werden, dass dies kein schnell vorübergehender Konflikt ist, und das geht am besten, indem nachhaltig und systematisch dafür gesorgt wird, die Mentalitäten in der Region zu ändern. Deshalb sollten US-Politiker Olmert deutlich machen, dass die aktuellen Kämpfe nicht eine momentane Ausnahme von der Diplomatie sind, sondern Teil eines langfristigen Konfliktes."