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Blairs Abgang

11. Mai 2007

Wird Tony Blair wegen des Umbaus der britischen Gesellschaft, wegen seines Engagements für Afrika oder durch seine Verwicklung in den Irak-Krieg in die Geschichte eingehen? Die Kommentatoren sind sich unschlüssig.

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Bild: DW

Großbritanniens Beteiligung am Irak-Krieg sei Tony Blairs folgenschwerster Fehler gewesen, schreibt die liberale britische Zeitung "The Independent" am Freitag:

"Tony Blair lässt Großbritannien als ein verändertes Land zurück. Es ist toleranter, sozialer und ethnisch stärker durchmischt, und es ist in jeder Beziehung offener als es vor zehn Jahren war. Es ist auch ungleicher geworden und, leider, sozial weniger mobil als es war. Ob Blair für all das verantwortlich ist oder ob es lediglich die sich verändernden Zeiten reflektiert, kann debattiert werden. Was jedoch völlig außer Frage steht, ist seine Schuld am größten außenpolitischen Fehler der Nachkriegszeit. Die Folgewirkungen werden noch viele Jahre zu spüren sein. Das ist die tragische Grabinschrift für Tony Blairs Dekade als Premierminister."

Für die "Basler Zeitung" ist die Beziehung Blairs zu Bush ein Rätsel:

"Dass Blair sein Land und seine Partei erfolgreich ins 21. Jahrhundert geführt hat, ist eben nur eine Seite der Medaille. Sein Sendungsbewusstsein und sein Glaube, im Irak und im Kampf gegen den Terrorismus das Richtige zu tun, haben sein Ansehen beschädigt, viele seiner unbestrittenen Leistungen aus dem Bewusstsein verdrängt. Blairs Freundschaft mit dem früheren US-Präsidenten Bill Clinton hatte Strahlkraft und war nahe liegend; die Beziehung des rhetorisch brillanten, belesenen Briten zu George W. Bush ist ein Rätsel. Blair konnte seinen Rücktritt weitgehend noch selbst inszenieren. Aber es blieb ihm nichts mehr anderes übrig."

Die römische Zeitung "La Repubblica" zieht Vergleiche zu Bill Clinton:

"An dem Ort, an dem sein Abenteuer begann, leitet Tony Blair den Anfang vom Ende ein. Im Durham Trimdon Labour Club hatten sich zahlreiche Anhänger versammelt, die ihm begeistert applaudierten und Schilder mit der Aufschrift 'Thank you' in den Händen hielten. Dann erklärte der Mann, der seit zehn Jahren das Gesicht Großbritanniens ist, seinen sofortigen Rücktritt als Labour-Chef und seinen Rücktritt vom Amt des Premierministers am 27. Juni. Ihm bleiben noch sieben Wochen, um zu regieren, in Erwartung, dass sein designierter Nachfolger Gordon Brown seinen Platz einnimmt. Aber die Rede, die eine Epoche abschließt, sein Abschied von den Anhängern und vom Land - dies alles hat sich hier und jetzt abgespielt. Nach einem unvergesslichen Jahrzehnt beginnt der Vorhang für Tony Blair zu fallen. Nach Bill Clinton geht ein weiterer Matador der Weltpolitik in Pension. Und nicht nur er hat einen Kloß im Hals. "

Blair hat Großbritannien von der EU entfernt, meint die "Financial Times":

"Blairs immer noch verwirrende Entscheidung, das Vereinigte Königreich der inkompetentesten US-Regierung zu unterstellen, hat Großbritannien von der Europäischen Union entfernt. Dieser vorgeblich pro-europäische Führer hat damit die Chance vertan, Großbritanniens Einfluss in Europa und darüber hinaus zu verstärken. Der Irak-Krieg hat zudem der Doktrin des liberalen Interventionismus schwer geschadet, die Blair 1999 so wortgewandt in seiner Rede in Chicago dargelegt und dann ehrenvoll in Sierra Leone, Kosovo und Afghanistan angewandt hatte."

Die linksliberale französische Tageszeitung "Libération" zieht nach dem angekündigten Rücktritt des britischen Premiers Blair eine eher positive Bilanz:

"Sicher, Tony Blair hinterlässt eine Bilanz der Kontraste, alles in allem sieht sie aber weit besser aus als das, was in Frankreich geleistet worden ist. Es gibt mehr Milliardäre in Großbritannien als früher, aber auch deutlich weniger Arme. Viele brauchen Unterstützung und sind dabei vom aktiven Arbeitsleben ausgeschlossen. Auf dem gut funktionierenden Arbeitsmarkt findet man jedoch leicht Arbeit. Die soziale Schere hat sich weiter geöffnet. Doch hat noch nie eine britische Regierung so viel in den öffentlichen Sektor investiert, vor allem in die Erziehung. Kurzum, Tony Blair, der Liberale, hat die (Markt-)Wirtschaft fortentwickelt und gleichzeitig die Instrumente der Solidarität verstärkt. Man kann dieses spezielle Experiment nicht einfach so kopieren. Man kann aber zumindest darüber nachdenken. "

Blair hat innerhalb der europäischen Linken eine Erfolgsgeschichte eigener Art geschrieben, stellt die links-liberale Budapester Tageszeitung "Nepszabadsag " fest:

"Seinem Beispiel folgend erscheinen auf der politischen Bühne die Blair-Klons, die der Reihe nach eine Rolle für die Sozialdemokratie im 21. Jahrhundert suchen. Leicht haben sie es nicht. Sie wollen auf eine Weise links sein, wie es der jetzt abtretende Politiker war: mit einer liberalen Wirtschaftspolitik und ideologiefrei. Eine gewisse soziale Anschauungsweise und einige kulturelle Duftmarken behalten sie bei. Noch ist dies auf dem europäischen politischen Markt eine gefragte Ware. Die wirksamsten Elemente aus Blairs Erbe sind das politische Marketing, der Starkult, die streng befolgte Ideologielosigkeit, das strikte Verbot jeglichen gesellschaftlichen Zukunftsbildes."

Die niederländische Zeitung "de Volkskrant" verabschiedet einen Politiker "mit Format":

"Tony Blair pflegt die Welt in Optimisten und Zyniker aufzuteilen. Es ist keine Frage, welcher Kategorie er sich selbst zurechnet. Seinem Optimismus wurde manchmal geholfen durch ein unangenehmes Maß an Medienmanipulation - das ist eine Form der Modernisierung, bei der seine Regierung deutlich übers Ziel hinausgeschossen ist. Das ändert nichts daran, dass es ihm gelungen ist, aus Großbritannien ein Land zu machen, dass mit Vertrauen in die Zukunft blickt. Ob diese eine Seite seiner Führungszeit, zu der auch sein Engagement für Afrika und die Klimapolitik gehört, die Ausstrahlungen des Krieges im Irak einmal aufwiegt, wird sich zeigen. Aber mit seinem Abtreten wird die Welt ohne Zweifel um einen Regierungschef von Format ärmer." (sams)