Pressestimmen von Freitag, 30. März 2007
29. März 2007Bundesaußenminister Steinmeier und Ex-Innenressortchef Schily haben vor dem BND-Untersuchungsausschuss einmal mehr das Verhalten der rot-grünen Regierung im Fall Kurnaz verteidigt. Das ist ein wesentliches Kommentarthema der deutschen Tageszeitungen. Zahlreiche Blätter befassen sich aber auch mit der Bundestagsdebatte zu Patientenverfügungen. Speziell zu Schilys Auftritt vor dem BND-Ausschuss heißt es in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG:
"Vor dem BND-Untersuchungsausschuss des Bundestags war Otto Schily, der unvergessene Innenminister, noch einmal in Hochform. Während der Ausschuss selbst immer tiefer in die Akten vordringt und sich zuweilen in den Verästelungen weit zurückliegender Vorgänge verirrt, schlug Schily eine Schneise ins Dickicht, indem er pauschal verteidigte, was damals, im Jahr 2002, zur Abwehr terroristischer Gefahren unternommen wurde, und speziell die Verantwortung für die politische Bewertung des Falles Kurnaz auf seine 'Kappe' nahm. Freilich konnte er sich nicht daran erinnern, selbst jemals mit dem erst später prominent gewordenen Guantánamo-Häftling befasst gewesen zu sein, womit er alle Nachfragen ins Leere laufen ließ; die Verantwortung sowieso."
Die PFORZHEIMER ZEITUNG schreibt:
"Das Fazit der ehemaligen rot-grünen Bundesregierung, das aus beiden Vernehmungen hervorgeht, lautet nach wie vor: Wir haben alles richtig gemacht. Was soll man dazu sagen? Vielleicht, dass ein wenig ehrlich gemeinte Selbstkritik in Anbetracht des tatsächlichen Schicksals von Murat Kurnaz angebracht gewesen wäre. Jenseits aller politischen Räson. Zumal sich die Frage stellt, was der nachweislich unschuldige Bremer Türke nun eigentlich mit den Aussagen anfangen soll. Seinen Frieden kann er so mit dem deutschen Staat und der Art und Weise, wie der mit ihm umsprang, gewiss nicht machen."
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU stellt fest:
"Schuldig oder nicht, gefährlich oder nicht, diese Fragen hätte der Rechtsstaat klären können und müssen, sobald er Kurnaz in den Händen gehabt hätte. Nach der Freilassung oder Überstellung aus Guantánamo. Deswegen hat das Handeln der Bundesregierung im Fall Kurnaz gerade und vor allem mit Moral zu tun. Die oberste Maxime der Regierung hätte lauten müssen, Rechtstaatlichkeit herzustellen. Die Einreisesperre gegen den Türken ist aus damaliger Sicht allenfalls verständlich, aus heutiger Sicht aber in jedem Fall falsch gewesen. Einiges spricht dafür, dass Kurnaz ohnehin nicht freigelassen worden wäre. Und dennoch hat die Regierung falsch entschieden."
Abschließend ein Auszug aus dem Meinungsbeitrag der WELT:
"Hätte sich Berlin nicht doch dringlicher für den in Bremen aufgewachsenen jungen Mann einsetzen müssen, der sich vorübergehend auf Irrwege begeben haben mag? Steinmeier antwortet, er habe in der Abwägung der Sicherheit den Vorrang gegeben. In dubio contra reum. Nach '9/11', London und Madrid lässt sich diese Priorität schwer kritisieren. Aber es bleibt die Erkenntnis, dass rot-grüne Politiker gern gegen den Anti-Terror-Kampf der USA polemisierten – und ihn im konkreten Fall dann doch akzeptierten."
Der Bundestag hat erstmals über eine mögliche gesetzliche Regelung zu Patientenverfügungen debattiert. Die RECKLINGHÄUSER ZEITUNG aus Marl konstatiert:
"Die moderne Medizin, die Apparatemedizin vor allem, hat erst die Diskussion um die Patientenverfügung notwendig gemacht. Ohne Apparate, ohne künstliche Ernährung durch Magensonden und andere Hilfsmittel wäre der Tod nicht künstlich aufzuhalten. So aber ist der Tod keine einfache Sache. Und mehr noch als vor dem Tod haben viele Menschen Angst vor einem würdelosen Sterben. Die Angst muss man ihnen nehmen."
Die in Erfurt erscheinende THÜRINGER ALLGEMEINE rät zu Zurückhaltung und Umsicht bei gesetzlichen Regelungen und begründet dies wie folgt:
"Es gibt Bereiche, aus denen sollte sich der Staat zurückhalten. Die Entscheidung über das eigene Leben gehört dazu. Kein Patient kann per Gesetz zum Weiterleben verpflichtet werden. Jede Regelung, die eine Verfügung in ihrem Geltungskreis einschränkt, läuft aber auf einen solchen Zwang hinaus. Selbst eine uneingeschränkte Geltung bietet nicht die Gewähr dafür, dass die schriftlich festgehaltene Willensäußerung jede nur denkbare Situation erfasst. Am Ende bleibt es immer eine Frage der Auslegung."
Der GENERAL-ANZEIGER aus Bonn ist der Ansicht:
"Natürlich muss unter allen Umständen das Recht auf Leben gelten. Aber es darf keine Pflicht zu Leben geben. Den Menschen die Fähigkeit abzusprechen, gerade in dieser persönlichsten Entscheidung selbst zu urteilen, ist unmenschlich. Denn eine Patientenverfügung ist nicht mal eben dahin geschrieben. Der Weg dorthin ist nicht leicht. Viele Fragen gilt es zu klären, bei denen ärztlicher Rat hilfreich ist und Pflicht sein sollte. Ein Patiententestament zu formulieren bedeutet, sich intensiv mit Krankheit und Tod auseinander zu setzen. Es bedeutet, sich zu überlegen, was man vom Leben im schlimmsten Fall erwartet. Welchen Preis man bereit ist zu zahlen, um dieses zu erhalten. Die KÖLNISCHE RUNDSCHAU wendet allerdings ein:
"Hier sind auch Illusionen im Spiel. Eindeutig wird eine Verfügung nie sein. Stets ist zu prüfen, ob der Wille der gegebenen Situation entspricht; ob er in Kenntnis des aktuellen medizinischen Standes niedergelegt wurde. Er muss also immer interpretiert werden. Es ist nicht alles geregelt mit der Verfügung, weil nicht alles regelbar ist."
Der WESTFÄLISCHE ANZEIGER - er erscheint in Hamm - resümiert:
"Kein Gesetz dieser Welt wird je die letzten Zweifel darüber ausräumen, ob der Erhalt oder der Abbruch medizinischer Maßnahmen ein Akt der Gewalt oder doch eher eine letzte Gnade ist. Die Entscheidung darüber liegt im Regelfall in der Hand eines Arztes. Und der ist, allen Handreichungen zum Trotz, damit letztlich sehr allein."