Protest der "Mütter von Tiananmen"
4. Juni 2013"Die Hoffnung stirbt, die Verzweiflung rückt näher": Unter dieser Überschrift haben die sogenannten Tiananmen-Mütter die neue chinesische Führung unter Staats- und Parteichef Xi Jinping scharf kritisiert. In einem offenen Brief fordern Angehörige von Opfern des Massakers auf dem Platz des himmlischen Friedens Aufklärung und Aufarbeitung der von Chinas Führung totgeschwiegenen Ereignisse.
Im Frühjahr 1989 gingen Zehntausende junge Menschen, vor allem Studenten, auf die Straße und forderten politische Reformen. Am 4. Juni schlug die chinesische Führung die Proteste brutal nieder, sie ließ Panzer auffahren, Soldaten schossen mit scharfer Munition in die Menge der Demonstranten. Nach Berichten unabhängiger Menschenrechtsorganisation starben mindestens 2400 Menschen. Die chinesische Regierung spricht von 241 Toten. In China ist bis heute vom "Zwischenfall vom 4. Juni" die Rede.
Die chinesische Führung habe "bereits eine klare Schlussfolgerung aus den politischen Unruhen der späten 80er Jahre gezogen", sagte Außenamtssprecher Hong Lei als Reaktion auf amerikanische Forderungen nach Aufarbeitung der Ereignisse. Gedenkveranstaltungen zum Tiananmen-Jahrestag sind allerdings weiterhin verboten und entsprechende Suchwörter im Internet werden zensiert.
Abrechnung mit der chinesischen Führung
Seit 1995 hat sich die Angehörigen-Organisation der "Tiananmen-Mütter" 36 Mal in Petitionen und offenen Briefen an die chinesische Staats- und Parteiführung sowie an den Volkskongress mit der Bitte um Aufklärung und Entschädigung gewandt. Eine Antwort blieb jedoch bis jetzt aus.
In dem jüngsten offenen Brief, den die Menschenrechtsorganisation "Human Rights in China" mit Sitz in New York Ende Mai veröffentlichte, gehen die Eltern mit der neuen chinesischen Führung ins Gericht. "Chinas Spitzenpolitiker waren nie Reformer", heißt es, "weder Jiang Zemin, noch Hu Jintao, noch Xi Jinping, der jüngst der mächtigste Mann in China geworden ist". Xi habe weder die Fehlentwicklungen der Mao-Ära kritisiert noch die negativen Aspekte der von Deng Xiaoping eingeleiteten Wirtschaftsreformen in den letzten 30 Jahren in Frage gestellt.
Xi Jinping hatte Anfang des Jahres vor Mitgliedern des KP-Zentralkomitees die Parteilinie ausgegeben, dass man die Phasen der jüngsten chinesischen Geschichte nicht gegeneinander ausspielen dürfe.
Ausreise nach Hongkong verboten
123 Mütter haben den offenen Brief unterschrieben. Weitere 33 inzwischen verstorbene Angehörige hatten bei früheren Aktionen dieselben Forderungen gestellt. Die Polizei beobachtet die renitenten Senioren genau. So konnte zum Beispiel das Ehepaar Wang Fandi und Zhang Xianling, deren 19-jähriger Sohn 1989 nach den Aussagen der Eltern erschossen wurde, eine Woche vor dem Jahrestag nicht nach Hongkong zu einem Musikfestival ausreisen, obwohl Wang ein emeritierter Musikprofessor ist. Es wird vermutet, dass sie daran gehindert werden sollen, an der Protestkundgebung teilzunehmen, die alljährlich zum Tiananmen-Jahrestag in Hongkong stattfindet.
Zhang Xianling, eine der Sprecherinnen der Tiananmen-Mütter, sagte der Deutschen Welle, dass nach dem Amtsantritt der neuen Führung die Polizeiüberwachung weniger intensiv geworden sei. Dennoch habe auch sie nicht nach Hongkong reisen dürfen. "Alles bleibt beim Alten", sagt Zhang, "die Geschichte wiederholt sich. Die neue Führung ist genau wie die alte und will die Wahrheit über Tiananmen nicht ans Licht lassen."
Zhang Xianling ist enttäuscht über den ausbleibenden Neuanfang unter Xi Jinping: "Mangelnder Mut oder Unaufgeschlossenheit stehen Xi im Wege und hindern ihn daran, die günstige Chance zu ergreifen. Es gibt nicht einmal eine versöhnliche Geste."