Proteste gegen den Westen
1. Juni 2021"Wir Äthiopier brauchen keine Einmischung von außen, wir sind und bleiben ein souveränes Land", sagte ein junger Mann bei Protesten in der Hauptstadt Addis Abeba letzten Sonntag. Auf Plakaten waren Sprüche wie "Wir werden niemals vor Amerika einknicken" oder "Äthiopiens Souveränität steht auf dem Spiel" zu lesen.
Auch in anderen Städten Äthiopiens und in der italienischen Hauptstadt Rom, wo viele Äthiopier leben, gingen am Wochenende tausende, zumeist junge Demonstranten auf die Straße. Neben scharfer Kritik an US-Präsident Biden gab es auf Plakaten Lob für Russlands Staatschef Wladimir Putin, den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan oder Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping.
Worku Yakub, Professor für Sozialanthropologie an der Wachemo-Universität im Südwesten Äthiopiens, kritisiert diese Lobesbekundungen. Sie seien ein naiver Versuch einzelner Demonstranten, die unterschiedlichen Mächte gegeneinander auszuspielen. "Die Plakate, die diese Autokraten verherrlichten, waren Einzelaktionen, die nicht für die Mehrheit der äthiopischen Bevölkerung sprechen", sagt er im DW-Gespräch.
Zu den Kundgebungen hatte offiziell die Jugendorganisation der regierenden Wohlstandspartei von Ministerpräsident Abiy Ahmed aufgerufen. Eine Woche zuvor hatte die US-Regierung Visa-Beschränkungen angekündigt. Laut Außenminister Anthony Blinken betreffen die Strafmaßnahmen unter anderem gegenwärtige oder frühere äthiopische und eritreische Regierungsbeamte, Mitglieder der Sicherheitskräfte und Angehörige der Volksbefreiungsfront Tigrays (TPLF). Er kündigte außerdem Kürzungen der Wirtschafts- und Sicherheitshilfen für Äthiopien an. Am Montag kam es deshalb auch zu einer Demonstration vor der US-Botschaft in Addis Abeba.
Schwere Menschenrechtsverletzungen in Tigray
Äthiopische Regierungstruppen hatten im November eine Offensive gegen die Volksbefreiungsfront TPLF begonnen. Im Zuge des Konflikts waren auch Soldaten aus dem Nachbarland Eritrea einmarschiert, denen unter anderem Massaker an der Zivilbevölkerung und sexuelle Gewalt gegen Frauen vorgeworfen werden. Trotz aller Appelle ist der Konflikt auch mehr als sechs Monate nach dem Einmarsch der äthiopischen Truppen nicht vorbei. Experten warnen vor einer drohenden humanitären Katastrophe. Zehntausende sind auf der Flucht.
Die äthiopische Regierung bezeichnete die US-Aktion als "fehlgeleitet" und "bedauerlich." Die äthiopische Regierung werde sich davon aber nicht abschrecken lassen, heißt es in einer auf Twitter verbreiteten Erklärung des äthiopischen Außenministeriums.
Auch die Botschafterin Äthiopiens in Berlin, Mulu Solomon Bezuneh, kritisierte die US-Sanktionen im DW-Interview. Äthiopien messe den Beziehungen zu den Vereinigten Staaten große Bedeutung bei. Aber: "Die äthiopische Regierung wird sich nicht dem Druck von außen unterwerfen, mit der TPLF in Verhandlungen zu treten. Der Tigray-Konflikt ist und bleibt eine interne Angelegenheit Äthiopiens und davon wird sich unsere Regierung niemals abbringen lassen", sagte sie der DW.
Die äthiopische Regierung solle die Probleme des Landes, vor allem den Tigray-Konflikt lösen, anstatt sich über die Einmischung des Auslands zu beschweren, sagte dagegen Yelekal Getnet, Vorstandsmitglied der oppositionellen Demokratischen Partei Äthiopiens, im DW-Interview. Er wirft der Regierung vor, das Land vom Westen zu entfernen und in Richtung Russlands, der Türkei oder China zu treiben. Das sei aber keine Strategie, die auf lange Sicht gut für Äthiopien sei und die Interessen der ganzen Region berücksichtige, so Getnet zur DW.
Beziehungen auf dem Tiefpunkt?
Die politischen Beziehungen zwischen den USA und Äthiopien hatten sich nach der Wahl Abiy Ahmeds zum Ministerpräsidenten im April 2018 zunächst gebessert. So hatten die USA die Verleihung des Friedensnobelpreises an Ahmed 2019 begrüßt. Auch die Wirtschaftsbeziehungen waren enger geworden. Die äthiopischen Exporte in die USA hatten 2019 mit rund 500 Millionen US-Dollar einen fast so hohen Wert wie die nach China, Äthiopiens wichtigstem Handelspartner, erreicht.
Doch mit dem Engagement der USA in Äthiopien könnte es - im Zuge des Tigray-Konflikts und der US-Sanktionen - bald vorbei sein, befürchten Beobachter.
"Wir gehen bei den Beziehungen zu Äthiopien und auch zu Eritrea aller Voraussicht nach schweren Zeiten entgegen. Wenn die beiden Länder in den nächsten Wochen keine entscheidenden Schritte zur Lösung der humanitären Krise in Tigray machen, sehe ich auch keine Möglichkeit, dass sich die Beziehungen bald wieder normalisieren", sagte etwa der frühere US-Botschafter in Äthiopien, David Shinn.
Mitarbeit: Azeb Tadesse-Hahn