Prozess gegen Seenotretter in Griechenland fortgesetzt
10. Januar 2023Die Staatsanwaltschaft beschuldigt die 24 Mitglieder von drei Nichtregierungsorganisationen, auf der Ostägäisinsel Lesbos als Schleuser tätig gewesen zu sein. Nach Angaben der Polizei haben sie systematisch die Überfahrt von Migranten von der Türkei nach Griechenland unterstützt. Dabei hätten sie illegal den Funkverkehr der Polizei und der Küstenwache abgehört sowie Positionen der Boote und Schiffe der Küstenwache an die Migranten weitergegeben, die aus der Türkei nach Griechenland und damit in die EU übersetzen wollten.
Die Verteidiger nannten diese Vorwürfe eine "Farce". Die Angeklagten hätten nur versucht, das Leben von Migranten in Not zu retten. Zu den Beschuldigten zählt auch die syrische Flüchtlingshelferin Sarah Mardini. Die Aktivistin wird durch Anwälte vertreten, da für sie eine Einreisesperre nach Griechenland besteht.
Das Gericht erklärte, dass es in dem Verfahren zunächst nur um den Spionagevorwurf gehen solle, während zu den übrigen Vorwürfen noch ermittelt werde. Die Verteidiger beantragten, den Spionagevorwurf fallenzulassen. Es sei zu zahlreichen Verfahrensfehlern gekommen. So seien Justizunterlagen teilweise nicht übersetzt und den Angeklagten nicht zugänglich gemacht worden. Die Art der Verfahrensführung sei "inakzeptabel", sagte der deutsch-irische Rettungsschwimmer Sean Binder, einer der Hauptangeklagten.
EU-Abgeordnete rügt lange Wartezeit
Bei dem aktuellen Gerichtsverfahren auf Lesbos war Grace O'Sullivan, eine irische Abgeordnete der Grünen Partei im Europäischen Parlament, anwesend. Sie sagte der Deutschen Welle, der erste Verhandlungstag mit rund 120 Personen im Gerichtssaal sei "ziemlich chaotisch" gewesen. Die Abgeordnete kritisierte die Anschuldigungen gegen die 24 humanitären Helfer als haltlos und beklagte die lange Wartezeit für die Angeklagten. O'Sullivan appellierte an die griechische Justiz: "Sie müssen diesen Fall hinter sich lassen und diesen Menschenfreunden, die keine Kriminellen sind, erlauben, mit ihrem Leben fortzufahren."
Der Prozess hatte im November 2021 begonnen, war jedoch noch am selben Tag wegen Verfahrensfragen vertagt worden. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) warf den Behörden vor, das Verfahren zu verschleppen, um Hilfsorganisationen von Rettungseinsätzen in Griechenland abzuschrecken. Kritiker sehen den Prozess als politisch motiviert an. In einem Bericht des Europaparlaments war von der "größten Affäre zur Kriminalisierung von Solidarität in Europa" die Rede.
Mardini und Binder hatten 2018 mehr als drei Monate in Untersuchungshaft in Griechenland verbracht. Im Falle einer Verurteilung drohen den Angeklagten nach Angaben der Hilfsorganisation Amnesty International bis zu 25 Jahre Haft.
Stoff für Netflix-Drama
Sarah Mardini und ihre Schwester, die Olympia-Schwimmerin Yusra Mardini, waren im Jahr 2015 aus Syrien geflohen. In einem Schlauchboot voller Flüchtlinge versuchten die beiden Leistungsschwimmerinnen, von der türkischen Küste zur griechischen Insel Lesbos zu gelangen. Als das Boot in Seenot geriet, schwammen Sarah und Yusra stundenlang und zogen das Boot mit den 18 Insassen an einem Tau hinter sich her. Später ließen sich die Schwestern in Berlin nieder. Ihre Geschichte wurde für den Streaming-Dienst Netflix unter dem Titel "Die Schwimmerinnen" verfilmt, der Film wurde im November veröffentlicht.
kle/jj (afp, dpa, ape, DW)