Prozessauftakt im Organspendeskandal
19. August 2013Die Staatsanwaltschaft wirft dem früheren Leiter der Transplantationsmedizin an der Universitätsklinik Göttingen vor, Manipulationen bei der Organverteilung vorgenommen oder veranlasst zu haben. Konkret lautet die Anklage auf versuchten Totschlag in elf und Körperverletzung mit Todesfolge in drei Fällen. Ihm wird versuchter und kein vollendeter Totschlag vorgeworfen, weil nicht zuzuordnen ist, welche Patienten aufgrund seiner Handlungen möglicherweise starben. Der Mediziner soll zwischen 2009 und 2011 manipulierte medizinische Daten an die zentrale Vergabestelle Eurotransplant gemeldet haben, um schneller Spenderorgane für seine Patienten zu bekommen. So soll er unzutreffende Blutwerte angegeben und fälschlich gemeldet haben, dass bei diesen Patienten wöchentlich zwei Dialysen vorgenommen werden müssten - deshalb seien die Kranken auf der Warteliste so weit nach oben gerückt.
Weil in Deutschland ein Mangel an Organspenden bestehe, so die Staatsanwaltschaft, sei davon auszugehen, "dass durch die unwahren Angaben des Angeschuldigten andere Patienten, die lebensbedrohlicher erkrankt waren als die von dem Angeschuldigten gemeldeten, kein Spenderorgan erhielten und möglicherweise aus diesem Grunde verstarben". Das soll der Mediziner billigend in Kauf genommen haben. Der 46-jährige Angeklagte wies sämtliche Vorwürfe zurück.
Juristisches Neuland
Es ist das bundesweit erste Verfahren, in dem einem Arzt nach Manipulation von Patientendaten ein Tötungsdelikt vorgeworfen wird. Rechtsexperten sprechen von juristischem Neuland. Sie halten es vor allem für problematisch, dass nicht klar nachgewiesen werden kann, wer die Geschädigten sind. Der Prozess dürfte deswegen sehr langwierig werden. Bislang sind bis Mai 2014 mehr als 40 Verhandlungstage angesetzt. Wegen Fluchtgefahr sitzt der angeklagte Mediziner bereits seit Januar in Untersuchungshaft.
Anwälte: Absurde Vorwürfe
Die Verteidiger bezeichneten die Vorwürfe hingegen als absurd. Es sei niemand zu Schaden gekommen. Dies sei inzwischen nachgewiesen. Zudem könne die Staatsanwaltschaft kein plausibles Motiv für die Verbrechen nennen.
Außerdem kritisierte der Anwalt des Arztes, Steffen Stern, das Vergabeverfahren für Organspenden: Die vorgeschriebene Alkoholabstinenz von sechs Monaten sei diskriminierend, "weil sie alkoholkranke Menschen zum Sterben verdammt." Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft hatte der Angeklagte gegenüber der Organvergabestelle in mindestens fünf Fällen verschwiegen, dass seine Patienten diese Frist nicht einhielten.
Selbst wenn ein Arzt falsche Angaben bei Eurotransplant gemacht hätte, wäre dies kein Fall für das Gericht gewesen, hieß es seitens der Verteidigung. Eine entsprechende Strafvorschrift habe es zum maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht gegeben.
Gesundheitsminister: Manipulationen inzwischen unmöglich
Wegen verschärfter Gesetze könnten Ärzte inzwischen nicht mehr allein über die Position auf der Warteliste entscheiden, sagte Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr. Mittlerweile gebe es ein Mehr-Augen-Prinzip und unangemeldete Prüfungen. Außerdem seien Manipulationen bei Wartelisten nun strafbar. Seit diesem Sommer gibt es für Verstöße eine Haftstrafte von bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe.
Der Organspendeskandal hatte im vergangen Sommer bundesweit Schlagzeilen gemacht. Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organspende ging die Anzahl der Organspender seither um fast 20 Prozent zurück und der Abwärtstrend ist immer noch nicht gestoppt.
rk/qu (dpa, afp)