Präsidentin Timoschenko?
7. März 2014Eine viel beachtete Rede auf dem Maidan, ein Interview mit CNN und ein entschiedener Auftritt beim Parteitag der europäischen Konservativen (EVP) in Dublin am Donnerstag (06.03.2014): Die frühere ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko ist zurück auf der großen Bühne der Politik. Direkt nach ihrer Haftentlassung tritt sie als Wortführerin eines Aufstandes auf, der die Regierung um Viktor Janukowitsch gestürzt hat - und der eigentlich andere Protagonisten hat als sie.
Timoschenko ist präsent, aber welche Rolle sie in der ukrainischen Politik künftig genau spielen will, ist unklar. "Ich werde alle meine Stärke einsetzen", sagte die Parteivorsitzende der prowestlichen "Vaterlandspartei" bei der EVP-Veranstaltung in Dublin. Im CNN-Interview beschrieb sie sich etwas nebulös als jemanden, "der hier auch Verantwortung trägt".
Der Leiter des Kiewer Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), Stephan Meuser, sieht zwei Möglichkeiten für ihre politische Zukunft: "Eine ist, dass sie als 'Mutter des Vaterlandes' auftreten wird, die sehr politikerfahren ist, und versucht, aus der Position der Parteichefin auf welche Regierung und welchen Präsidenten auch immer Einfluss zu nehmen."
Die andere Möglichkeit: Sie will Präsidentin der Ukraine werden. Die Wahl findet am 25. Mai statt. Sie selbst hat sich dazu noch nicht geäußert. Jedoch sagte kürzlich Vitali Klitschko, Box-Weltmeister und Gründer der Partei Ukrainische demokratische Allianz für Reformen (Udar), Timoschenko habe ihm gegenüber solche Absichten bekundet. Klitschko will selbst Präsident werden.
Timoschenko hat ihre Rückkehr vorbereitet
Vielleicht will sie sich erst festlegen, wenn sie sicher sein kann, dass sie körperlich in der Lage ist, ein solches Amt zu übernehmen. Die 53-jährige "Ikone" der Orangen Revolution war zweieinhalb Jahre lang in Haft. Sie hat ein Rückenleiden und absolviert ihre Auftritte derzeit im Rollstuhl oder Rollator. Nach dem Ende des Parteitages in Dublin ist sie nach Berlin gereist, um sich dort operieren zu lassen. Dass sie es sich nicht nehmen ließ, auf dem Maidan zu sprechen und nach Dublin zu reisen, spricht für ihren Willen, die Zukunft der Ukraine in vorderster Front mitzugestalten.
Als es um die Formierung der Übergangsregierung ging, meldete sie keine Ansprüche auf den Ministerpräsidenten-Posten an. Das bedeutet aber nicht, dass sie in dieser Regierung nichts zu sagen hat. "Sie hat offensichtlich Einfluss genommen auf die Ernennung diverser Gouverneure. In der Ukraine sind das nicht ganz unwichtige Posten, weil die Gouverneure von der Regierung in Kiew ernannt werden. Da sind einige in der Mitte und im Osten des Landes ernannt worden, die als Parteigänger von ihr gelten können", erklärt Stephan Meuser.
Dazu zählten etwa zwei Gouverneure im Norden und Südosten der Ukraine. Ein weiteres Beispiel für einen Vertrauten Timoschenkos auf einem wichtigen Posten ist Igor Kolomoisky, der neue Gouverneur der Industriestadt Dnjepropetrowsk. In Kiew selbst gilt Übergangspräsident Oleg Turtschinow von Timoschenkos Vaterlandspartei als jemand, der ihren Anweisungen strikt Folge leistet. Ähnliches sagen Experten über den aktuellen Regierungschef Arseni Jazenjuk.
Das Land hat nicht auf sie gewartet
Doch wie groß wären überhaupt Timoschenkos Chancen, von den Ukrainern zur Präsidentin gewählt zu werden? Während das westliche Ausland sie gerne als Ikone sieht, ist sie in ihrer Heimat äußerst umstritten.
"Das Misstrauen ihr gegenüber ist sehr groß", beschreibt der Ukraine-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Steffen Halling, die Stimmung in der Bevölkerung. Timoschenko hat durch ihre - wie Kritiker sagen: undurchsichtigen - Gas-Geschäfte in den 1990er Jahren viel Geld verdient. Sollte sich die Krise aber weiter verschärfen, könnten einige ihre Bedenken über Bord werfen. "Dann braucht es nämlich erfahrene politische Kräfte, die über gute Beziehungen in den Westen, aber auch zur russischen Elite verfügen", glaubt Halling.
Beides hat Julia Timoschenko zumindest in höherem Maß als ihre möglichen Kontrahenten. "Während der Gaskrise war sie es, die mit Putin eine Übereinkunft treffen konnte", sagt Halling. Der russische Präsident lasse zudem immer wieder durchklingen, "dass er mit Timoschenko besser kann als mit anderen Vertretern der ukrainischen Elite. Es gibt ja dieses berühmte Macho-Zitat von ihm, dass Julia Timoschenko der einzige Mann in der ukrainischen Politik sei." Davon abgesehen haben sie und ihre Partei durchaus auch einen festen Wählerstamm. Den größten Zuspruch, sagt Stephan Meuser, habe sie in der Mitte des Landes und bei den über 45-Jährigen - die eher zu Russland tendierenden Ost-Ukrainer ausgenommen.
Wenn zwei sich streiten, freut sich Poroschenko?
Laut einer aktuellen Umfrage des Zentrums für Sozial- und Marktforschung (SOCIS) in Kiew wird es für Timoschenko dennoch nicht reichen: Demnach sehen die Ukrainer derzeit am liebsten den "Schokoladen-König" und Ex-Außenminister Pjotr Poroschenko als Präsidenten. Auf Platz zwei liegt Klitschko, dann erst folgt Timoschenko. Das Verhältnis zwischen Klitschko und Timoschenko ist eher von Konkurrenz als von Freundschaft geprägt. Das führe dazu, dass die bisherige Zweckkoalition zwischen der Vaterlandspartei und Klitschkos Partei brüchig werde, sagt Steffen Halling. Er gibt jedoch zu bedenken, dass nicht allein die Präsidentschaftswahl über die Zukunft der Ukraine entscheiden werde. "Nach der Rückkehr zur alten Verfassung und der Beschneidung der Vollmachten des Präsidenten müsste man sich auch über Parlamentsneuwahlen Gedanken machen, um die Legitimation der Regierung zu erhöhen."