Brasiliens Black Box Bolsonaro
29. Oktober 2018Mit dem Sieg des Rechtspopulisten Jair Bolsonaro bei der Stichwahl für das Präsidentenamt verbessert sich die Stimmung in der brasilianischen Wirtschaft. Schon die die überraschend hohe Zustimmung für Bolsonaro im ersten Wahlgang hatte die Börse in Sao Paulo gefeiert. Auch Brasiliens Währung Real gewinnt seitdem kontinuierlich an Wert.
Mit der wachsenden Popularität Bolsonaros hat auch ein umfassender Rechtsruck in Brasiliens Politik stattgefunden. Bei den gleichzeitig abgehaltenen Kongress- und Gouverneurswahlen konnten sich auch viele rechte Kandidaten seiner Partei durchsetzen. Bolsonaros bisher unbedeutende Partei PSL ist nun die zweitstärkste politische Kraft im Kongress. Wohl auch daher stammt der Stimmungswandel der Investoren. "Damit sind die Chancen gestiegen, dass Bolsonaro eine liberale Reformagenda einleiten kann mit geringerem Widerstand in der Legislative", sagt Marcelo Giufrida vom Fondsverwalter Garde Asset Management.
Von der Hinterbank zum neoliberalen Reformer
Die Zuversicht in Bolsonaro überrascht: Denn es ist nicht klar, wie der pensionierte Militär die schweren wirtschaftlichen Probleme Brasiliens lösen will. Bolsonaro fiel in seinen 30 Jahren als politischer Hinterbänkler vor allem mit rassistischen, homophoben, frauenfeindlichen und gewaltverherrlichenden Sprüchen auf. Doch im Wahlkampf outete er sich als neoliberaler Reformer. Dafür holte er sich als seinen Wirtschaftsberater mit dem Investmentbanker Paulo Guedes einen Multi-Millionär an die Seite. Der 69-jährige Guedes soll Superminister für Wirtschaft werden.
Guedes hat noch aber noch nie ein Ministerium geführt oder mit einem Kongress verhandelt, plant aber umfassende Reformen: Er will alle Staatsunternehmen verkaufen und damit die Schulden des Staates abzahlen. Die derzeitige Rentenversicherung nach dem Umlagesystem soll umgestellt werden auf ein Kapitaldeckungsverfahren. Das Rentensystem ist nicht mehr finanzierbar. In fünf Jahren würde das gesamte Staatsbudget für Rentenzahlungen draufgehen.
Keine klare Richtung
Inzwischen ruderte der Kandidat Bolsonaro wieder zurück und verpasste seinem Wirtschaftsberater einen Maulkorb. So will er die wichtigsten Staatskonzerne wie Petrobras oder Banco do Brasil von den Privatisierungen ausschließen. Auch die Militärs will er nicht beschneiden. Die belasten mit ihren Privilegien genauso wie die Beamten mit überdurchschnittlich hohen Kosten die Allgemeinheit.
Gegen die umfassende Marktöffnung Brasiliens für Importe formiert sich schon Widerstand bei den Industrieverbänden. "Die Chancen, dass die Vorschläge so umgesetzt werden, tendieren gegen null," sagt Pérsio Arida, Investmentbanker mit langjähriger Erfahrung als Minister. Dass Bolsonaro in seinen sechs Abgeordnetenmandaten vor allem für die kooperativen Interessen der Staatskonzerne, Beamten und Militärs gestimmt hat - auch das lässt vor allem ausländische Investoren an Bolsonaros Reformfähigkeit zweifeln.
Die Märkte ziehen Bolsonaro vor
Die Rating-Agentur Standard & Poor's sieht in Bolsonaro als Präsidenten ein größeres Risiko für die Wirtschaft als in seinem Gegenkandidaten Fernando Haddad. Bolsonaro sei ein politischer Outsider und werde mehr Probleme haben, sein Wirtschaftsprogramm umzusetzen. Moody's fürchtet weiter, dass die wachsende Polarisierung im Kongress, es dem nächsten Präsidenten erschweren wird, Reformen umzusetzen.
Trotz aller Zweifel an Bolsonaro, wird die Euphorie der Investoren vor allem dadurch angefeuert, dass die Chancen der Machtübernahme des Linkskandidaten Haddad und seiner Arbeiterpartei stark gesunken sind. Denn Haddads Rezepte sind altbekannt und folgen den Vorgängerregierungen um Lula da Silva und Dilma Rousseff. "Bolsonaro ist trotz seiner populistischen und anti-demokratischen Ansichten der klar marktfreundliche Kandidat", erklärt Marcos Casarin, Leiter des Lateinamerikabüros der Wirtschaftsanalytiker von Oxford Economics.
"Crash oder freiwillige Haushaltsanierung"
Die entscheidende Frage ist nun: "Wird der nächste Präsident bereit sein, die politischen Kosten einer Haushaltsanierung zu übernehmen?", sagt Arthur Carvalho von der Investmentbank Morgan Stanley. Denn Brasilien steuert auf eine Finanzkrise zu. Das Land hat ein Haushaltsdefizit von 7,6 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das ist größer als im Nachbarland Argentinien, das in wenigen Monaten vor allem wegen seines Staatsdefizits vom Star der Schwellenländer zum Bittsteller beim IWF abgestiegen ist.
Brasilien habe das größte Haushaltsdefizit weltweit, warnen die Experten der Investmentbank JP Morgan. Die Staatsschulden betragen 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. "Entweder die nächste Regierung macht die Haushaltssanierung freiwillig oder ein Crash zwingt sie dazu", ist Carvalho überzeugt. Auch das Geldhaus JP Morgen meint, dass Bolsonaro schnell überzeugende Reformen vorweisen müsse, mit denen er das Staatsdefizit senken könne. Viel Zeit bleibe ihm nicht: "Die Märkte werden dem nächsten Präsidenten keinen Vertrauensvorschuss mehr geben", schreibt JP Morgan. Die Wirtschaft treibt seit nun fast vier Jahren weitgehend führungslos vor sich hin. 13 Millionen Brasilianer sind arbeitslos, doppelt so viele sind unterbeschäftigt.
Die achtgrößte Ökonomie der Welt verliert zunehmend den Anschluss - Infrastruktur und das Bildungssystem verschlechtern sich rapide. Bei Zukunftsthemen wie Industrie 4.0, Big Data oder künstlicher Intelligenz wird die Industrie des Landes immer weiter abgehängt.
Kein Hoffnungsloser Fall
Auch das Vertrauen im Ausland schwindet: So sanken die ausländischen Investitionen nach Erhebungen der UN-Handelsorganisation (UNCTAD) in Brasilien im ersten Halbjahr um 22 Prozent. Damit verbucht das Land den größten Rückgang unter den Schwellenländern. Bei der Wettbewerbsfähigkeit - berechnet vom World Economic Forum - ist Brasilien seit 2014 von Platz 57 auf Rang 81 abgerutscht.
Dennoch ist Brasilien kein hoffnungsloser Fall. Mit den richtigen Signalen könnte sehr schnell eine positive Entwicklung in Gang gesetzt werden. So könnte ein Präsident auch zügig die Früchte einer Reformpolitik ernten. Dann anders als Argentinien steht Brasilien von außen gesehen recht solide da: Die Landwirtschaft und der Bergbau gleichen mit Dollareinnahmen die Leistungsbilanz weitgehend aus und sorgen für volle Devisenkassen.
Brasilien ist nur gering im Ausland verschuldet. Deswegen kann die Zentralbank die Zinsen auch niedrig halten. Die Inflation ist trotz der wirtschaftlichen Stagnation unter Kontrolle. Brasiliens Konjunktur könnte so schnell wieder anspringen, wenn die allgemeine Stimmung in der Wirtschaft sich positiv dreht.
"Wenn der nächste Präsident die politische Dynamik seines Wahlsieges einsetzt, um in den ersten sechs Monaten entscheidende Reformen einleitet," sagt Edson Franco vom Versicherer Zürich, "dann stehen die Chancen gut, dass Brasilien vier gute Jahre erlebt."
Dieser Artikel erschien am 26.10. und wurde am 29.10. aktualisiert.