Globale Probleme mit psychischer Gesundheit
10. Oktober 2022Der 10. Oktober ist der Welttag der psychischen Gesundheit, eine Veranstaltung der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Er zielt darauf ab, "das Bewusstsein für die Probleme zu mobilisieren, um so die psychische Gesundheit zu fördern."
Diejenigen, die sich für psychische Gesundheit einsetzen, darunter auch die WHO, machen sich schon seit Jahrzehnten für eine Reform der psychischen Gesundheitsvorsorge stark. In diesem Jahr soll die Aufmerksamkeit vor allem darauf gelenkt werden, dass es einen regelrechten Sturm von Ereignissen gegeben hat, der von der Corona-Pandemie bis hin zum Konjunkturrückgang großen Einfluss auf die mentale Gesundheit aller Menschen gehabt hat.
Laut Weltbericht der WHO zur psychischen Gesundheit, der im Juni veröffentlicht wurde, haben Depressionen und Angstzustände im ersten Jahr der Pandemie um 25 Prozent zugenommen. Dadurch ist die Zahl der Menschen, die eine psychische Erkrankung haben, auf fast eine Milliarde gestiegen.
"Hinzu kommt, dass die psychische Gesundheitsversorgung in den letzten Jahren stark beeinträchtigt worden ist und sich die Lücken bei den Therapien psychischer Erkrankungen sehr stark vergrößert haben", erklärt ein Sprecher der WHO.
Eine Sonderinitiative für psychische Gesundheit
Was aber wird dagegen unternommen? Im Jahr 2020 gründete die WHO die "Sonderinitiative für psychische Gesundheit". Dabei handelt es sich um das bisher ehrgeizigste Programm der WHO in diesem Bereich. 100 Millionen Menschen in 12 Ländern soll der Zugang zu psychosozialen Diensten ermöglicht werden. Zu diesen Ländern gehören unter anderem die Ukraine, Jordanien und Simbabwe.
"In vielen Ländern gibt es stark veraltete Mandate für psychische Gesundheitsdienste. Wir arbeiten mit ihnen daran, diese Ansätze zu ändern, damit mehr Menschen Zugang zu Hilfeleistungen haben", sagt Alyson Schafer, technische Beraterin in der WHO-Abteilung für psychische Gesundheit, im DW-Interview.
Seit Beginn der Initiative im Januar 2020 haben laut WHO fünf Millionen mehr Menschen einen besseren Zugang zu psychischer Gesundheit und psychosozialer Unterstützung als noch zuvor. Bei der psychosozialen Unterstützung geht es darum, Netzwerke für Menschen in Not aufzubauen. Dies geschieht oft mithilfe von Familie und lokalen Gruppen.
"Wir haben zweieinhalb Jahre gebraucht, um die Initiativen auf den Weg zu bringen. Jetzt erwarten wir bei der Ausweitung der psychosozialen Dienste immer größere Fortschritte, sodass mehr Menschen Unterstützung erhalten können", erklärt Schafer.
Einer der größten Erfolge war bisher die Bereitstellung von Diensten für psychische Gesundheit und von psychosozialer Unterstützung während Krisen wie der COVID-19-Pandemie oder auch für Menschen, die von schweren Konflikten betroffen sind, wie in der Ukraine oder auf den Philippinen.
"Hier haben wir die unmittelbarsten Auswirkungen auf die Menschen," ergänzt Schafer.
Außerdem verweist die WHO-Beraterin auf erste Erfolge in Ländern wie Paraguay. Diese haben Konsultationen mit Psychiatern per Videoanruf ermöglicht. Während der Corona-Pandemie waren Videokonsultationen besonders effektiv darin, die Unterstützung durch die Gemeinschaft aufrechterhalten. "Das hört sich recht einfach an, aber was fehlte, war die Infrastruktur", sagt Schafer.
Ganzheitlicher Ansatz für die psychische Gesundheit
Die Einzigartigkeit der WHO-Sonderinitiative für psychische Gesundheit liege in ihrem ganzheitlichen Ansatz, ist Schafer überzeugt. "Es gibt nicht nur eine einzige Herangehensweise, um sich psychosozialen Diensten und Unterstützung zu nähern. Wir brauchen eine weitreichendere Perspektive als die bisherige, eine Perspektive, die sich nicht nur auf einzelne Maßnahmen oder Gruppen konzentriert.
Sie müssen sich auf ein ganzes System von psychischen und verwandten Gesundheitsdiensten konzentrieren, die gerade im Gesundheitswesen, aber auch in Schulen, Gemeindeorganisationen, religiösen Gruppen und Unternehmen angeboten werden können", so Schafer.
Ein Ziel der Initiative ist es, sich auf die Unterstützung von Risikogruppen zu konzentrieren. Zu diesen Risikogruppen gehören unter anderem Menschen, die Diskriminierung oder Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind, wie zum Beispiel auch Menschen, die sich als LGBTQ identifizieren.
"Wir sehen bereits erste Erfolge, etwa wenn wir Verständnis dafür schaffen, dass sexuelle Anziehung zwischen Menschen des gleichen Geschlechts keine psychische Störung ist, sondern dass diese Menschen aufgrund sozialer Stigmatisierung und Diskriminierung ein höheres Risiko für psychische Erkrankungen haben und dringend Unterstützung benötigen", erklärt Schafer.
Ihr zufolge beruht der Erfolg der Initiative darauf, dass die Unterstützung der psychischen Gesundheit auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, jahrzehntelangem Lernen und den Rechten von Menschen mit psychischen Erkrankungen und psychosozialen Behinderungen basiert. Die Initiative muss sich aber auch politischen Herausforderungen stellen.
"Einige Länder haben schon Fortschritte gemacht", sagt Schafer. "Die Sonderinitiative der WHO für psychische Gesundheit setzt sich dafür ein, solche Veränderungen zu erleichtern. Nur so kann der Ausbau der psychosozialen Dienste nicht nur aufrechterhalten, sondern auch verbessert werden."
Programme, die von der Gemeinschaft getragen werden, bieten dauerhafte Unterstützung
Die WHO-Initiative verzeichnet zwar erste Erfolge, aber das Projekt soll 2023 auslaufen. Was danach mit den Netzwerken zur Unterstützung der psychischen Gesundheit geschieht, ist unklar.
Renée Eloundou, Antidiskriminierungsberaterin bei der Berliner Beratungsorganisation Sources-dʹEspoir (Quellen der Hoffnung), steht Initiativen zur psychischen Gesundheit, die auf eine bestimmte Dauer angelegt sind, kritisch gegenüber.
"Die Hilfe, die die Menschen brauchen, hat keinen Endpunkt. Die psychische Instabilität, in der sich die Menschen befinden, ist sehr schwer zu bewältigen. Es braucht seine Zeit, bis die Menschen sich öffnen und reden und auch, um Netzwerke zur Unterstützung aufzubauen", ist Eloundou überzeugt.
Sources-dʹEspoir bietet Beratung und Hilfe für Migrantengemeinschaften in Deutschland. Der Zusammenhang zwischen psychischen Problemen und Diskriminierung sei frappierend, so Eloundou. "Menschen, die Diskriminierung erfahren, schämen sich oft oder begreifen sich als Teil des Problems. Sie fühlen sich von den staatlichen Strukturen entfremdet. Das wiederum isoliert sie und macht sie anfällig für psychische Probleme", so Eloundou weiter.
Das Team der Organisation besteht zu 98 Prozent aus schwarzen Frauen, die als Erwachsene nach Deutschland gekommen sind. Eloundou betont, wie wichtig es ist, dass die psychosoziale Betreuung von Menschen geleitet wird, die aus denselben Gemeinschaften stammen wie diejenigen, denen sie zu helfen versuchen und diese Hilfe benötigen.
"Gemeinschaftliches Handeln ist ein Muss. Die Mitglieder unseres Teams haben eigene, ähnliche Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht. Sie können sich also leicht in jemanden hineinversetzen und die Signale für psychische Probleme analysieren. Das hilft, Vertrauen aufzubauen", sagt Eloundou.
ʺWenn man psychische Gesundheitsprobleme angehen will, muss man mit Gemeinschaften und Experten zusammenarbeiten, die über die entsprechenden Fähigkeiten verfügen", ergänzt sie. "Dann kann man eine dauerhafte Veränderung erreichen."