Separatismus aus dem Exil
18. Juli 2018Stehender Applaus, Beifall für einen, der aus der Ferne per Video in den Saal in Barcelona lächelt. Carles Puigdemont ist aus Deutschland zugeschaltet, als sich in den Räumen des Ateneu Barcelonès führende Protagonisten der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung versammelt haben, um für den kommenden Herbst die Gründung einer neuen Plattform für die katalanische Unabhängigkeit zu verkünden.
"Crida Nacional per la República" ("Nationaler Ruf für die Republik") soll sie heißen und alle jene vereinen, die die Unabhängigkeit Kataloniens trotz der in den letzten Monaten verzeichneten Rückschläge weiter voranbringen wollen. Die neue Bewegung sei "eine Referenz, die uns verpflichtet, dem Mandat von 2,3 Millionen Menschen an den Urnen die Treue zu halten", heißt es in einer vorab formulierten Erklärung.
Der Satz spielt auf das Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober 2017 an, als die Katalanen über ihre Unabhängigkeit abstimmten. An der Abstimmung beteiligten sich rund 42 Prozent der stimmberechtigten Katalanen, von denen sich rund 90 Prozent für die Unabhängigkeit aussprachen.
"Größte Erniedrigung der spanischen Justiz seit 40 Jahren"
Nachdem die katalanische Regierung unter Puigdemont Ende Oktober die Unabhängigkeit erklärt hatte, wurde sie von der spanischen Zentralregierung abgesetzt. Zugleich erhob die spanische Justiz Anklage gegen deren Mitglieder. Einer der Anklagepunkte lautete auf "Rebellion". Puigdemont floh nach Belgien. Ende März 2018 wurde er auf deutschem Boden verhaftet. Das Oberlandesgericht Schleswig urteilte nun, eine Auslieferung an Spanien sei rechtmäßig - allerdings nur wegen des Vorwurfs der Veruntreuung öffentlicher Gelder, nicht aber wegen des - schwerer wiegenden - Verdachts der "Rebellion".
Damit hat sich der europäische Haftbefehl bereits jetzt sehr günstig für Puigdemont ausgewirkt. Weil er, europäischem Auslieferungsrecht entsprechend, nach der Entscheidung des Landesgericht Schleswig-Holstein nun auch in Spanien nicht mehr der "Rebellion" angeklagt werden darf, hat sich das Oberste spanische Gericht hat sich für eine Rücknahme des europäischen Haftbefehls gegen Carles Puigdemont entschieden.
Die konservative, der Sache des spanischen Nationalstaats verpflichtete Zeitung "El Mundo" spricht nach dem Urteil des Landgerichts von "der größten Erniedrigung, die die spanische Justiz in den vergangenen 40 Jahren hinnehmen musste". Ausgegangen sei sie von einem "Regionalgericht", das den Angeklagten ungerechtfertigter Weise vom Vorwurf der Rebellion freigesprochen habe. "Die Richter brauchen offenbar ein erfolgreich durchgezogenes Blutbad, um zu erkennen, dass ein Aufstand ein Delikt ist", heißt es in "El Mundo". Den Prozess wertet sie als Schande: "Arme deutsche Demokratie. Armes Europa".
Zurückhaltender zeigt sich hingegen die Zeitung "El País". Die Richter hätten nach Maßgabe des Gesetzes geurteilt, heißt es dort. Dies sei ein Zeichen für die Stabilität des deutschen Rechtsstaates.
Leidensgeschichte als Mythos
Derweil sorgt in Spanien ein Buch der französischen Sandrine Morel für Diskussion. Die Spanien-Korrespondentin der französischen Zeitung "Le Monde" hat ein Buch über die katalanische Unabhängigkeitsbewegung mit Schwerpunkt auf den letzten Monaten geschrieben ("En el huracán. Una mirada privilegiada al laberinto del procés", etwa "Im Auge des Hurrikan. Ein exklusiver Blick auf das Labyrinth der Geschehnisse"). Darin beschreibt sie unter anderem die aus ihrer Sicht fragwürdige, weil einseitige Deutung der katalanischen Unabhängigkeitsaktivisten der spanisch-katalanischen Geschichte.
Diese stelle sich für sie vor allem als Leidensgeschichte der Katalanen unter der spanischen Vorherrschaft dar. Morel zitiert den katalanischen Historiker Francesc Xavier Hernández, Professor an der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Barcelona. Der, so Morel, habe im Gespräch mit ihr die katalanische Geschichte unter der Herrschaft der Spanier mit dem "Genozid an den Armeniern" verglichen.
Puigdemont: "Ungerechtfertigte Repression"
Das Motiv der Leidensgeschichte griff in - deutlich gemilderterer Form - auch Puigdemont während seines Grußworts an die Gesellschaft im Ateneu Barcelonès auf. "Wir müssen den Kampf aufrechterhalten, gegen die ungerechtfertigte Repression angehen und den Weg hin zur katalanischen Republik weiter gehen", rief er den Versammelten von Deutschland aus zu.
Nationalgeschichte als Leidensgeschichte: das ist eines der konstanten Motive der katalanischen Separatisten. Den anmaßenden Charakter dieses Mythos greift auch die "Süddeutsche Zeitung" in ihrem Kommentar zur möglich gewordenen Auslieferung auf. Sie kritisiert ihn als unhaltbar. "Die spanische Verfassung sieht kein Recht auf Abspaltung vor. Das Verfassungsgericht hatte das Referendum daher verboten. Das steht im Einklang mit dem Völkerrecht. Dieses gewährt einer Minderheit nur dann ein Sezessionsrecht, wenn diese brutal unterdrückt wird. Davon kann im heutigen Spanien keine Rede sein."
Raus aus dem Rampenlicht
Zwar kann Puigdemont aufgrund der europäischen Auslieferungsgesetze nach der Überstellung an Spanien nicht mehr der "Rebellion" angeklagt werden. Schwierig bleibt das Klima zwischen Separatisten und der Nationalregierung aber trotzdem.
Immerhin hat der neue spanische Premier Pedro Sánches, gerade erst wenige Woche im Amt, bereits ein Gespräch mit Quim Torra, dem neuen Präsidenten der katalanischen Nationalregierung geführt.
Über den Inhalt wurde wenig bekannt. Doch allein der Umstand, dass es zu der Unterredung kam, gilt als Erfolg. Die deutsche Bundesregierung dürfte das mit Erleichterung sehen. Aufgrund des vollstreckten Haftbefehls ist Deutschland, ohne es zu wollen, auch zu einem politischen Akteur in dem spanisch-katalanischen Streit geworden. Die sich nun andeutende Entspannung könnte es Deutschland ermöglichen, sich ein paar Schritte aus dem Rampenlicht zurückzuziehen.