Mit dem Handy in die Zukunft
24. Mai 2012Der letzte Akku-Balken auf dem Mobiltelefon geht dem Ende zu - kein Problem: Eine alte Auto-Batterie dient als Aufladestation für das ganze Dorf. Eine Momentaufnahme des Ethnologen Hans-Peter Hahn bei seinen Forschungsaufenthalten im ländlichen Burkina Faso, Togo und Ghana. "Es ist faszinierend, dass Handys sogar dort genutzt werden, wo es nicht einmal eine Stromversorgung gibt", sagt der Wissenschaftler der Goethe Universität Frankfurt. Auf drei Viertel der Fläche von Subsahara-Afrika können Menschen mittlerweile miteinander telefonieren, SMS schreiben und vieles mehr. Der Kontinent gibt sich kreativ mit der neuen Technologie.
So hat sich das Geldüberweisungssystem M-Pesa von Kenia aus in Windeseile in andere Länder verbreitet und viele Menschen zum ersten Mal an eine Art Banksystem angeschlossen. Bauern erfahren die aktuellen Marktpreise von Getreide und das Wetter von morgen per SMS. Das Handy ist der Pulsschlag der Globalisierung in Afrika. Und der schlägt jedes Jahr schneller: Hatten im Jahr 2005 noch gerade 90 Millionen Afrikaner ein Mobiltelefon waren es im vergangenen Jahr schon beinahe 450 Millionen. Chinesische Unternehmen versorgen den Markt mit neuwertigen Günstig-Handys und europäische Zwischenhändler verschiffen Millionen ausgemusterter Marken-Telefone auf den afrikanischen Kontinent.
Viele Gewinner und kaum Verlierer?
Joachim von Braun, Direktor am Zentrum für Entwicklungsforschung, hat bereits vor zehn Jahren Handy-Studien durchgeführt. Damals habe man ihn noch belächelt und gesagt, dass die Menschen auf dem Lande doch keine Handys, sondern Wasser und Nahrung bräuchten. "Es hat sich jedoch gezeigt, dass die Armen auf dem Lande besonders stark von den Geräten profitieren, weil sie schlichtweg gänzlich von den Informationen abgeschnitten sind."
Der Entwicklungsexperte Bernd Friedrich von der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ), die im Auftrag des Entwicklungsministeriums Projekte weltweit durchführt, ist sicher, dass sich Entwicklungsländer durch den Mobilfunk zunehmend auch zu Informations- und in der Folge auch Wissensgesellschaften entwickeln werden. "Es beeinflusst die Menschen, wie sie sich Informationen beschaffen, wie sie arbeiten, ihre Freizeit verbringen und ihr Einkommen ausgeben." Für Hahn sind vor allem die Familienstrukturen die großen Gewinner des Mobilfunks. Vor allem Arbeitsmigranten könnten so weiter den Kontakt zu ihren Familien halten, während die Strukturen früher oft aufgrund der Distanz zusammengebrochen seien.
Das Ende des "Digital Divides"?
Verlierer sieht Hahn vor allem bei denjenigen, die sich auch heute noch kein Handy leisten könnten. "Es sind alles Prepaid-Karten und die muss man halbjährlich aufladen, damit sie nicht verfallen." Obwohl die Gesprächskosten stark gefallen sind, gäbe es immer noch genügend Menschen, die sich keine Aufladung leisten könnten. Hahn erzählt von Gruppen in Burkina Faso, die sich deshalb für ein Grundrecht auf Kommunikation eingesetzt haben:"Das Modell ist bedenkenswert, da es zu größerer Gerechtigkeit führen würde."
Dennoch habe sich der sogenannte "Digital-Divide", also die unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten zu neuen Technologien in den Ländern des Südens und des Nordens, etwas relativiert, sagt Entwicklungsforscher Braun "Der 'Divide' ist vor allem im Bereich Internet und Zugang zum Internet noch vorhanden". Ethnologe Hahn glaubt, dass der "Digital Divide" nicht mehr so einfach geografisch zu definieren ist: "Er verläuft heute entlang einer sozialen Linie." Laut Statistiken nutzten nur 12 von 100 Einwohnern das Internet. "Es sind vor allem die städtische Bevölkerung, die Menschen, die etwas mehr Geld haben, mehr Männer als Frauen und es sind natürlich eher die Jüngeren", so Friedrich.
Wirtschaftswachstum mit mobilem Internet?
Nach Analysen der Weltbank aus dem Jahr 2009 können Entwicklungs- und Schwellenländer mit einem wachsenden Breitband-Zugang zum Internet von zehn Prozent ein zusätzliches Wirtschaftswachstum von bis zu 1,4 Prozent jährlich erreichen. Im vergangenen Jahr hatten zwar nur fünf von 100 Menschen eine SIM-Karten für den mobilen Empfang des Internets. "Das entspricht aber einem Zuwachs von 160 Prozent im Vergleich zum Vorjahr", erklärt Friedrich.
Aber nur jeder elfte Afrikaner besitze einen Computer. Deshalb ist sich Entwicklungsexperte Friedrich sicher, dass der Kontinent, nachdem er auch schon die Festnetz-Kommunikation übersprungen hat, bald noch einen Entwicklungssprung macht: "Wir springen direkt in den mobilen Datenverkehr, weil er wesentlich günstiger anzubieten ist als beispielsweise DSL oder Internetzugang über Kabel."
Ein Kontinent findet Anschluss
Die Preise für das mobile Internet könnten ähnlich schnell fallen wie schon beim Mobilfunk, denn immer mehr Unterwasserkabel aus den USA und Europa erreichen die afrikanische Küste. Ob in Windhoek, Nairobi oder Kapstadt - Afrika wird immer mehr Teil der digitalen Weltgemeinschaft. Sogar in Ländern wie Ruanda komme laut Braun das Breitband langsam an. "Durch diese Entwicklung wird das Handy zu einem noch viel mächtigeren Instrument heranwachsen." Darüber hinaus glaubt Entwicklungsforscher Braun, dass sich an den Korridoren der Breitbandnetze Cluster von Dienstleistungsunternehmen ansiedeln werden. Auch Ethnologe Hahn vermutet, dass Afrika mit dem mobilen Internet erneut eine Entwicklungsstufe überspringen könnte. Dass das Internet aber wirklich für alle von so großem Nutzen sein wird, beurteilt er "auch wegen der niedrigen Alphabetisierungsraten" eher skeptisch.