Nigel Kennedy auf dem Jazzfest Bonn
16. Mai 2015Mit Jimi Hendrix fühlt sich Nigel Kennedy spirituell und musikalisch eng verbunden. Seit 1990 beschäftigt er sich mit dem legendären Gitarristen, 1993 geht er erstmals mit Bach- und Hendrix-Stücken auf Deutschlandtournee. Er verarbeitet Elemente dieser Rockmusik immer wieder zu neuen musikalischen Formationen. "Ich wollte seine Kompositionen aus einer neuen Perspektive betrachten, sie zerlegen und wieder neu zusammensetzen", erklärt er seinen Ansatz.
Kennedy, der zwischenzeitlich ohne Vornamen auftrat, gilt als herausragender, technisch brillianter Solist, der mit den großen Klassik-Orchestern der Welt ebenso auftritt wie mit kleineren Jazzbands. Inzwischen hat er seinen Platz in der Musikgeschichte: seine draufgängerische Interpretation von Vivaldis "Vier Jahreszeiten" schaffte es ins Guiness-Buch der Rekorde - als das meistverkaufte Klassikalbum aller Zeiten.
Hochbegabt und voller Rebellion
Nigel Kennedy stammt aus einer Musikerfamilie. Als er am 28. Dezember 1956 im südenglischen Seebad Brighton das Licht erblickt, empfängt ihn ein klangvolles Elternhaus. Seine Mutter arbeitet als Klavierlehrerin, der Vater spielt Cello im Royal Philharmonic Orchestra in London und der Großvater mütterlicherseits ist erster Cellist beim BBC Symphony Orchestra. Mit sechs erhält der kleine Nigel ersten Geigenunterricht.
Sein außergewöhnliches Talent fällt schnell auf. 1964 wechselt der Achtjährige mit einem Stipendium auf die Yehudi Menuhin School für musikalisch hochbegabte Kinder und ist mit acht Jahren der mit Abstand jüngste Schüler. Der weltberühmte Geiger Menuhin wird nicht nur sein Lehrer, sondern auch sein größter Förderer. Aber das ständige Üben gefällt ihm nicht: "Nach 40 Minuten Geige ging ich immer aufs Klo, um dort in der Unterrichtsstunde Science-Fiction-Bücher zu lesen." Mit sechzehn wechselt Geigenfreak Nigel an die Juilliard School of Music in New York, aber schon nach drei Jahren haut er dort ohne Studienabschluss ab.
Sein rebellischer Geist macht es ihm schwer, sich an die starren Konventionen der Klassikwelt zu gewöhnen. Er spielt lieber in legeren Klamotten als Straßenmusiker und Crossover mit Jazzmusikern in kleinen Clubs. Aber Nigel ist ehrgeizig. Der Sängerin und Pianistin Kate Bush schaut er die Kunst der schrillen Performance ab, von Musikern wie Paul McCartney und Genesis-Frontmann Peter Gabriel lernt er die Popmusik. 1974 darf Kennedy erstmals in der Band von Musikerlegende Stéphane Grappelli, der ihm Jazzrhythmen und Improvisation auf der Geige beibringt, auf dem Edinburgh Festival auftreten. Nur zwei Jahre später wird er in der Carnegie Hall als Newcomer unter den Geigenvirtuosen gefeiert.
Sprung in die internationalen Popcharts
Aber er kehrt zurück zu seiner klassischen Ausbildung. Auf einer Guarneri-Geige gibt er 1977 in London sein Profidebüt - mit einem Violinkonzert von Mendelssohn Bartholdy, virtuos präsentiert wie ein Popstar. Danach stehen ihm die Konzertsäle in der Welt offen, mit großen, berühmten Orchestern geht er auf Konzertreise, seit 1980 regelmäßig auch mit den Berliner Philharmonikern. Ein Exklusiv-Vertrag mit dem britischen Plattenlabel EMI sichert ihm eine steile Karriere, bei der er "fucking good" verdient, wie er in Interviews prahlt.
Das schrille Punker-Outfit bringt ihm nicht nur weltweit Presse, sondern auch viel Geld und einen Platz in der Musikgeschichte ein. Seine völlig unorthodox eingespielte Popversion von Vivaldis "Vier Jahreszeiten" (1989) schafft es auf Anhieb in die Popcharts in Großbritannien und auch in Deutschland. Mit über 3 Millionen verkauften Exemplaren wird die Platte das "meist verkaufte Klassikalbum aller Zeiten". Doch der Rummel wird ihm zuviel: 1992 kündigt er an, seine Karriere als Klassikgeiger radikal zu beenden. "Ein Künstler muss sich verändern, sonst stirbt er ab", ließ er damals großmäulig über seinen Presseagenten verlauten.
Ausflug in die Jazz- und Rockmusik
Seine Konzerte werden in den 90er Jahren mehr und mehr zur unorthodoxen Jazz-Performance. Kompositionen von Miles Davis wechseln mit Johann Sebastian Bach, Rockklassiker von Jimi Hendricks mit Kammermusik von Béla Bartók. Auch mit eigenen Kompositionen steht Kennedy auf der Bühne, allerdings mit nur mäßigem Erfolg. 1996 kehrt er nach vierjähriger Auszeit in die Arena der Klassik zurück. In den Konzerthäusern wird er als exzentrischer Solist und kassenfüllender Klassikstar gefeiert, vor allem junges Publikum strömt in seine meist ausverkauften Konzerte.
Er nutzt seine internationale Popularität auch für politische Botschaften: nach dem Ende des Kosovokrieges spielt er in Belgrad als erster westlicher Künstler ein umjubeltes Konzert - als Friedenssignal in die Welt. Im September 2002 tritt er zusammen mit dem jüdisch-russischen Musikkollegen Maxim Vengerov vor der Klagemauer in Jerusalem auf. Seine neu gefundene Rolle als Vermittler zwischen den musikalischen Welten und musikalischer Botschafter bringt ihm neue Anerkennung. Die Wochenzeitung "die Zeit" attestiert ihm generös, dass er "als Punk endlich gereift" sei.
Experimentierfreudig und innovativ
In Deutschland tritt er regelmäßig auf. Noch im Februar war er zu einem Gastkonzert in Berlin, zusammen mit dem Orchester der Russischen Kammerphilharmonie St. Petersburg. Bach pur, ganz klassisch, aber natürlich mit dem speziellen Kennedy-Sound. Beim Jazzfest in Bonn trat er wieder mit kleiner Jazzformation an: zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug und Kennedy an der Geige. Auf dem virtuosen Crossover-Programm: Neues aus seinem Jimi-Hendrix-Projekt.