Putin droht mit Streubomben-Einsatz in der Ukraine
16. Juli 2023
Das Wichtigste in Kürze:
- Putin: Westen hat "nichts Besseres gefunden" als Streumunition
- Baerbock sieht wenig Spielraum für weitere Militärhilfe
- Letztes Schiff vor Ablauf des Getreideabkommens verlässt Ukraine
- Selenskyj: Kriegsende hängt an globaler Unterstützung
- FSB: Mordanschläge auf Medienschaffende vereitelt
Kremlchef Wladimir Putin hat mit dem Einsatz von Streubomben gedroht, falls die Ukraine diese von den USA gelieferte Munition verwenden sollte. "Ich möchte sagen, dass Russland ausreichende Reserven verschiedener Arten an Streumunition hat", sagte Putin dem Staatsfernsehen. Moskau wolle die international geächtete Munition nicht einsetzen. "Aber natürlich, wenn sie gegen uns eingesetzt wird, dann behalten wir uns das Recht zu deckungsgleichen Handlungen vor." Menschenrechtler werfen den russischen und den ukrainischen Streitkräften vor, in dem Krieg bereits in der Vergangenheit Streubomben eingesetzt zu haben.
Der russische Staatschef warf den USA vor, die umstrittene Munition bereitzustellen, weil der Westen nicht mehr in der Lage sei, die Ukraine mit ausreichend herkömmlichen Mitteln zu versorgen. "Sie haben nichts Besseres gefunden, als den Einsatz von Streumunition vorzuschlagen." Die über dem Boden explodierenden Bomben verteilen Geschosse über größere Flächen. Weil oft viele davon nicht sofort explodieren, gelten sie wie Minen als Gefahr für Zivilisten auch in der Zeit nach Ende der Kampfhandlungen.
Baerbock: "Wir können leider nicht zaubern"
"Mit jedem Tag des Kriegs versuchen wir alles, was uns zur Verfügung steht, zu leisten, damit die Ukraine diesen Krieg gewinnen kann", sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock den Medien "Bild", "Welt" und "Politico". "Wir können nur leider nicht zaubern, ansonsten wäre dieser Krieg zu Ende", betonte die Grünen-Politikerin. Deutschland könne weiteres Material wie zum Beispiel dringend benötigte Luftabwehr "nicht einfach herbeizaubern", fügte Baerbock hinzu. Es müsse nun geprüft werden, wo die Unterstützung besser werden könnte. Konkret nannte Baerbock mögliches Gerät zur Räumung verminter Gebiete.
Die deutsche Außenministerin wies zudem darauf hin, dass - parallel zu Waffenlieferungen - das Auswärtige Amt auf diplomatischem Weg alles versuche, "dass diese brutalen Angriffe Russlands aufhören". Dabei verneinte sie allerdings die Frage, ob mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin verhandelt werden könne.
"Ich wünschte mir, dass wir verhandeln könnten. Aber derzeit geht es nicht (darum), was man sich wünscht, sondern derzeit geht es darum, der Realität ins Auge zu blicken", sagte Baerbock. In der Zeit vor dem Angriffskrieg sei versucht worden, am Verhandlungstisch eine Eskalation zu verhindern. "Die Antwort darauf war, dass 100.000 Soldaten einmarschiert sind."
Letztes Schiff vor Ablauf des Getreideabkommens verlässt Ukraine
Kurz vor dem Auslaufen des Abkommens zum Getreideexport aus der Ukraine über das Schwarze Meer hat ein letztes Schiff den Hafen von Odessa verlassen. Das berichtete ein Augenzeuge der Nachrichtenagentur Reuters. Es geht zudem aus Daten der Website MarineTraffic hervor. Das Abkommen vom Juli 2022, das von den Vereinten Nationen und der Türkei vermittelt wurde, ist seither mehrfach verlängert worden. Sollte Russland nicht zu einer erneuten Verlängerung bereit sein, läuft es am Montag aus. Russland hat wiederholt damit gedroht und seine Zustimmung an Bedingungen geknüpft.
Der russische Präsident Wladimir Putin erneuerte derweil seine Kritik an der Umsetzung des Vertrags. Das Hauptziel des Abkommens, die "Lieferung von Getreide an ärmere Länder, einschließlich des afrikanischen Kontinents", sei "nicht erreicht" worden, sagte Putin nach einer Mitteilung des Kremls in einem Telefonat mit dem südafrikanischen Staatschef Cyril Ramaphosa. Dieser bemüht sich derzeit darum, zwischen Russland und der Ukraine zu vermitteln.
Russland moniert weiter, dass eine damals ebenfalls getroffene Vereinbarung, wonach es trotz Sanktionen Dünger und Lebensmittel exportieren darf, nicht eingehalten werde.
Die Ukraine und Russland gehören zu den weltweit größten Exporteuren von Getreide. Nach dem Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine waren die Schwarzmeerhäfen zur Ausfuhr aus der Ukraine zunächst blockiert. Durch das Abkommen waren Exporte wieder möglich. Russland kritisiert jedoch, dass dadurch nur reichere Länder mit Getreide versorgt würden und nicht bedürftige Staaten in Afrika, Asien und Lateinamerika.
Putin: Ukrainische Gegenoffensive hat keinen Erfolg
Der russische Präsident Wladimir Putin hat die im Juni begonnene ukrainische Gegenoffensive als erfolglos eingestuft. Alle "Versuche des Feindes", die russischen Verteidigungslinien zu durchbrechen, seien "während des gesamten Zeitraums der Offensive" gescheitert, sagte Putin dem Fernsehsender Rossija-1. Die Lage an der Front sei für die russischen Streitkräfte "positiv". Die russischen Truppen verhielten sich "heldenhaft", betonte Putin. "Unerwartet für den Gegner" gingen "sie in einigen Sektoren sogar in die Offensive und erobern vorteilhaftere Positionen".
Am Freitag hatte der Leiter der ukrainischen Präsidialverwaltung, Andrij Jermak, eingeräumt, dass es bei der ukrainischen Gegenoffensive "nicht so schnell" vorangehe. Am Sonntag meldete der ukrainische Generalstab aus dem Süden des Landes Angriffe in Richtung der russisch besetzten Städte Melitopol und Berdjansk. Am Dienstag hatte Moskau seinerseits von einem russischen Durchbruch um eineinhalb Kilometer an einem Frontabschnitt bei Lyman in der ostukrainischen Region Donezk gesprochen.
Ukraine nach eigenen Angaben nahe Kupjansk "in der Defensive"
Die ukrainische Armee steht nach Angaben aus Kiew derzeit nahe der ostukrainischen Kupjansk unter erheblichem Druck. "Zwei Tage in Folge hat der Feind im Sektor Kupjansk in der Region Charkiw angegriffen. Wir sind in der Defensive", sagte die ukrainische Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar. "Es finden heftige Kämpfe statt, und Positionen (...) verändern sich mehrfach am Tag." Zugleich sprach sie von "allmählichen" Fortschritten nahe der umkämpften Stadt Bachmut. "Es gibt einen täglichen Vorstoß an der südlichen Flanke um Bachmut. An der Nordflanke versuchen wir unsere Positionen zu halten, der Feind greift an", erklärte die Vize-Ministerin.
Selenskyj: Kriegsende hängt an globaler Unterstützung
Der Zeitpunkt, zu dem der Ukraine-Krieg endet, hängt nach Ansicht von Staatschef Wolodymyr Selenskyj vom Ausmaß der internationalen Hilfe ab. "Jetzt, da die Geschwindigkeit des Kriegsendes direkt von der globalen Unterstützung für die Ukraine abhängt, tun wir alles, um sicherzustellen, dass diese Unterstützung maximal intensiv und maximal gehaltvoll ist", sagte Selenskyj in einer Videobotschaft. Die Ukraine werde international auf allen Ebenen arbeiten, "um den Frieden im ganzen Land und für alle Menschen wieder herzustellen", versicherte der Präsident.
"Wir können unsere Menschen, Städte und Dörfer nicht unter russischer Besatzung lassen. Wo immer russische Besatzung weiter besteht, regieren Gewalt und Erniedrigung", führte Selenskyj aus. "Nur die komplette Befreiung des gesamten ukrainischen Gebiets wird es erlauben, dass die ganze Kraft einer auf internationalen Regeln basierenden Ordnung wiederhergestellt wird."
Selenskyj hatte am Samstag den südkoreanischen Präsidenten Yoon Suk Yeol in Kiew empfangen. Südkorea sei bereit, der Ukraine bei der Wiederherstellung ihres Bildungssystems zu helfen, berichtete Selenskyj. Er habe Südkorea auch eingeladen, Rehabilitationszentren für Kriegsversehrte zu errichten. Die Ukraine setze zudem auf wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Südkorea. So brauche sein Land neue Energieanlagen, Bahngleise und Transportwege, sagte Selenskyj.
FSB: Mordanschläge auf Medienschaffende vereitelt
Der russische Geheimdienst FSB hat nach eigenen Angaben zwei von ukrainischen Diensten in Auftrag gegebene Mordanschläge verhindert. Die beiden Attentate hätten die Chefin des russischen Staatssenders RT, Margarita Simonjan, und die Influencerin Xenia Sobtschak treffen sollen, teilte der FSB mit. Simonjan ist eine wichtige Stimme der Medienmaschinerie des Kremls, Sobtschak hingegen steht der Offensive in der Ukraine kritisch gegenüber.
Nach Darstellung des FSB wurden in Moskau und der russischen Region Rjasan Mitglieder einer Neonazi-Gruppe namens "Paragraf-88" festgenommen. Diese sei von der Ukraine beauftragt worden, die beiden Frauen gegen Bezahlung zu töten. Vom Geheimdienst veröffentlichte Videoaufnahmen zeigen die Festnahme mehrerer Verdächtiger sowie angeblich beschlagnahmte Waffen und Bücher über den Nationalsozialismus. Die Angaben des FSB konnten nicht unabhängig überprüft werden.
Die Ukraine wies die entsprechenden russischen Anschuldigungen inzwischen zurück. Für Kiew spielten Simonjan und Sobtschak keine Rolle, sagte der Berater des ukrainischen Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak, im Einheitsfernsehen in Kiew. "Sie haben auf nichts einen Einfluss. Sie spielen heute keine Rolle in dem, was passiert - nicht im Rahmen des Krieges insgesamt und nicht im Rahmen dessen, dass Russland seine Position im globalen Kontext verloren hat."
kle/qu/sti/fab/wa/mak (dpa, afp, rtr)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus Kriegsgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.