Putin, Selenskyj und der Bundestag
16. März 2022Es ist im Bundestag selten geworden, dass alle Fraktionen bei grundlegenden Fragen einer Meinung sind: Beim russischen Angriffskrieg auf die Ukraine war dies der Fall.
"Völkerrechtswidrig" nennen alle Redner an diesem Mittwochnachmittag das Vorgehen des russischen Präsidenten Putin. Und alle betonen, dass Deutschland fest an der Seite der Ukraine stehe.
"Unfassbares menschliches Leid", grauenhafte Zerstörungen": Solche Formulierungen kommen in jeder Rede der gut einstündigen Aussprache vor. "Mir schnürt es das Herz zu", sagt etwa der Abgeordnete der Grünen, Robin Wagner. Und er berichtet von verzweifelten Freunden und Bekannten im Kriegsgebiet.
Deutschland habe in der Vergangenheit durch den Import von Gas und Öl aus Russland dazu beigetragen, den Krieg zu finanzieren: "Es ist für niemanden ein Geheimnis, dass wir Grünen seit langer Zeit für die Erkenntnis streiten, dass Energiewende und Klimaschutz auch sicherheitspolitische Fragen beantworten. Und deshalb ist es jetzt so überfällig, dass wir jetzt täglich unabhängiger von Öl, Kohle und Gas werden."
Die Deutschen sollten aber nicht in erster Linie über die hohen Benzinpreise an den Tankstellen jammern, wenn gleichzeitig im Krieg täglich Menschen stürben. Wagner beendet seine Rede mit dem Satz, Russlands Präsident fürchte nichts so sehr wie Demokratie und Freiheit: "Diesen Geist wird Putin aber nie besiegen können."
CDU will weitere Waffenlieferungen
Heftig erregt fordert dann der CDU-Abgeordnete David Wadephul, der Ukraine auch militärisch nochmal zu helfen. Er empfinde "Fremdscham", so Wadephul, weil Deutschland nicht genug tue.
Nach anfänglichem Zögern hatte sich die Regierung aus SPD, Grünen und FDP zu ersten Waffenlieferungen entschlossen, aber Wadephul ruft aufgebracht in Richtung Regierungsbank: "Wenn die Waffenliegerungen, die bisher erfolgt sind, für Sie nicht nur reine Gewissensberuhigung sein sollen, dann müssen Sie jetzt auch zu weiteren Waffenlieferungen bereit sein."
Heftig wird der CDU-Politiker dann von Zwischenrufen unterbrochen, als er fordert, "endlich" auch über einen Stopp der Gaspipeline Nordstream 1 aus Russland nachzudenken, einem Projekt, dass die vorherige, CDU-geführte Bundesregierung stets unterstützt hatte. Die Nerven liegen blank auch im Bundestag angesichts des Krieges.
Baerbock: "Nur Putin kann diesen Krieg beenden"
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock zeigte sich skeptisch, ob die laufenden Gespräche zwischen der Ukraine und Russland wirklich Erfolg haben könnten. Immerhin: "Putins einsamem Krieg steht eine geschlossene europäische und internationale Gemeinschaft gegenüber." Aber bitter sei es eben auch, dass allein Putin es nun in der Hand habe, diesen Krieg zu beenden.
Heftige Vorwürfe richtet die Opposition dann an Bundesinnenministerin Nancy Faeser wegen ihrer Flüchtlingspolitik. Zu lange habe die Ministerin gezögert, die Verteilung der ukrainischen Flüchtlinge auf die Bundesländer zu organisieren.
Faeser hält dagegen: "Seit dieser furchtbare Krieg begonnen hat, bin ich in sehr engem Kontakt mit den Ländern. Gemeinsam auch mit den Kommunen tun wir alles dafür, um den Kriegsflüchtlingen, die zu uns kommen, schnell und umfassend zu helfen."
Streit um Videobotschaft von Selenskyj
Und noch ein Streit entzweit Regierung und Opposition, bei aller gemeinsamen Empörung über den Krieg: Am Donnerstag wird sich, so ist es jedenfalls geplant, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videobotschaft an den Bundestag wenden.
Eine Debatte danach findet allerdings nicht statt. Empört hatte etwa CDU-Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aufgefordert, nach der Botschaft eine Regierungserklärung über den Krieg in der Ukraine abzugeben.
Es sei unmöglich, so Merz, nach der Botschaft des ukrainischen Präsidenten einfach zur normalen Tagesordnung überzugehen. Merz: "Wir empfinden das als völlig unpassend."
Die Aussage Putins, die Ukraine von vermeintlichen Nazis befreien zu wollen, bringt dann noch den FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff auf den Plan. Laut ruft Lambsdorff in das Plenum: "Diese Ukraine? Die von einem Präsidenten aus einer jüdischen Familie gerade so großartig repräsentiert wird? Von einem Präsidenten, der zahlreiche Verwandte im Holocaust verloren hat?" Darin sind sich alle Redner einig: Selenskyj verdient jede Unterstützung.