Ukraine rätselt über Putins Großzügigkeit
18. Dezember 2013"Putins Geschenke", so titelt am Mittwoch (18.12.2013) eine Kiewer Tageszeitung. Eine andere freut sich, dass die ukrainische Landeswährung Hriwna "stabil bleibt". "Billiges Gas und ein Kredit, was ist die Gegenleistung?", fragt eine dritte.
"Solange diese Frage nicht beantwortet ist, kann man die neuen Verträge zwischen Russland und der Ukraine schwer bewerten", sagte im Gespräch mit der Deutschen Welle der Kiewer Wirtschaftsexperte Andrij Nowak. Er glaube nicht an Russlands Großzügigkeit. "Der Preis dürfte hoch sein."
Kein Wort über Russlands Zollunion
Der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch hatte bei einem Treffen mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin am Dienstag in Moskau mehrere Verträge unterzeichnet. Die Ukraine erhält ab Januar russisches Gas fast um die Hälfte günstiger als bisher (268,5 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter statt 530). Außerdem gewährt Russland der Ukraine einen Kredit in Höhe von 15 Milliarden US-Dollar.
Darüber hinaus fallen russische Handelsbeschränkungen weg, die in den letzten Monaten die ukrainische Wirtschaft stark belastet hatten. Besonders ukrainische Oligarchen dürften sich darüber freuen. Ob Stahlrohre, Güterwagons oder Pralinen - Waren aus der Ukraine können wie früher ohne Zolleinschränkungen nach Russland exportiert werden. Vereinbart wurden neue Projekte im Energiesektor, Flugzeugbau und in der Raumfahrtindustrie.
Über einen möglichen Beitritt der Ukraine zu einer Zollunion ehemaliger Sowjetrepubliken sei dagegen in Moskau nicht gesprochen worden, so Putin. Früher hatte der Kremlchef betont, die Ukraine sei jederzeit in der von Russland vorangetriebenen Zollunion willkommen. Die ukrainische Regierung teilte mit, man werde weiterhin eine Annäherung an die Europäische Union betreiben.
Experte: Moskau hat geopolitische Gründe
Regierungsgegner, die seit über drei Wochen auf dem Maidan, dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz, für eine Annäherung der Ukraine an die Europäische Union statt an Russland demonstrieren, wittern Landesverrat. Sie vermuten, dass Janukowitsch Zugeständnisse gegenüber dem Kreml gemacht haben könnte, die den Interessen des Landes widersprechen.
Der Grund für Putins plötzliche Meinungsänderung sei die Geopolitik, sagte der DW der Kiewer Wirtschaftsexperte Ihor Burakowski. "Russland möchte eine Art Sowjetunion wiedererrichten und ist deshalb bereit, der Ukraine viel Geld zu geben", meint er. "Moskau steigt damit zum wichtigsten Geldgeber für Kiew auf. Die finanzielle Abhängigkeit wird noch größer werden."
Klitschko fordert Präsidenten heraus
Ähnlich äußern sich die Führer der Opposition. "Kostenlosen Käse gibt es nur in einer Mausefalle", sagte Arsenij Jazenjuk, Anführer der Partei "Batkiwschtschina" (Vaterland) auf dem Maidan am Dienstagabend. Rund 15.000 Menschen waren dem Demonstrationsaufruf der Opposition gefolgt.
Die Opposition fordert seit Beginn der Proteste vorgezogene Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Erreichen wolle sie das mit weiteren Protesten und einem Misstrauensvotum im Parlament, teilte Jazenjuk mit. Die reguläre Präsidentenwahl ist für März 2015 geplant.
Vitali Klitschko erklärte unterdessen Janukowitsch zu seinem "Hauptgegner". Der Oppositionspolitiker und Boxweltmeister ist bisher der einzige Oppositionelle, der eine Kandidatur für das Präsidentenamt angekündigt hat.
Janukowitsch kehrt als Sieger zurück
Beobachter in Kiew halten jedoch vorgezogene Neuwahlen für unwahrscheinlich: Nachdem Russland Janukowitsch den Rücken gestärkt hat, kehre der ukrainische Präsident als Sieger nach Kiew zurück; mit Putins Milliarden könne er die drohende Staatspleite abwenden. Schätzungen zufolge wäre die Ukraine ohne Kredite in rund drei Wochen zahlungsunfähig.
Wie gravierend das Problem ist, zeigt das Bespiel eines Richters aus Kiew. "Meine Kollegen und ich haben seit zwei Monaten kein Gehalt mehr bekommen", sagt der Mann, der anonym bleiben möchte. So etwas habe es zuletzt in den 1990er Jahren gegeben. Richter sind eine der wichtigen Stützen der Obrigkeit in der Ukraine und haben den Ruf, regierungshörig zu sein.
Kein Aufstand gegen den Präsidenten?
Die Regierungsanhänger aus dem Osten und Süden der Ukraine freuen sich über die Moskauer Verträge. "Schön, dass wir Russland näher sein werden", sagte der DW Andrij, ein Lokführer aus Donezk. Andrij ist einer der Tausenden, die im Kiewer Regierungsviertel für Janukowitsch demonstrieren. Dass der Präsident die Ukraine verbal nach Europa und nicht nach Russland führt, stört Andrij und andere Demonstranten nicht.
Nach der Hilfe aus Moskau muss Janukowitsch wohl keinen Aufstand fürchten. Ein von der Opposition ausgerufener Generalstreik ist ausgeblieben. "Solange der Präsident den Osten und den Süden ruhig stellen kann, hat er nichts zu befürchten", so ein EU-Diplomat. Auf dem Maidan demonstrieren ein paar tausend Menschen weiterhin gegen Janukowitsch. Redner beschwören den "Sieg der Revolution". Gleichzeitig gehen Millionen Kiewer ihren täglichen Geschäften nach.