Putins lateinamerikanische Freunde
7. März 2022Ganz Lateinamerika wurde vom Krieg in der Ukraine kalt erwischt. Die offiziellen Reaktionen schwanken von einer klaren Verurteilung durch Kolumbien, Chile und Guatemala, bis hin zu Solidaritätsbekundungen mit Putin von Nicaragua, Kuba und Venezuela. Forderungen nach einer Waffenruhe und Dialog kamen aus Peru, Ecuador, Honduras und dem aktuellen Sicherheitsratsvorsitzenden Mexiko.
Angesichts dieser Kakophonie sprach der argentinische Außenpolitikexperte Juan Gabriel Tokatlian von einer "dramatischen Fragmentierung". "Da wurde nichts abgestimmt", kritisierte der Vizerektor der Universität Torcuato Di Tello aus Buenos Aires in einem TV-Interview. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) habe zwar eine gemeinsame Erklärung aufgesetzt, aber viele Staaten wie Uruguay, Jamaika, Argentinien oder Brasilien hätten diese nicht unterschrieben.
Schulterschluss mit Putin
Das bizarrste Bild bot Brasilien, wo sich Staatschef Jair Bolsonaro zunächst für "neutral" erklärte, und dann von seinem Vizepräsidenten General Hamilton Mourão zurückgepfiffen wurde. Dieser verurteilte die russische Invasion in der Ukraine und rief dazu auf, Kiew militärisch zu unterstützen. Brasiliens UN-Botschafter erklärte derweil, Russland habe die "rote Linie überschritten".
Bolsonaro war nur wenige Tage vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine nach Moskau gereist und hatte demonstrativ den Schulterschluss mit Putin geübt. Auch Argentiniens Präsident Alberto Fernández bot sein Land als Eingangspforte für russische Investitionen in Lateinamerika an.
Bis zur UN-Vollversammlung am 2. Februar war dann das diplomatische Chaos einigermaßen gelichtet: Die Mehrzahl der lateinamerikanischen Länder stimmte schließlich für die Resolution, in der Russland aufgefordert wurde, seine Gewalt gegen die Ukraine einzustellen und jegliche Bedrohung ähnlicher Art gegen ein anderes Mitgliedsland der UNO zu unterlassen. Nur Bolivien, Kuba, El Salvador und Nicaragua enthielten sich. Venezuela kritisierte die Vorlage, durfte aber nicht abstimmen, weil das Land seine UN-Beiträge nicht entrichtet hat.
Alte Erinnerungen kommen hoch
Lateinamerikas Regierungen dürften neben völkerrechtlicher Erwägungen auch auf die öffentliche Meinung in ihren Ländern geschielt haben. Die Bilder zerbombter Häuser und flüchtender Zivilisten, die seit Tagen über Bildschirme flimmern, führen auch in in der Region zu Solidaritätsbekundungen mit den Opfern.
Noch gibt es keine Meinungsumfragen dazu, doch Invasionen wecken in Lateinamerika schlechte Erinnerungen, etwa an den Einmarsch der USA in Panama. Mexikos UN-Botschafter Juan Ramón de la Fuente brachte das auf den Punkt: "Mexiko wurde viermal in seiner Geschichte angegriffen und weiß sehr gut, was das bedeutet", sagte er.
Für die meisten Menschen in Lateinamerika ist Russland ein weit entferntes, fremdes Land. Putins Strahlkraft beschränkt sich auf eine kleine, wenngleich in sozialen Netzwerken sehr aktive Gruppe linker Intellektueller.
Abhängig von Russland
Strategisch wichtig ist die Partnerschaft allerdings für Nicaragua, Kuba und Venezuela, denen Russland beim Umgehen der US- und europäischen Sanktionen hilft. Venezuela hängt bei Weizenimporten fast komplett von Russland ab.
Entsprechend kontrovers werden in der Region Sanktionen beurteilt. NATO-Partnerland Kolumbien befürwortet sie, Mexiko und Brasilien lehnen sie ab. Brasilien hat dafür einen stichhaltigen Grund, importiert die Agrarmacht doch 69 Prozent seiner Düngemittel aus Russland.
Umstrittene Sanktionen
Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador ist ein Gegner von Sanktionspolitik und hat wiederholt das US-Embargo gegen Kuba verurteilt. Allerdings steht Mexiko unter gehörigem Druck des Freihandelspartners USA, mit dem es fast 90 Prozent seines Außenhandels abwickelt.
Auch für ein anderes Land der Region sind Sanktionen ein Damoklesschwert: El Salvador. Das Land hat 2021 den Bitcoin zur offiziellen Währung erklärt und will staatliche Schuldentitel in dieser Währung auflegen. James Bosworth, Herausgeber des "Latin America Risk Report", warnt: „Wer im Finanzsektor weiter mit russischem Geld arbeitet, kann Sanktionen unterliegen". Die Gefahr, dass Russland Geld über diese Bonds verschiebe, sei sehr real.
Für Putin dürften die Reaktionen aus Lateinamerika ernüchternd sein. Der Kreml hatte in den vergangenen Jahren sein Engagement in der Region verstärkt. Dazu gehörten Waffenlieferungen an Venezuela, die Eröffnung von Korrespondentenbüros der russischen Agenturen Sputnik und des Nachrichtensenders RT, Impfstofflieferungen in der Corona-Pandemie, Millionenkredite an Kuba sowie Militärübungen mit Venezuela.