Päpstlicher Segen in der Corona-Not
27. März 2020In einer historisch beispiellosen Geste hat Papst Franziskus um ein Ende der Corona-Pandemie gebetet. Bei der Feier am Freitagabend auf den Stufen des Petersdoms rief er die Hilfe Gottes in der Notlage und seinen Trost für Kranke und Sterbende an.
Wegen der Ausgangsbeschränkungen blieb der Petersplatz, auf dem sich sonst Zehntausende Menschen versammeln, für Gläubige gesperrt. Radio- und Fernsehanstalten aus aller Welt sowie vatikanische Medien übertrugen die Zeremonie live.
"Wir haben unerschrocken weitergemacht"
Franziskus wertete die Situation als eine Krise, die falsche Gewissheiten und Prioritäten der Weltgesellschaft aufdecke. Dabei verwies er auf Allmachtsdenken, Gewinnsucht und Rücksichtslosigkeit gegenüber Schwachen und ökologischen Ressourcen. "Wir haben unerschrocken weitergemacht in der Meinung, dass wir in einer kranken Welt immer gesund bleiben würden", sagte der Papst.
In seiner Ansprache würdigte er diejenigen, die sich für eine Überwindung der Pandemie einsetzten. Ausdrücklich nannte Franziskus Ärzte und Krankenschwestern, aber auch Supermarktangestellte, Reinigungspersonal, Betreuer, Transporteure, ehrenamtliche Helfer und Geistliche. Es seien viele, "die verstanden haben, dass niemand sich allein rettet".
Segen wirkt per Fernsehen
In einer einmaligen Geste spendete Franziskus dann den Sondersegen "Urbi et Orbi" und rief die Menschen eindringlich zu mehr Zusammenhalt auf.
Weltweit kennen auch Menschen, die nichts mit Kirche zu tun haben, diesen Segen, weil er in der internationalen medialen Berichterstattung zum festen Programm des Papstes an Weihnachten und Ostern zählt. Die lateinischen Worte bedeuten "der Stadt und dem Erdkreis". Sie verdeutlichen, dass die Kirche den wohl seit dem 13. Jahrhundert bekannten Segen global versteht. Und wer ihn gläubig erlebt, dem sagt die Kirche damit die Aufhebung bestehender Sündenstrafen zu.
In der Moderne gewann dies an Relevanz. Denn ganz offiziell ist der Empfang des Segens, den der Papst vom zentralen Balkon des Petersdoms spendet, auch elektronisch möglich. Seit 1967 über das Radio, seit 1985 per Fernsehen, seit 1995 auch im Internet. Immer an den hohen Kirchenfesten und stets nach der Wahl eines neuen Papstes.
Erstmals seit Generationen
Aber außerordentlich, jenseits der üblichen Termine? Man muss bei der Recherche schon diverse Theologen fragen, wann es das zuletzt gab und landet im Jahr 1950. Vor 70 Jahren verband Papst Pius XII. die Verkündigung des Dogmas von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel mit einem feierlichen Segen "Urbi et orbi". Das ist Generationen her.
Die Lage ist ernst
Mit dieser Feier, sagt der katholische Theologe Ulrich L. Lehner der Deutschen Welle, zeige Franziskus, "wie ernst die Lage in Italien ist". Das Land hat bislang mehr als 8200 Todesopfer zu beklagen, darunter mindestens 60 katholische Priester. Am Mittwoch verstarb in Brescia erstmals ein Bischof in Folge des Coronavirus. Lehner: "In einer Zeit, in der die Kirchen still geworden sind, weil es keine öffentlichen Messfeiern mehr gibt, spricht die Kirche mit dieser Geste, die sich an alle richtet: Gott ist da! Er bleibt bei uns, auch in diesen schweren Stunden." Die Botschaft solle auch allen Helferinnen und Helfern, sei es in der Gesundheitsversorgung, an Supermarktkassen oder in der Logistik, zeigen, dass der Papst und alle Katholikinnen und Katholiken für sie beteten. Ein solches Gebet, so Lehner, sei "nie nutzlos".
Ähnlich äußert sich im Gespräch mit der Deutschen Welle der Theologe Thomas Schüller. "Dass Papst Franziskus auf diese Form des Segens zurückgreift, zeigt, wie ernst er die Lage sieht. Er weitet den Blick auf die Weltgemeinschaft, die gemeinsam leidet", sagt der Münsteraner Kirchenrechtler. Mit diesem Segen stelle der Papst die Welt "in ökumenisch-religiöser Weite unter den Schutz Gottes".
Der 43-jährige Lehner, ein Bayer, lehrt Theologie an der University of Notre Dame im US-Bundesstaat Indiana, eine der angesehensten katholischen Universitäten weltweit. Sein Schwerpunkt ist Kirchen- und Theologiegeschichte. Vielleicht auch deswegen sagt er, erinnere ihn die Geste des Papstes an Schilderungen aus dem Zweiten Weltkrieg in Rom. Da sei Papst Pius XII. mit dem Auto in zerbombte Stadtteile gefahren, habe mit Hilfesuchenden gebetet, ihnen als Unterstützung Geld überreicht. "Petrus ist da. Er ist alt, gebrechlich, aber Petrus ist da. Er läuft nicht weg", sagt Lehner.
Der alte Mann und das Leid
Der jetzige Nachfolger des Petrus ist 83 Jahre alt. Und wenn er auch nicht gebrechlich ist, so gilt er in Corona-Zeiten als doppelt gefährdet. Als junger Mensch wurden ihm wegen einer Erkrankung Teile des rechten Lungenflügels entfernt. Und aus dem vatikanischen Gästehaus, in dem nur wenige Mitarbeiter des Papstes dauerhaft wohnen, wurde in dieser Woche ein italienischer Monsignore in ein Krankenhaus der Stadt gebracht. Er ist am Coronavirus erkrankt.
Wer in dieser Woche die morgendliche Messe des Papstes aus der Kapelle des Gästehauses verfolgt, erlebt einen nachdenklichen, fast erschüttert wirkenden Geistlichen, dem jedes päpstlich-pompöse Verhalten fremd ist. Langsam spricht er, wenn er die Schicksale jener anspricht, die unter dem Coronavirus leiden. Fast wirkt es, als flehe er, als ringe er mit Gott. Seit einigen Tagen strahlt auch das italienische Fernsehen RAI die Messe des Papstes aus. Die Zuschauerzahl steigt von Tag zu Tag.
Zur Feier des Bittgebets und des Segens für die Welt holten laut italienischen Medien Vatikan-Mitarbeiter ein altes Holzkreuz auf den Petersplatz. Franziskus besuchte es in einer Kirche, als er am vergangenen Sonntag unangekündigt als Pilger durch die menschenleere römische Innenstadt ging. Als die Pest im Jahr 1522 die Stadt Rom traf und viele Menschen starben, brachten die Gläubigen das Kreuz von der Kirche, in der es verehrt wurde, in einer tagelangen Prozession zum Petersplatz. Damals, so schildern es historische Berichte, habe nach der Feier am Petersplatz die Pest gestoppt.