Quo vadis, Berlinale?
5. Dezember 2017Die Kulturstaatsministerin hatte geladen, viele waren gekommen. Im Berliner Haus der Kulturen der Welt sollte am Montagabend (4.12.2017) ganz allgemein über "Filmfestivals heute" diskutiert werden, über deren Aufgaben, Chancen und Herausforderungen. Aber klar war nach dem vor einer Woche veröffentlichten und vieldiskutierten Brief von gut 80 namhaften Regie-Größen: Es würde nur um ein einziges Filmfestival gehen, die Berlinale und um deren Chef Dieter Kosslick, dessen Vertrag 2019 endet.
Kosslicks Verdienste
"Wir alle, die wir Strahlkraft und Stellenwert der Berlinale im Wettbewerbsfeld der internationalen A-Festivals sichern wollen, haben allen Grund, Dieter Kosslick dankbar zu sein für im besten Sinne prägende Berlinale-Jahre", betonte Monika Grütters in ihrem Eingangsstatement. Die Berlinale sei das größte Publikumsfestival der Welt, ein Kulturereignis von enormer Strahlkraft, sie zeige Haltung und sei das politischste unter den A-Festivals. Damit war die Kritikvom Tisch gewischt, die im Fahrwasser des offenen Briefs der Filmschaffenden auch an Kosslick laut geworden war: Unter ihm sei die Berlinale zu groß und ihr Programm zu beliebig geworden, konnte man immer wieder hören und lesen. Natürlich nehme sie, die Kulturstaatsministerin, die Debatte ernst und Anregungen gerne auf. Im Übrigen müsse sie klarstellen: In die Debatte um die Nachfolge des Berlinale-Chefs, für deren Besetzung sie als Kulturstaatsministerin zuständig ist, habe sich manche Fehlermeldung eingeschlichen: "Falsch ist das Gerücht, gesucht würde eine deutsche Frau. Richtig ist: Es gibt keinerlei Vorfestlegung auf eine weibliche oder deutsche Nachfolge!" Ebenso falsch sei das Gerücht, "wonach der Name Dieter Kosslick für eine Schlüsselposition nach 2019" gesetzt sei. "Richtig ist: Es gibt keinerlei Vorfestlegung auf bestimmte Personen, in welcher künftigen Führungsstruktur auch immer“.
Und nun?
Danach gab es eigentlich nicht mehr viel zu sagen, aber da die Diskutanten nun mal geladen waren, sollten sie auch zum Zuge kommen. Regisseur Christoph Hochhäusler, den man als Sprachrohr der Unterzeichner bezeichnen könnte, erhielt zunächst die Gelegenheit, in einem Statement deutlich zu machen, was genau die deutschen Filmemacher und –macherinnen denn nun genau mit ihrem Brief bewirken wollen - denn in ihm wird ja nur recht unpräzise eine Neuausrichtung der Berlinale gefordert. Im Duett mit Dokumentarfilmer Thomas Heise deutete er ein Festival an, das, auf Kleinstadtgröße geschrumpft, schön polarisiert, keinen Trends oder Sachzwängen folgt, sich für den deutschen Film interessiert und ihm internationale Aufmerksamkeit verschafft.
Geschärfte Kriterien?
Volker Schlöndorff hatte den Brief auch unterschrieben, das aber an diesem Abend scheinbar vergessen. Geschärfte Kriterien hätte er sich gewünscht, zum Beispiel den Vorschlag eines Gegenprogramms zum offiziellen Festival statt des "Wischiwaschis, das alle unterschrieben haben".
Kurzum, richtig gute Ideen für die Zeit nach Kosslick hatten die anwesenden Filmemacher nicht. Und für die Christiane Peitz, Leiterin der Kultur des "Tagesspiegel", verdichtete sich der Eindruck, dass "die Berlinale, die ihr euch wünscht, als Zukunftsszenario, in Teilen schon da ist".
Damit ist die Aufregung möglicherweise raus aus der Debatte um die Zukunft der Berlinale. Deutlich geworden aber ist, wie schwer es sein wird, die Leitung adäquat neu zu besetzen. Die Kulturstaatsministerin hat die richtigen Fragen jedenfalls mitgenommen: Wer brennt für das Kino, ist bestens vernetzt und in der Lage, das Festival auf Augenhöhe mit Cannes und Venedig in die Zukunft zu führen? Würde eine Doppelspitze aus Management und künstlerischer Leitung Sinn machen? Muss so ein Team überhaupt aus Deutschland kommen? Soll sich die Berlinale weiterhin neuen visuellen Erzählformen öffnen? Oder soll sie das traditionelle Kino verteidigen? Wie wichtig ist das künstlerisch experimentelle Moment? Und wie viel Wachstum verträgt das Festival?
Und nun? - Gremienarbeit
An diesem Dienstag (5.12.2017) tagt der Berlinale-Aufsichtsrat. Kulturstaatsministerin Monika Grütters wird dort vorschlagen, Experten aus der Filmbranche beratend hinzuziehen. Sie sollen Vorschläge für eine künftige Struktur des Festivals und die damit verbundenen Personalentscheidungen unterbreiten. Eine Entscheidung über die Nachfolge Dieter Kosslicks soll dann im kommenden Jahr getroffen werden.