Quo Vadis, Europa?
22. Januar 2015Jeder europäische Politiker, der sich in Davos über die Europäische Zentralbank (EZB) äußerte, begann mit folgender Erklärung: "Ich respektiere die Unabhängigkeit der EZB von der Politik." Die deutsche Bundeskanzerlin sagte es ebenso wie der deutsche Wirtschaftsminister und die Regierungschefs von Italien und Finnland.
"Was immer die EZB heute entscheidet, wir heißen es mit einem Lächeln willkommen", fügte der finnische Premierminister Alexander Stubb kurz vor der Entscheidung in Frankfurt hinzu.
Die EZB-Entscheidung dürfe aber nicht davon ablenken, "dass die eigentlichen Wachstumsimpulse über vernünftige Rahmenbedingungen durch die Politik gesetzt werden müssen und gesetzt werden können", betonte Angela Merkel. Die deutsche Bundeskanzlerin lobte, dass inzwischen auch Italien und Frankreich Reformen in Angriff nehmen. "Ich sage: endlich. Das sind gute Nachrichten", so Merkel. "Aber wir haben auch schon viel Zeit verloren, und die Zeit drängt."
Keine Kritik aus Davos
"Die EZB hat vor allem die Hoffnung, dass das zur wirtschaftlichen Belebung in Europa beiträgt", sagte der deutsche Wirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel gegenüber DW. "Aber man darf nicht der EZB allein die Aufgabe übertragen, sich um Wachstum und Beschäftigung zu kümmern." Deshalb unterstütze die Bundesregierung den Plan der EU-Kommission, Investitionen in Höhe von rund 300 Milliarden Euro durch öffentliche und private Mittel zu ermöglichen.
Von offizieller Seite gab es in Davos also kein kritisches Wort an der Entscheidung der EZB, durch den massiven Ankauf von Staatsanleihen neues Geld zu erzeugen - obwohl bekannt ist, dass viele Regierung im Norden der Eurozone diesen Kurs ablehnen.
Der niederländische Regierungschef Mark Rutte betonte daher wie auch Merkel die Bedeutung von Strukturreformen als Ausweg aus der Stagnation. "Europa ist im Moment einfach nicht wettbewerbsfähig", so Rutte in Davos. "Meine große Sorge ist, dass wir in Europa die Konsolidierung der Finanzen und die Umsetzung der Reformen langsamer angehen, während wir eigentlich das Tempo erhöhen müssten."
Vorbild Lettland
Kaum ein Land in Europa hat so einschneidende Reformen unternommen wie Lettland. 2009 stürzte das Land in eine tiefe Krise, die Wirtschaftsleistung brach im zweistelligen Prozentbereich ein, die Arbeitslosigkeit erreichte ähnliche Höhen wie in Spanien oder Griechenland.
Trotzdem gelang es dem kleinen Staat im Baltikum, das Steuer herumzureißen. Inzwischen wächst die lettische Wirtschaft wieder, im vergangenen Jahr trat das Land der Eurozone bei.
Voraussetzung für diesen Erfolg waren drei Dinge, sagt die lettische Premierministerin Laimdota Straujuma: "Schnelle Entscheidungen. Eigentümerschaft - die Reform wurde in Lettland entwickelt, es ist unsere Reform. Und schließlich: Solidarität. Alle Beteiligten - Gewerkschaften, Unternehmer, Politiker - haben sich gemeinsam für Konsolidierung und Strukturreformen entschieden.
In Griechenland und vielen anderen Ländern fehlte es dagegen an diesen drei Voraussetzungen, und das ist mit ein Grund für den Erfolg populistischer und extremer Parteien und Bewegungen. Am Sonntag (25.1.) entscheidet sich, ob das radikale Linksbündnis Syriza die nächste griechische Regierung stellt und dann den bisherigen Reformkurs stoppt.
Keine Geschenke für Griechenland
Der finnische Ministerpräsident Alexander Stubb machte deutliche, dass er zumindest keinen Schuldenerlass akzeptieren will. "Wir werden uns mit jeder demokratisch gewählten Regierung in Griechenland auseinandersetzen", so Stubb in Davos. "Aber es würde uns sehr schwerfallen, Griechenlands Schulden zu streichen oder umzuschulden."
Sämtliche europäische Regierungschefs betonten in Davos immer wieder, wie wichtig es ist, der Bevölkerung die Notwendigkeit von Reformen zu vermitteln. Gleiches gelte für das geplante Freihandelsabkommen zwischen der der EU und den USA (TTIP), das Merkel und andere Regierungschefs als große Chance lobten, wichtige Standards für den internationalen Handel festzulegen.
Große Teile der Bevölkerung in vielen europäischen Ländern sind offenbar anderer Meinung und gehen gegen Reformen, Sparpolitik und TTIP auf die Straße oder unterstützen neue politische Parteien. Der deutsche Wirtschaftsminister Gabriel nutzte die Gelegenheit, sich vor der versammelten Finanz-Elite in Davos als aufmerksamer Sozialdemokrat zu präsentieren. "Der Dialog zwischen den Eliten aus Politik und Wirtschaft unterscheidet sich sehr von den Debatten, die die Bevölkerung auf der Straße führt."