1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Rüstungswettlauf im Jemen-Krieg

Kersten Knipp | Emad Hassan
28. Mai 2019

Die Huthis haben Saudi-Arabien mehrfach mit Raketen und Drohnen beschossen. Die Botschaft: Auch das Königreich ist verwundbar. Dort dürfte das nur wenig Eindruck machen. Eine neue Qualität der Gewalt ist wahrscheinlich.

https://p.dw.com/p/3JDeM
Saudi-Arabien Raffinerie Ras Tanura
Bild: Reuters/A. Jadallah

Eine getroffene Pipeline, zwei knapp verfehlte Pumpstationen: Das ist das Resultat eines aus dem Jemen gelenkten Drohnenangriffs auf eine Erdöl-Förderanlage westlich von Riad, der Hauptstadt Saudi-Arabiens vor knapp zwei Wochen. Der unmittelbare Sachschaden war überschaubar, umso größer aber der mittelbare: Der Ölkonzern Aramco setzte die Arbeiten in der Anlage aus Sicherheitsgründen aus.

Wer hinter den Angriffen steckt, ist nicht eindeutig erwiesen. Allerdings spricht vieles für die aufständische Volksgruppe der Huthis, die seit Jahren die jemenitische Regierung bekämpfen. Die Huthis hatten bereits im März die Verantwortung für einen Angriff auf Einrichtungen der saudischen Erdölindustrie übernommen. Anfang Mai hatte es einen bislang ungeklärten Sabotageakt auf internationale Handelsschiffe vor der Küste der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), darunter auch einen saudischen Öltanker, gegeben. Offen ist, ob die Huthis auch in ihn verwickelt sind. 

Die Huthis sind Hauptgegner Saudi-Arabiens: Das Königreich bekämpft sie seit fast vier Jahren an der Spitze einer internationalen Koalition. In Riad gelten die Huthis als verlängerter Arm des regionalen Rivalen, des Iran.

Aus Sicht der Huthis ist der Angriff - es ist nicht der erste seiner Art - ein enormer Erfolg. Seit Jahren weisen sie darauf hin, dass der Jemen, eines der ärmsten Länder der Welt, international eines der wichtigsten Plätze für den Einsatz von Drohnen geworden sei. Unter ihnen hat besonders die jemenitische Zivilbevölkerung zu leiden.

Saudische Soldaten bei einer Militärparade in Mekka
Machtdemonstration: saudische Soldaten bei einer Militärparade in MekkaBild: picture-alliance/dpa/A. Hassan

Ein Stellvertreterkrieg

Der Umstand, dass die Huthis nun in der Lage sind, ihrerseits Saudi-Arabien mit Drohnen anzugreifen, deutet darauf hin, dass internationale Akteure intensiv in dem Konflikt engagiert sind. Bereits im Jahr 2018 hatte eine unabhängige Expertengruppe im Auftrag der Vereinten Nationen (UN) Überreste in Saudi-Arabien gefundener Drohnen analysiert.

In dem Bericht der Analysten hieß es, die Huthis beanspruchten  zwar, die Drohnen selbst gebaut zu haben. Die technische Analyse lege aber einen anderen Schluss nahe: "Tatsächlich wurden die Drohnen aus Komponenten zusammengesetzt, die von einer ausländischen Quelle zur Verfügung gestellt und in den Jemen gebracht wurden." Eines der Modelle, "Qatif" mit Namen, sei "in Entwurf, Dimensionen und Kapazitäten nahezu identisch mit dem Modell Ababil-T, das von der iranischen Luftfahrtindustrie produziert wird."

Drohnen wie die, deren Überreste in Saudi-Arabien gefunden wurden, seien relativ billig, sagt der irakische Militärexperte und General Nazim Tawfiq im Gespräch mit der Deutschen Welle. Ihr Preis liege je nach Typ zwischen 300 und 3000 Euro. Neben den Drohnen könnten allerdings auch konventionelle Raketen eingesetzt worden sein, vermutet er. "Sanaa und Riad liegen ungefähr 1100 Kilometer auseinander. Die in Saudi-Arabien gefundenen Drohnentypen lassen sich aber nur über 200 Kilometer steuern. Darum liegt es nahe, auch den Einsatz anderer Waffentypen zu vermuten", so Tawfiq.

Eine neue Eskalationsstufe

Unabhängig davon, welche Waffen eingesetzt wurden, stellten die Angriffe der letzten Wochen auf jeden Fall eine weitere Eskalationsstufe dar, sagt der jordanische Waffenexperte General Mamun Abu Nawar. "Es handelt sich um eine grundlegende strategische Veränderung", so Aba Nawar im Gespräch mit der DW. "Die Huthis haben den Saudis durch den Angriff zu verstehen gegeben, dass ihr Land fortan nicht mehr sicher ist." Es sei nun jederzeit potentiell verwundbar. Die Huthis selbst hatten erklärt, sie könnten rund 300 bedeutende militärische Ziele in Saudi-Arabien angreifen.

Jemen Luftangriff auf Sanaa
Luftangriff auf Sanaa, Januar 2019Bild: Getty Images/AFP/M. Huwais

Dies sei eine durchaus ernst zu nehmende Behauptung, so Tawfig im DW-Gespräch. Die Saudis hätten zwar zahlreiche Flugabwehrraketen des Typs Patriot gekauft. "Doch deren Reichweite beträgt rund 84 Kilometer." Um das gesamte Territorium des Königreichs abzudecken, bräuchte es eine Vielzahl von Raketen. Schon der Angriff auf das Ölfeld vor zwei Wochen habe gezeigt, dass nicht einmal dieses rund 16000 Quadratkilometer große Areal hinreichend mit Patriot-Raketen bestückt war.

Insgesamt hätten die Huthis durch den Einsatz von Drohnen ebenso wie von Raketen das militärische Kräfteverhältnis massiv zu ihren Gunsten verändert, so der jordanische Experte Abu Nawar. Das Abwehrsystem der Saudis - eine Patriot-Rakete kostet bis zu sechs Millionen US-Dollar - habe insgesamt Milliarden Dollar gekostet. Dennoch zeigt sich, dass es das Land nicht unverwundbar mache. Vergleichsweise billige Drohnen reichten, um es zumindest an einigen Stellen angreifbar zu machen.

Zugeständnisse auf beiden Seiten unwahrscheinlich

Der Einsatz der Drohnen und Raketen lasse vermuten, dass der Konflikt vor einer neuen Eskalationsstufe stehe, ergänzt General Tawfiq. "Der Einsatz dieser Waffen wird Saudi-Arabien aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zum Einlenken oder gar Zugeständnissen bewegen", vermutet Aba Nawar. Im Gegenteil: Das Land werde versuchen, sich zusätzlich zu wappnen - wie der Iran versuchen werde, den Huthis noch stärkere Waffen zukommen zu lassen.

Beide Kontrahenten haben den Jemen zum Schauplatz eines Stellvertreterkrieges auserkoren. Verhandlungen haben sie bislang kaum miteinander geführt. So ist der Krieg aus ihrer Sicht einer ums Ganze. Entsprechend entschlossen dürften beide Seiten ihn führen, zum Schaden der zwischen ihnen eingeklemmten jemenitischen Zivilisten. Für sie ist der Krieg längst zu einer humanitären Katastrophe geworden.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika