Radikalisiert durch das Internet
15. Februar 2012Arid Uka ist 22 Jahre alt. Vor einer Woche wurde der schmale und schüchterne junge Mann vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Im März 2011 hatte er am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten erschossen und zwei weitere schwer verletzt, die unbewaffnet in einem Bus saßen. Zu der Tat getrieben wurde er nach eigenen Aussagen durch ein Video im Internet, das angeblich die Vergewaltigung einer muslimischen Frau durch amerikanische Truppen zeigte. Es war der erste islamistische Anschlag auf deutschem Boden.
Erst kurz vor der Bluttat war der Deutsch-Kosovare Arid Uka mit dem extremistischen Islam in Berührung gekommen. Wenige Tage vor dem Anschlag hatte er sein Facebook-Profil im Internet geändert und sich den Kampfnamen Abu Reyyan gegeben. Nach dem Doppelmord wurde er auf der Internetseite der Islamischen Hacker-Union für seine Bluttat gepriesen. "Alhamdulillah der Bruder Abu Reyyan hat zwei Amerikaner in Frankfurt erschossen, er hat zwei Feinde von Allah erschossen und zwei verletzt. Möge Allah ihn festigen und ihm Geduld geben. Der Bruder Abu Reyyan hat eine hervorragende Leistung gebracht Alhamdulillah."
Gotteskämpfer im Internet
Für die Verfassungsschützer ist Uka ein typischer Fall. Immer häufiger lassen sich dschihadistische Einzeltäter durch das Internet radikalisieren, so ihre Erfahrung. Wenn sich aber ein Terrorist seine Motivation nur über das Internet hole, sei er kaum zu entdecken, warnte nun Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm beim Europäischen Polizeikongress in Berlin.
Im Internet finden die angehenden Glaubenskämpfer Texte, Fotos und Videos, die sie oft sehr schnell zu Extremisten werden lassen. Die Saarbrücker Wissenschaftlerin Judith Tinnes hat in ihrer Doktorarbeit die Internetpräsenz von Islamisten untersucht und auf 800 Seiten analysiert. Seit dem Beginn des Krieges gegen den Terror im Jahr 2011, sei das Internet zum Leitmedium islamistischer Terrorgruppen geworden, sagt sie. Das Verwenden des Internets als Informations- und Kommunikationsmedium habe sich dabei regelrecht als neue Form der Kriegsführung herausgebildet. "Islamisten haben für diese Online-Aktivität extra ein eigenes Wort geschaffen, nämlich der elektronische Glaubenskrieg oder auch der elektronische Jihad, abgekürzt E-Jihad", weiß Tinnes. Die Jihadisten seien der Meinung, dass der E-Jihad mindestens genau so eine große Bedeutung habe wie der Kampf auf dem physischen Schlachtfeld.
Auch deutsche Internetseiten rekrutieren Terroristen
Gab es früher hauptsächlich arabische Seiten mit islamistischen Inhalten, so sind es heute Seiten in allen möglichen auch westlichen Sprachen, darunter auch auf Deutsch. Über ein ausgeklügeltes Distributionssystem verteilen die Betreiber ihre Propaganda im Netz. Um dies zu veranschaulichen benutzt Judith Tinnes das Bild eines Steines, der in ein stehendes Gewässer geworfen wird. Er bilde ringförmige Kreise um sich herum. Ganz ähnlich seien die Internet-Seiten der Dschihadisten aufgebaut: "In der Mitte hat man die Primärseiten, die sogenannten Mutterseiten. Auf diesen Seiten dürfen nur die Administratoren posten oder die sogenannten Nachrichtenkorrespondenten von Terrorgruppen oder von deren Medienorganen. Dieses Material wird dann von den Sekundärseiten aufgegriffen, dem zweiten Ring, dann von den Tertiärseiten, dem dritten Ring und dann immer so weiter". So entstehe eine Bewegung von innen nach außen.
Mittels dieser Technik werden zum Beispiel Propagandavideos in Windeseile über das Netz verbreitet. Sie tragen ganz besonders zu einer schnellen Radikalisierung bei, sagt der Verfassungsschützer Benno Köpfer, Spezialist für islamischen Terrorismus am Landesamt für Verfassungsschutz in Stuttgart. Vor allem dann, wenn sie muslimische Opfer zeigen, die von westlichen Soldaten gepeinigt werden. "Das sind Bilder, mit denen ganz starke Emotionen geschürt werden und die dann auch bei jungen Männern verfangen, die sagen, gegen diese Ungerechtigkeit muss ich was machen." Die Macht der Bilder könne man gar nicht groß genug einschätzen.
Von Deutschland aus in den Heiligen Krieg
Einer, der sich von solchen Videos hat einfangen lassen, war auch Abdullah, genannt Miqdaad, ein Deutsch-Afghane aus Essen. Er war im November 2010 nach Afghanistan gekommen, um sich in einem Terrorcamp zum Gotteskämpfer ausbilden zu lassen. Nur wenige Monate später starb er in der Nähe von Kundus bei einem Feuergefecht mit amerikanischen Soldaten. Miqdaad gehörte zu einer wachsenden Anzahl junger Dschihadisten aus Deutschland, die in den Heiligen Krieg ziehen. Viele von ihnen stammen aus Familien mit Migrationshintergrund, andere sind Konvertiten, die sich zum Islam bekehrt haben. So wie Eric Breiniger aus dem Saarland, der meistgesuchte deutsche Terrorverdächtige, der im Jahr 2007 untertauchte und im April 2010 im Alter von 23 Jahren in Pakistan umkam. Oder wie die drei Ehepaare aus Berlin, die im Jahr 2010 in das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet reisten, um sich dort dem Kampf gegen die Ungläubigen zu widmen.
Eines fällt dabei besonders auf, so der Stuttgarter Verfassungsschützer Benno Köpfer: "Die Dschihadisten werden immer jünger. Das können schon Jugendliche im Alter von 12, 13 oder 14 Jahren sein, die hier in der Propaganda erklärt bekommen, was gut und was böse ist und wo der Feind steht." Sie aufzuspüren und ihnen rechtzeitig das Handwerk zu legen, das bleibt für die deutschen Sicherheitsbehörden eine zentrale Aufgabe.
Autorin: Bettina Marx
Redaktion: Kay-Alexander Scholz