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Radsport: Virtuell ins Regenbogentrikot

Tom Mustroph
8. Dezember 2020

Das Fieber des E-Sports erfasst jetzt auch die traditionellen Verbände. Der Weltverband UCI richtet die erste virtuelle Rad-WM aus. Mit dabei der Offline-Ruderer und Online-Radsportler Jason Osborne.

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Zwift - virtuelles Radrennen, Amateursportler in Koblenz
Bild: DW/J. Weber

Virtueller Radsport ist das neue große Ding. Die Hersteller von Rollentrainern kommen mit der Produktion kaum hinterher. Winterliche Temperaturen und Corona-Beschränkungen sorgen für einen Boom des Indoor-Radsports. Auch der Radsportweltverband UCI macht mit und richtet am 8. und 9. Dezember die erste virtuelle Rad-WM aus.

Mit dabei ist Jason Osborne. Eigentlich ist er Ruderer - und im Leichtgewichtszweier auch für die Olympischen Spiele in Tokio qualifiziert. Osborne mag aber auch die Schinderei auf dem Ergometer. Im vergangenen Jahr wurde er Weltmeister im Ergo-Rudern. Weil er als Ausgleichstraining Radsport betreibt, nahm er auch bei virtuellen Radrennen teil. Im Frühjahr gewann er auf der Alpe du Zwift, der virtuellen Nachbildung von Alpe d'Huez, dem legendären Alpenaufstieg der Tour de France.

Aktuell hält sich Osborne im Trainingslager der Ruderer in Portugal auf. Und nach ein paar Trainingseinheiten auf echtem Gewässer wird er sich mit seiner smarten Rolle auf der Plattform Zwift einloggen und als Mitglied des deutschen Nationalkaders für den virtuellen Radsport um das Regenbogentrikot kämpfen.

Anti-Doping-Regeln auch im E-Cycling

"Die Wahl des Kurses ist leider etwas simpler ausgefallen", sagte Osborne der DW. "Es ist die Watopia Hilly Route, auf der 52 Kilometer mit etwa 400 Höhenmetern absolviert werden. Für mich persönlich ist das etwas langweilig. Ich hätte mir da etwas mehr Berge gewünscht, beispielsweise eine Alpe du Zwift." Genau auf der hat er ja schon einmal gewonnen, in einem Rennen der deutschen E-Racing-Bundesliga.

Obwohl es bei der virtuellen WM keine großen Berge gibt, rechnet Osborne sich dennoch gute Chancen aus. Denn einige potenzielle Kontrahenten, die große Erfahrung mit den Algorithmen der Strecke haben, weil sie viel auf Zwift herumfahren, dürfen bei der E-WM nicht mitmachen.

"Grund sind die Anti-Dopingbestimmungen", sagte Tim Böhme der DW. "Wir durften nur nominieren, wer im Anti-Doping-Testpool registriert ist. Und das sind entweder Profi- oder Elitefahrer - oder eben jemand wie Jason, der über das Rudern im Testpool ist." Böhme ist Digital Head Coach, der Cheftrainer der virtuellen Sportlerinnen und Sportler beim Bund Deutscher Radfahrer. Er hat den Kader für die virtuelle Rad-WM zusammengestellt und auch die German Cycling Academy (GCA) aus der Taufe gehoben.

Die organisierte im Sommer bereits die virtuelle Bundesliga und bietet seit November 2019, also noch vor Ausbruch der Pandemie, virtuelle Trainingsfahrten sowie die Rennserie GCA Cup an. Über die German Cycling Academy will Böhme Talente sichten und perspektivisch einen Nationalkader für den virtuellen Radsport aufbauen.

Besondere Art des Krafteinsatzes

"Es ist eine eigene Radsportdisziplin, die sich da entwickelt. Sie soll nicht das Draußen simulieren. Es gibt sogenannte Gamification-Tools, die diese Disziplin sehr speziell machen." Böhme spielt dabei auf den Aerohelm an, der eingesetzt werden kann, um über kurze Zeit den virtuellen Luftwiderstand zu verringern. Auch ein Tool zur Gewichtsreduktion gibt es - beides auch bei der WM. 

Zwift - wenn ein Sport digital wird

Von anderen Radsportdisziplinen unterscheidet sich E-Cycling in der Art des Krafteinsatzes. Zwar muss man auch hier treten, aber anders und mitunter an anderen Stellen. "Windschatten-Fahren kommt ebenso wie auf der Straße in Frage. Man spart in der Gruppe Kraft, kann aber nicht von der Gruppe wegfahren. Wenn man einmal abgehängt ist, kommt man fast nicht mehr an die Gruppe heran", erklärt der BDR-Cheftrainer. "Man muss beim E-Cycling auch bergab treten." Insgesamt, so Böhme, sei "hoher Poweroutput über 20 bis 30 Sekunden" erforderlich.“

Auch gestandene Radprofis am Start

E-Cycling ist also vor allem etwas für explosive Fahrer. Was Ausdauertypen wie der kolumbianische Radprofi Rigoberto Uran da leisten können, ist eine spannende Frage. Der frühere Zweite der Tour de France und Silbermedaillen-Gewinner der Olympischen Spiele 2012 nimmt ebenso an der E-WM teil wie der Italiener Alberto Bettiol, der 2019 die Flandern-Rundfahrt gewann. .

Eine ganz besondere Rolle spielt bei virtuellen Rennen das Gewicht. 24 Stunden vor WM-Start gibt es daher ein offizielles Wiegen der Starter. Wie beim Boxen kann man dabei tricksen und vorher Flüssigkeit abschwitzen. Nicht erlaubt sind hingegen Manipulationen an den Wettkampfgeräten. Die werden für die WM eigens von der UCI geliefert. Und jeder Teilnehmer muss auch seine Leistungen über eine zweite Messquelle dokumentieren. So sollen unglaubwürdige Leistungskurven identifiziert werden. Für eine Zukunft als Wettkampfsport ist eine solche Kontrollinstanz auch notwendig.

Österreich Ruder-Weltmeisterschaften 2019 Jonathan Rommelmann Jason Osborne
Ruderer Jason Osborne (r.) will Radprofi werdenBild: Helmut Fohringer/APA/picturedesk/picture alliance

"Ich finde E-Cycling eine gute Sache. Gerade in Corona-Zeiten ist es für viele noch einmal eine extra Motivation", sagt WM-Starter Jason Osborne. "Ich hoffe, dass es sich noch weiter entwickeln wird. Dass es dann richtige E-Cycling-Teams gibt, die es in Vollzeit machen, wie jetzt die Mannschaften auf der Straße. Ich fände es cool, wenn das eine große Sache wird."

Nach der Olympiasaison 2021 will Osborne allerdings erst einmal vom Rudern in den normalen Straßenradsport wechseln. Denn dort ist die Profi-Infrastruktur schon ausgebaut. Der Outdoor-Sport ist noch nicht ins Abseits gerückt - auch wenn der virtuelle Radsport boomt.