Raif Badawi: Hoffnungen auf Freilassung
24. Februar 2022Seine Unterstützer haben große Hoffnung: In einigen Tagen könnte der saudische Blogger Raif Badawi aus dem Gefängnis entlassen werden. Denn dann wird er seine zehnjährige Haftstrafe zumindest formell vollständig abgesessen haben.
Schuldig gemacht hatte sich Badawi in den Augen des saudischen Staates durch seinen Blog unter dem Namen "Free Saudi Liberals". Darin hatte er vor allem die Verquickung von Religion und Politik in Saudi-Arabien kritisiert. Darum lautete einer der Anklagepunkte auf "Beleidigung des Islam". Im Juni 2012 wurde er verhaftet und 2014 zu zehn Jahren Gefängnis sowie einer Geldstrafe von rund 234.000 Dollar und 1000 Stockhieben verurteilt. Nach dem in Saudi-Arabien maßgeblichen islamischen Kalender wird Badawi die Gefängnisstrafe am 28. Februar abgesessen haben.
Am 1. März könnte Badawi wieder in Freiheit sein, erklärte auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International der Nachrichtenagentur dpa. Ähnlich wie Human Rights Watch oder Reporter ohne Grenzen hat sich auch Amnesty jahrelang für eine Freilassung Badawis eingesetzt.
Ehefrau: Zeit ist gekommen
Der inzwischen 38 Jahre alte Badawi gilt international als einer der bekanntesten politischen Gefangenen in Saudi-Arabien. Während seiner Haft wurde er mit mehreren internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Sacharow-Preis für geistige Freiheit der Europäischen Union im Jahr 2015 und dem Freedom of Speech Award der Deutschen Welle im selben Jahr.
Sie glaube, dass mit der zunehmenden Öffnung Saudi-Arabiens jetzt auch die Zeit für die Freilassung ihres Mannes gekommen sei, sagt Badawis in Kanada lebende Ehefrau Ensaf Haidar im Gespräch mit der DW.
"Alles, was Raif und ich uns für Saudi-Arabien gewünscht haben, geht jetzt in Erfüllung", so Ensaf Haidar. Die königlichen Herrscher Saudi-Arabiens setzten sich "für mehr Offenheit" ein, so Haidar, "für mehr Freiheit für Frauen und Zugang zu nicht-religiösen Studien, dafür, dass sie Auto fahren dürfen und viele andere Dinge."
Reformen und Modernisierung
Tatsächlich hat Kronprinz Mohammed bin Salman in den vergangenen Jahren mehrere Reformen durchgesetzt. Sie sind Teil der sogenannten Vision 2030, eines umfassenden Pakets sozioökonomischer Modernisierung. Auf den Weg gebracht hatte es der Kronprinz im Jahr 2016. Es soll das Land moderner, liberaler sowie wirtschafts- und tourismusfreundlicher machen. Kritiker allerdings werten die Reformen als Versuch einer vordergründigen Imagepflegeund verweisen auf anhaltende schwere Menschenrechtsverletzungen, gipfelnd in der Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi durch ein saudisches Kollerkommando 2018 in Istanbul.
Zu den parallel dazu gleichwohl umgesetzten gesellschaftlichen Reformen gehören unter anderem die Aufhebung des jahrzehntelangen Kinoverbots und die Erlaubnis für Frauen, allein zu reisen und Auto zu fahren. Generell wurden die Vorgaben zur Trennung der Geschlechter in kleinen Schritten kontinuierlich gelockert. Auch die Bedeutung der Religionspolizei des Landes ist geschrumpft. Dass er deren Rolle kritisiert hatte, wurde Badawi in seinem Prozess ebenfalls zur Last gelegt.
Im Rahmen dieser Modernisierung schaffte Saudi-Arabien 2020 auch die sogenannte Peitschenstrafe ab. Badawi wurde 2015 vor einer örtlichen Moschee in Dschidda 50 Mal öffentlich ausgepeitscht beziehungsweise mit Stockhieben traktiert. Der Rest der Körperstrafe wurde auf internationalen Druck hin ausgesetzt.
"Raif hat jetzige Regierung nie kritisiert"
"Raif hat die derzeitige Regierung nie kritisiert. Er wurde inhaftiert, weil er für eben jene Reformen eintrat, die die derzeitige Regierung umgesetzt hat", erklärt der Menschenrechtsanwalt Brandon Silver, der Badawi auch juristisch vertritt.
"Wir gehen davon aus, dass Saudi-Arabien die Entscheidungen seines eigenen Rechtssystems respektieren wird, das eine Freilassung am Ende seiner Haftzeit vorschreibt. Dies ist nicht nur nach saudischem Recht und Brauch das Richtige, sondern auch klug, um die internationale Meinung zu ändern", so Silver, der auch Direktor am Raoul Wallenberg Center for Human Rights in Montreal ist.
Kinder warten auf ihren Vater
Inzwischen haben Haidar und ihre Kinder - sie beantragten 2013 in Kanada Asyl und leben in Quebec - auf Twitter einen Countdown gestartet.
"Noch sieben Tage", schrieb kürzlich sein inzwischen 17-jähriger Sohn Terad, der ein seinem Vater gewidmetes Twitter-Konto betreibt. Badawis älteste Tochter, Najwa, war sieben, als sie ihren Vater zum letzten Mal sah. Inzwischen ist sie 18 und trat zugunsten ihres Vaters mehrmals auf internationalen Veranstaltungen auf.
Von der weltweiten Unterstützung bekomme Badawi in seiner Haft kaum etwas mit, sagt Haidar gegenüber der DW. "Er hat keinen Internetzugang. Wenn eben möglich, ruft er mich von der öffentlichen Telefonzelle des Gefängnisses aus an. Zwar spreche ich manchmal mit ihm über die Unterstützung", so Haidar. "Aber wir haben so wenig Zeit, dass wir vor allem über die Kinder und das Leben reden."
Wie würde es weitergehen?
Sollte Badawi tatsächlich in wenigen Tagen freigelassen werden, müsste er voraussichtlich in Saudi-Arabien bleiben und stünde unter behördlicher Aufsicht. Voraussichtlich müsste er auch die ihm seinerzeit auferlegte Geldstrafe noch zahlen. Zudem dürfte er sich laut damaligem Urteil nicht in der Öffentlichkeit äußern und unterstünde einem 10-jährigen Reiseverbot. Das heißt, dass er nach derzeitigem Stand Saudi-Arabien wohl nicht verlassen könnte, um mit seiner Frau und seinen Kindern in Freiheit in Kanada zu leben.
Um dies dennoch zu ermöglichen, versucht eine Initiative in Kanada, Badawi zum kanadischen Staatsbürger zu machen - so wie es seine Frau und seine Kinder bereits sind. Die kanadischen Gesetze autorisieren den Einwanderungsminister, unter besonderen Umständen die Staatsbürgerschaft zu gewähren - etwa "um eine besondere Situation und ungewöhnliche Notlage zu beheben".
Im Januar 2021 stimmten viele kanadische Parlamentarier dafür, die entsprechenden Schritte einzuleiten. Doch über ein Jahr später ist immer noch kein nennenswerter Fortschritt zu verzeichnen.
Kanadischen Medien zufolge gibt es innerhalb der Bundesregierung Stimmen, die der Auffassung sind, die Verleihung der kanadischen Staatsbürgerschaft würde die Lage für Badawi nicht verbessern, sondern im Gegenteil eher verschlimmern.
Zudem sind die Beziehungen zwischen beiden Ländern angespannt, seit Kanadas ehemalige Außenministerin Chrystia Freeland 2018 die Freilassung saudischer politischer Gefangener forderte. Dazu gehörten Badawi und seine Schwester Samar, eine Frauenrechtsaktivistin, die 2018 verhaftet wurde, sowie Badawis Schwager Waleed Abulkhair, der auch als sein Anwalt fungierte.
Werben um westliche Unterstützung
Er gehe davon aus, dass die Chancen, dass Badawi am 28. Februar freigelassen werde, etwa 50 Prozent betrügen, sagte der ehemalige kanadische Botschafter in Saudi-Arabien, Dennis Horak, im Januar der kanadischen Zeitung "The Globe and Mail". Juristen weisen zudem darauf hin, dass Saudi-Arabien doppelte Staatsbürgerschaften nicht umstandslos anerkenne. Erwirbt ein saudischer Bürger eine neue Staatsbürgerschaft ohne Zustimmung des Innenministeriums, verliert er die des Königreichs. Dennoch gibt Ehefrau Ensaf Haidar nicht auf. "Wir warten immer noch", sagt sie über die Möglichkeit der kanadischen Staatsbürgerschaft.
Besser wäre es allerdings, wenn die saudische Regierung das Reiseverbot für ihren Ehemann aufheben würde, so Haidar weiter. Sie hoffe, dass er ein Reisedokument erhalte, mit dem er nach Kanada einreisen kann, sobald er entlassen werde. "Ich hoffe auch, dass alle Regierungen, die Raif verteidigt haben - die Europäische Union, Deutschland, Österreich, die Vereinigten Staaten - sich zusammenschließen werden, um seine Freilassung zu überwachen, damit er zu uns nach Quebec kommen kann. Seine Freunde, unsere Kinder und ich freuen uns darauf."
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.