Raif Badawi: Weiter Hoffnung auf Freilassung
15. Februar 2020Sein offenes Wort brachte ihn vor Gericht: Nachdem er in mehreren Texten die Rolle der Religion in Saudi-Arabien kritisiert hatte, wurde Raif Badawi 2013 zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Dazu verhängte das Gericht 1000 Peitschenhiebe und eine Geldstrafe. Badawi hatte sich kritisch nicht nur über den Wahhabismus, die islamische Staatsreligion des Königreichs, geäußert. Er hatte auch die Machtfülle der Religionsgelehrten kritisiert. Das Gericht wertete dies als "Beleidigung des Islam".
Vor fünf Jahren, im Januar 2015, musste er die ersten 50 Peitschenhiebe über sich ergehen lassen. Den Rest der Körperstrafe wurde bis auf weiteres ausgesetzt.
"Acht Jahre ist Raif jetzt schon von uns getrennt", sagt seine im kanadischen Exil lebende Ehefrau Ensaf Haidar im Interview mit der DW. "Meine Kinder und ich vermissen ihn. Dieser Tage hat er Geburtstag. Dies ist immer ein schwieriger Tag für uns. Dennoch glauben wir daran, dass er mit dem Herzen in unserer Nähe ist. Das hilft uns." Sie habe weiterhin die Hoffnung, dass ihr Mann bald wieder bei der Familie sei, sagt Haidar.
Im vergangenen Jahr war Badawi mit dem Günter-Wallraff-Preis für Journalismuskritik ausgezeichnet worden. Im Juni nahm ihn Haidar stellvertretend für ihren Mann entgegen. Bereits 2015 war er mit dem DW Freedom Award der Deutschen Welle ausgezeichnet worden. Ensaf Haidar selbst hatte vor Jahren ebenfalls einen Preis im Namen ihres Ehemanns initiiert: den Raif Badawi Award. Er geht an Journalisten, die auf Menschenrechtsverletzungen in der islamisch geprägten Welt aufmerksam machen.
Hungerstreik gegen juristische Willkür
Am 11. Dezember des vergangenen Jahres begann Badawi einen Hungerstreik. Zu dieser Zeit habe er sich in Einzelhaft befunden, sagt Ensaf Haidar. Zuletzt habe sie lediglich eine Minute mit ihm am Telefon sprechen können.
Es ist nicht das erste Mal, dass Raif Badawi in Hungerstreik getreten ist. Bereits im Dezember 2015 sowie im Juni 2016 verweigerte er eine Zeit lang die Nahrungsaufnahme.
Den derzeitigen Hungerstreik unternimmt Badawi gemeinsam mit seinem ebenfalls verhafteten Anwalt, dem Menschenrechtsaktivisten Waleed Abulkhair. Dieser war im Juni 2014 zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Die Begründung: Er habe gegen das Regime und dessen offizielle Repräsentanten gearbeitet. Abulkhair hatte bereits vom 27. November an die Nahrungsaufnahme verweigert. Am 10. Dezember unterbrach er kurz den Streik, um ihn am 11. Dezember gemeinsam mit Raif Badawi wieder aufzunehmen.
Vom 22. Dezember an verweigerte ein weiterer Menschenrechtsaktivist, Khaled Suleiman al-Omair, die Nahrungsaufnahme. Al-Omair war im Juli 2018 verhaftet worden, nachdem er offiziell Anklage gegen einen Vollzugsbeamten erhoben hatte. Der, so al-Omair, habe ihn während einer vorangegangenen achtjährigen Haftzeit gefoltert. Ende Oktober 2019 wurde Khalid al-Omair mitgeteilt, dass es keine weiteren Gerichtsverhandlungen, Anhörungen oder eine Anklageliste geben werde. Er bleibe unbefristet in Haft.
Neben den Genannten befinden sich weitere Aktivisten im Hungerstreik - unter anderem auch der 69 Jahre alte Dichter Abdullah al-Hamid, Mitglied der saudischen Vereinigung für bürgerliche und politische Rechte (ACPRA).
Menschenrechte: die Rolle der Medien
Dass sie weiterhin die Kraft habe, um ihren Mann zu kämpfen, sagt Ensaf Haidar, gehe ganz wesentlich auf die in den Medien immer wieder bekundete Solidarität zurück. Sowohl die etablierten als auch die vielen Seiten in den sozialen Medien hätten enorm dazu beigetragen, den Fall Raif Badawi bekannt zu machen. "Auch US-Vizepräsident Mike Pence und eine Delegation des Europäischen Parlaments haben die Regierung in Saudi-Arabien aufgefordert, Raif, als gewaltlosen politischen Gefangenen, freizulassen." All dies mache ihr Mut, so Haidar. In einer Mitteilung von Anfang Januar hat auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International Badawis sofortige und bedingungslose Freilassung gefordert.
Derweil hat sich die Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien nicht verbessert. Zwar wurden die Bürgerrechte in Teilen gestärkt. So dürfen Frauen nun Auto fahren und ohne Zustimmung eines männlichen Verwandten ins Ausland fahren. Doch die Repression gegenüber Menschen- und Bürgerrechtlern habe in den letzten Jahren zugenommen, heißt es bei der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW).
Verschlechterung der Lage unter Mohammed bin Salman
Verschlechtert hat sich die Menschenrechtssituation HRW zufolge seit Juni 2017 - jenem Monat, in dem Prinz Mohammed bin Salman, kurz MBS, zum Thronfolger ernannt wurde. Zwar sei die Verhaftung von friedlichen Kritikern oder Menschenrechtsaktivisten bereits vor der Ernennung üblich gewesen. "Was die Verhaftungswellen nach 2017 jedoch bemerkenswert und anders gemacht hat, ist zum einen die schiere Anzahl der von diesen Maßnahmen betroffenen Personen und zum anderen neu eingeführte repressive Praktiken, die es unter der früheren saudischen Führung nicht gegeben hatte", schreibt HRW.
So seien Folter und Misshandlung von Inhaftierten eine weit verbreitete Praxis, die auch gegenüber weiblichen politischen Häftlingen wie Menschenrechtsaktivistinnen angewandt werde. Zu den eingesetzten Foltermethoden gehörten etwa Elektroschocks und Schläge. Auch würden die Frauen gewaltsam umarmt und gezwungen, ihre Peiniger zu küssen. "Zu den missbräuchlichen Praktiken gehören auch langfristige willkürliche Inhaftierung ohne Anklage oder Gerichtsverfahren", so HRW.
Ensaf Haidar: "Menschen werden mutiger"
Trotz der Repression sei der Protest in Saudi-Arabien gewachsen, sagt Ensaf Haidar: "Viele Bürger sind in Menschenrechts- und Frauenfragen mutiger und aktiver geworden." Sie selbst fordere die Regierung auf, den Bürgern des Landes größere Rechte zu gewähren.
Umsonst war Badawis Einsatz also vielleicht nicht. Doch gerade das macht es für seine Ehefrau noch schwerer, die Strafe zu verstehen: "Alles, was Raif gefordert hat, - größere Rechte für die Frauen, eine Öffnung von Kino und Theater - ist inzwischen Wirklichkeit geworden. Doch er selbst sitzt noch in Haft. Das ist nicht nachvollziehbar."
In einer früheren Version dieses Artikels hieß es Raif Badawi sei 2013 zunächst zum Tode verurteilt worden. Neue Erkenntnisse zeigen aber, dass dies nicht der Fall war. Der vorliegende Text wurde entsprechend korrigiert.