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Blick zurück: Rainer Simon

30. Oktober 2009

Seine Filme wurden verboten, seine Arbeit überwacht. Der vor allem in der DDR tätige Regisseur Rainer Simon gibt Auskunft über seine Arbeit in beiden Teilen Deutschlands und blickt auf die Anfänge seiner Karriere zurück.

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Eine Frau und ein Mann an einem Parteitisch, Frau hebt zum Gruß den Arm - Szene aus "Jadup und Boel" (Defa-Stiftung - kostenpflichtig!)
Verboten: "Jadup und Boel"Bild: DEFA-Stiftung/Wolfgang Ebert

DW-WORLD: Warum wollten Sie damals, Anfang der 60er Jahre, Filmregisseur werden?

Rainer Simon: "Das ist eigentlich im Laufe meiner Oberschulzeit entstanden. Ich komme aus einer Kleinstadt in Sachsen und aus einer Familie, die gar nichts mit Kunst zu tun hatte. Das kam dann bei mir durch das Ansehen von Filmen, vor allem durch die sowjetischen Filme, die Mitte der 50er Jahre in unsere DDR-Kinos kamen, aber auch durch italienische Filme, den Neorealismus, auch durch tschechische Filme, das alles hatte Einfluß. Dann habe ich angefangen - wie man das so in der Pubertät macht -, irgendwelche Sachen zu schreiben, Theaterstücke und Erzählungen, bis sich das dann immer mehr auf den Film kristallisiert hat. Und dann habe ich mich an der Filmhochschule beworben. Und es hat geklappt."

Brigitte Bardot und Jack Palance in einer Szene aus Godards Film "Die Verachtung" (AP Photo)
Anschauungsmaterial Nouvelle Vague an der DDR-Filmhochschule: "Le Mépris" von J.L.GodardBild: AP

Wie waren Ihre Erfahrungen damals, als Sie anfingen Filme zu machen? War das schwierig? Haben Sie schnell gemerkt, daß da bestimmte Grenzen nicht überschritten werden durften?

"An der Filmhochschule hatten wir einen großen Vorteil. Wir konnten eigentlich alle die Filme sehen, die in dieser Zeit, in den 60er Jahren, wichtig waren. Auch Filme, die nicht in die DDR-Kinos kamen, also die Nouvelle Vague, die tschechischen, die ungarischen Filme. Das hat damals meine Weltanschauung ganz entscheidend geprägt und verändert. Vorher war ich ziemlich blauäugig, da habe ich die Dinge nicht so kritisch hinterfragt. Aber durch die Sicht auf die Welt, über dieses Anschauen von Filmen, auch das Lesen von Büchern, hat sich einiges verändert.

Filmszene des verbotenen DDR-Films "Das Kaninchen bin ich". Eine Frau schüttelt einem Beamten die Hand, daneben zwei weitere Männer (DW)
Beim 11. Plenum verboten: "Das Kaninchen bin ich" von Kurt MaetzigBild: Filmmuseum Babelsberg

Mein erster Spielfilm, ich war noch nicht mit der Filmhochschule fertig, war dann "Moral der Banditen", das war ein sehr bekanntes Jugendbuch von Horst Bastian. Da ging es um eine Bande Jugendlicher, die sich unmittelbar nach Kriegsende gegen die alten Nazis wehrt, aber auch gegen die neue ideologische Bevormundung. Dann kam das Jahr 1965, dieses berühmte 11. Plenum, wo zehn bis elf DEFA-Filme verboten wurden. Das war im Grunde ein politischer Kahlschlag in der Kultur. Da wurde mein Projekt sofort abgesetzt. Wir hatten noch nicht begonnen zu drehen, wir wollten gerade mit dem Casting beginnen. Das war meine erste Studio-Erfahrung. So etwas hat natürlich Auswirkungen.

Fingerübungen mit Kinderfilmen

Doch ich hatte Glück und hatte nach diesem gescheiterten Projekt die Chance bei Konrad Wolf bei dessen Film "Ich war neunzehn" zu assistieren. Und dann geschah etwas, was bei sehr vielen jungen Regisseuren damals der Fall war, man machte zunächst einmal Kinderfilme. Das war - wenn ich das rückblickend sehe - gar nicht schlecht. Weil ich bei den beiden Märchenfilmen, die ich gedreht habe, "Wie heiratet man einen König" und "Sechse kommen durch die Welt" viel mehr Freiheiten hatte. Da konnte man was ausprobieren, da konnte man experimentieren. Da wurde nicht alles sofort auf die politische Goldwaage gelegt. Obwohl es auch dort Probleme gab. Die Filme werden bis heute immer wieder gezeigt, das ist ein ganz schönes Gefühl.

Wie ging es dann weiter? Dann kamen ja Ihre Filme für ein erwachsenes Publikum...

Toreinfahrt des Filmstudios Babelsberg (Nestor Bachman dpa)
Arbeiten in Babelsberg: Zwischen Zensur und ExperimentBild: dpa Zentralbild

Der erste große Erwachsenenfilm war "Till Eulenspiegel" nach einer Filmerzählung von Christa und Gerhard Wolf, die wir dann allerdings noch einmal stark bearbeiten mußten. Mich interessierte an Till Eulenspiegel nicht dieser Kinderbuch-Held, sondern der Anarchist. Dieser Eulenspiegel ist ein subversiver Typ. Und so haben wir ihn auch dargestellt, sehr direkt, sehr radikal, auch mit den entsprechenden Derbheiten und Unflätigkeiten, die für die damalige Zeit schon ziemlich ungewöhnlich waren. Till Eulenspiegel streckt den Oberen buchstäblich den nackten Arsch ins Gesicht. Die Leute haben das natürlich verstanden, dass mit den Oberen nicht nur der Papst, die Kirchenvertreter, der Kaiser und die Fürsten gemeint waren, sondern dass es um die Mächtigen allgemein ging.

Spielball der Zensur: "Jadup und Boel"

Ihr Film "Jadup und Boel" wurde 1981 kurz vor der Premiere verboten. Wie ist es dazu gekommen, vor allem: warum durfte der Film damals überhaupt gedreht werden?

Das war schon eine Überraschung, dass der Film gedreht wurde. Noch überraschender war es, dass dieser Stoff mir vom Studio angeboten wurde. In diesem Fall bekam ich aus der "Abteilung Dramaturgie" ein Szenarium von dem Autor Paul Kanut Schäfer. Als ich das gelesen habe, war ich unheimlich erstaunt, dass sie diesen Film wollten und noch dazu von mir. Dann haben wir begonnen mit dem Autor gemeinsam das Drehbuch zu schreiben. Folglich war dieses erste Szenarium noch sehr literarisch und weitschweifig. Als es dann zu einem Drehbuch wurde, entwickelte sich das natürlich viel konkreter, und jetzt fiel das Brisante des Stoffes auch der Studioleitung auf.

Szene aus "Jadup und Boel": Ein Mann steht mit Korb vor zwei Frauen im Schnee (Defa-Stiftung - kostenpflichtig!)
Kritischer Blick auf die DDR: "Jadup und Boel"Bild: DEFA-Stiftung/Wolfgang Ebert

Kurz vor Drehbeginn wurden wir zum Generaldirektor geladen und es wurde uns eröffnet, was alles passieren könnte, wenn wir den Film nicht mit der richtigen parteilichen Einstellung drehen würden. Das Gespräch lief eigentlich so, dass ich dachte, ´Na ja, das war's dann.´ Aber dann durften wir doch drehen. Viele Jahre später - als ich 1992 meine Stasiakte las - , habe ich den Brief gefunden, den der Generaldirektor nach dieser Sitzung an die Stasi geschickt hat. Dort informiert er über die Risiken und daß dieser Film gar nicht zur Aufführung kommen könnte, aber dass es in der gegenwärtigen politischen Situation besser sei, den 'Simon´ drehen zu lassen, besser mit Arbeit zu binden, als dass der ´Simon´ verrückt spielt.

"...das ging dann bis zu Honecker"

So haben wir diesen Film gedreht und es war uns allen klar, dem Hauptdarsteller Kurt Böwe, den anderen Schauspielern, dem Kameramann und mir natürlich, dass das ein ganz heißes Eisen ist. Noch während wir drehten, als der Generaldirektor sich die ersten Muster ansah, kamen dann schon die ersten Signale, für das, was auf uns zu kommt. Nachdem der Film abgedreht war, fand eine Rohschnittabnahme statt. Und da brach es schon über uns los. Das zog sich dann praktisch ein Jahr hin, mit Schnittauflagen, mit Szenen, die wir nachdrehen sollten. Aber all das änderte den Film nicht. Es nahm vielleicht ein paar ganz scharfe Spitzen raus, aber die waren auch bewußt drin, um sie zu opfern.

Rainer Simon mit Pelzmütze, davor Kameramann und Kamera (Defa-Stiftung - kostenpflichtig!)
Bei den Dreharbeiten zu "Jadup und Boel": Rainer SimonBild: DEFA-Stiftung/Wolfgang Ebert

Nach ungefähr einem Jahr wurde die Premiere angesetzt. Dann geschah etwas, was eigentlich nichts mit dem Film zu tun hatte. Im "Neuen Deutschland" erschien ein Artikel - angeblich von einem Arbeiter aus Erfurt -, der sich über die Künstler beschwerte, daß diese nicht die Erfolge des Sozialismus darstellten, sondern immer nur kritisieren. Das hatte nicht direkt etwas mit unserem Film zu tun. Aber das war Anlass zu sagen, jetzt könnte man den Film nicht aufführen. Die Premiere sollte verschoben werden, um uns vor dem Volkszorn zu schützen! Da haben wir natürlich protestiert. Das ging dann bis zu Honecker. Zwei Jahre später kam dann von höchster Ebene das Urteil, den Film nicht zu zeigen. 1988 wurde er schließlich doch gezeigt.

Der "Goldene Bär" der Berlinale

Sie haben 1985 einen Goldenen Bären bei der Berlinale gewonnen. Hat das damals irgendetwas für Sie geändert?

Die Regisseure D. Hare und R. Simon mit Goldenen Bären bei der Preisverleihung der Berlinale 85, Simon schwenkt seinen in die Höhe (Berlinale)
Regisseure D. Hare und R. Simon mit Goldenen BärenBild: picture-alliance / dpa

Das war natürlich erst einmal eine tolle Geschichte, mit einem historischen Film, "Die Frau und der Fremde". Natürlich war das wichtig, auch für meine Stellung in der DEFA. Auch der nächste Film war ein sehr aufwendiger Film. "Wengler & Söhne", die Geschichte einer deutschen Familie von 1870 bis 1945, sehr aktuell, finde ich, heute aktueller denn je. Trotzdem wurde der Film nie gezeigt. Auch der Humboldt Film, "Die Besteigung des Chimborazo", das waren für mich ganz wichtige Sachen damals. Nach der Wende hat mir der Preis allerdings überhaupt nichts genützt.

Das Gespräch führte Jochen Kürten

Redaktion: Sabine Oelze