Rangelei der Regionen
2. August 2004Joan Tarda blieb hartnäckig: Der Abgeordnete der katalanischen Splitterpartei Esquerra Republicana (ER) hatte im spanischen Nationalparlament das Wort ergriffen und schwadronierte ungebremst, obwohl ihn die Mehrheit des Kongresses nicht verstand - denn er redete Katalanisch. Nur widerwillig und nach mehreren Ordnungsaufrufen durch den Parlamentspräsidenten wechselte er ins Spanische (Kastilisch), mäkelte jedoch anschließend, er fühle sich in seinen demokratischen Rechten beschnitten.
Gezerre um Kompetenzen
Katalonien ist eine von insgesamt 17 autonomen Regionen in Spanien, das zusammen mit Galizien und dem Baskenland per Verfassung als "historische Nationalität" gilt. Die autonomen Regionen verfügen über eigenständige Sprachen und ein hohes Maß an Selbstbestimmung, etwa im Bereich der Bildungspolitik. Doch genau um diese Kompetenzen gibt es immer wieder Streit, denn einige fordern weitaus mehr Unabhängigkeit von der Zentrale in Madrid. Dort jedoch wittert man separatistische Tendenzen. Diese Gefahr sieht Spanienexperte Professor Walther L. Bernecker nicht gegeben, "ausgenommen das Baskenland. Ministerpräsident Juan José Ibarretxe will seine Bevölkerung über einen so genannten freien Anschluss an Spanien abstimmen lassen. Damit setzt er sich über die Verfassung hinweg."
Neben solchen Großprojekten erregen kleinere symbolische Vorstöße Aufsehen, wie etwa die Forderung, das Katalanische zur offiziellen Amtssprache in Spanien zu erheben - ungeachtet der Tatsache, dass es nur in Katalonien, Valencia und auf Mallorca verstanden wird. Doch nicht nur das: Ministerpräsident Jose Luis Rodriguez Zapatero liegen katalonische Parteifreunde seit seinem Amtsantritt in den Ohren, er solle sich in Brüssel für die Aufnahme des Regionalidioms in das Repertoire offizieller EU-Amtssprachen stark machen. Ungünstiger könnte der Zeitpunkt dafür allerdings nicht sein.
50 Amtssprachen in der EU?
Seit der europäischen Erweiterung ächzen Brüssels Übersetzerdienste unter der Last der Mehrarbeit durch nunmehr 20 offizielle Sprachen, die Ausgaben sind von 500 auf rund 800 Millionen Euro gestiegen. Doch die Katalanen argumentieren beleidigt, dass schließlich auch das Maltesische mit etwa 480.000 Sprechern vertreten sei, sie selbst seien immerhin rund sieben Millionen. "Aber Malta ist im Gegensatz zu Katalonien ein souveräner Staat", sagt Bernecker. Im Übrigen könne dies eine Lawine lostreten, denn in der EU existieren etwa 50 Regionalsprachen von Bretonisch bis Walisisch, die dann alle dieses Recht für sich einfordern könnten.
Zapateros Beschwichtigungspolitik
Zapatero kam seinen Katalanisten immerhin entgegen und veranlasste, die EU-Verfassung ins Katalanische zu übersetzen - für die Sprecher jedoch eine lächerliche Minimallösung. Den alltäglichen Sprachgebrauch dominieren die drei Regionalsprachen längst: Katalanisch ist an vielen Schulen erste Unterrichtssprache, an Universitäten haben kastilisch sprechende Dozenten schlechte Chancen und erst kürzlich beschloss die Regionalregierung bei der Auftragsvergabe die Bevorzugung von Firmen, die ihr Angebot auf Katalanisch einreichen. Für ausländische Investoren ist die kleinstaatlerische Sprachhürde von Spaniens reichster Provinz mittlerweile zu einem massiven Hindernis geworden. Offenbar dient die Sprache weniger zur Verständigung, sondern ist vielmehr eine "eine Form der Behauptung der eigenen Identität", wie Bernecker urteilt.
Dieser Sprach-Chauvinismus hat historische Wurzeln: Unter der Diktatur Francos (1939 - 1975) wurden regionale Alleingänge mit größter Brutalität unterdrückt, die Sprachen verboten. Umso stärker fiel die Reaktion der Unterdrückten nach der Demokratisierung aus: Nun fordern die Katalanen eine eigene Fußball-Nationalmannschaft, wie Bernecker berichtet, und das kehlige 'Catalá', das wie eine Mischung zwischen Französisch und Spanisch anmutet, soll offiziell im spanischen Senat zugelassen werden.
Bis zur vollständigen Gleichberechtigung
"Die Chancen dafür stehen auch gut", vermutet Bernecker, "denn das sind rein symbolische Gesten, die zur Beschwichtigung dienen." Und man kann andere, inhaltliche Forderungen beiseite schieben, die die Regierungsarbeit blockieren. Aber auch die Hoffnung auf mehr europäische Beachtung müssen die Katalanen nicht ganz aufgeben, denn der neue Präsident des EU-Parlaments, Josep Borrell, ist einer von ihnen - immerhin ein Etappensieg.