Rapperin Lizzo zelebriert den eigenen Körper
14. November 2019Lizzo betritt die Bühne in einem knappen Outfit, ein silber-glänzendes Korsett, ihre Background-Sängerinnen und Tänzerinnen tragen reflektierende Lycrastoffe. "Ich spreche ein bisschen Deutsch", sagt sie auf der Bühne des Kölner Palladiums: "Ich liebe dich!" Musiker müssen ihrem Publikum ihre Liebe bekunden, davon kann der Erfolg ihrer Karrieren abhängen. Bei Lizzo geht es vor allem um die Selbstliebe.
Selbstbewusstsein hat hier nichts mit den Körpermaßen zu tun, schon gar nicht mit Size Zero. Die 31-jährige Sängerin und Rapperin gibt eine kraftvolle musikalische Party; wo sie auftaucht, wird die Selbstbestätigung gefeiert - aktuell während der drei Konzerte ihrer "Cuz I Love You"-Tour in Deutschland. Die US-Amerikanerin hat zudem bei der Grammy-Verleihung 2020 die besten Gewinnchancen: Sie ist in acht Kategorien für den begehrten Musikpreis nominiert.
Lizzo verkörpert Klasse, Frechheit und Selbstvertrauen, ihre Message verbreitet sie ohne apologetischen Ansatz. Eine Woche vor ihrer aktuellen Deutschland-Tour erschien die Dezemberausgabe der britischen Modezeitschrift "Vogue", deren Cover Lizzo ziert. Sie trägt darauf ein tief dekolletiertes schwarzes Versace-Kleid, dessen Silhouette ebenso durch farbige Prismen wie durch ihre langen künstlichen Fingernägel verzerrt wird.
Es ist eine Inszenierung, die ihr selbst beim Erwachsenwerden hätte helfen können. "Wenn du dich selbst nicht siehst, fängst du an zu denken, dass etwas mit dir nicht stimmt", sagte sie der "Vogue". Größere Frauen mit dunkler Hautfarbe seien medial unterrepräsentiert - ein Umstand, der ihr einen großen psychologischen Tribut abverlangt habe.
Querflöte, Rap und ein Unfall, der die Wende bringt
Im April 1988 kam Lizzo als Melissa Viviane Jefferson zur Welt, sie wuchs in Detroit und Houston auf, sie hörte Gospelmusik, rappte und lernte mit zwölf Jahren Querflöte. Später spielte sie in Marching-Bands. In Texas studierte sie schließlich klassische Flöte - das Instrument gehört noch heute zu ihrem festen Bühnenrepertoire. 2011 zog Lizzo dann nach Minneapolis, wo sie in die Rap-Szene eintauchte und einen Song mit Prince aufnahm. Ihr erstes Album "Lizzobangers" veröffentlichte sie 2013.
Obwohl Lizzo heute als Botschafterin der Liebe zum eigenen Körper antritt, fühlte sie sich lange selbst nicht immer wohl in ihrer Haut. Den Wendepunkt weg von der Scham hin zu Akzeptanz und Selbstbewusstsein markierte kein glamouröses Fotoshooting, sondern ein Unfall. In einem Interview mit dem US-Radiosender NPR erzählte Lizzo, dass sie an einem Seil über einen Fluss schwingen wollte, als es plötzlich riss und sie hart am Boden aufschlug.
"Als meine Haut verletzt war, erkannte ich ihren Wert. Es war das erste Mal, dass ich die Liebe zu meinem Körper entdeckte", erzählte sie dem US-amerikanischen Radiosender NPR. Die Offenbarung inspirierte sie zum Song "My Skin", in dem sie beschreibt, wie sie ihren eigenen Körper so zu lieben lernte, wie er ist: "I love you, don't forget it, you beautiful Black masterpiece!" ("Ich liebe dich, vergiss das nicht, du schönes schwarzes Meisterwerk!")
Die Single erschien 2015 auf Lizzos zweitem Studioalbum "Big GRRRL Small World". Die Schlüsselthemen ihres aktuellen Albums "Cuz I Love You" sind Verletzlichkeit und Stärke. Mit der Single "Juice" gelang Lizzo in diesem Jahr der internationale Durchbruch, auf dem Cover des Albums sitzt die Rapperin nackt auf dem Boden, ihre langen Haare hängen über den Rücken, ihre Haut glänzt und Lizzo schaut den Betrachter direkt an - sie gibt sich ganz preis und ist sich doch ihrer selbst vollkommen sicher.
"Toller Arsch"
Zwischen den Studioalben erschien 2016 die 6-Track-EP "Coconut Oil", das übergreifende Thema: "Body Positivity", die positive Einstellung zum eigenen Körper. Die Single "Good as Hell" ermutigt eine Frau, ihre Haare und Nägel zu machen, um danach eine gescheiterte Beziehung zu beenden: "If he don't love you anymore / Just walk your fine ass out the door" ("Wenn er dich nicht mehr liebt / Geh einfach mit deinem tollen Arsch zur Tür hinaus"). Der Titeltrack "Coconut Oil" spricht unmittelbar Lizzos Identität als schwarze Frau an. Kokosöl ist ein Schönheitsprodukt, das einige schwarze Frauen als Haarspülung verwenden - auch Lizzo.
In Zeiten von Schönheitswahn, ständiger Optimierung und Selbstdarstellung in den sozialen Netzwerken liefert Lizzo das Gegenprogramm: "Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Ich mache das alles, damit kleine Mädchen sich in Zukunft nicht mehr mit Bodyshaming herumschlagen müssen", sagte sie dem Musikmagazin "Rolling Stone".
Stärkung der Vielfalt
Während Lizzo sich als Repräsentantin einer schwarzen Frauengemeinschaft versteht, sieht sie ihre öffentliche Rolle nicht an Kategorien gebunden. "Ich fühle mich als farbige Frau verpflichtet, Musik zu machen, die farbige Frauen repräsentiert. Ich fühle mich aber auch dafür verantwortlich, andere Dinge zu tun. Ich bin eine Feministin. Ich bin ein fetter Mensch. Also muss ich auch diese Leute vertreten", sagte sie dem Magazin "Urbanology".
Dass sich Lizzo nicht vereinnahmen oder einschränken lässt und die Vielfalt besingt - auch die sexuelle und geschlechtliche - verschafft ihr Vorbildcharakter. Ihre große Popularität schützt sie aber nicht vor Kritik: Wie könne sie sich als Feministin bezeichnen, wenn sie nackt für Fotos posiere und in Dessous auftrete, so ein häufiger Vorwurf.
Lizzo kontert abgeklärt, der Feminismus habe sich weiter entwickelt: Statt Sexualisierung abzulehnen, gehe es darum, sie zu beherrschen. Weibliche Körper würden in der Öffentlichkeit unterschiedlich dargestellt - je nach körperlicher Erscheinung einer Frau.
"So wird Frauen, die klein sind, meiner Meinung nach nicht wirklich die Möglichkeit gegeben, körperlich positiv zu sein", sagte sie im Sender NPR. Sie seien konditioniert, dem männlichen Blick zu gefallen. Als große schwarze Frau sei ein Auftritt in enger, knapper Kleidung dagegen nichts, womit sie sich verkaufe, sondern ein Statement: "Dicke Oberschenkel retten Leben, nenn' mich kleine Butterblume", heißt es denn auch im Song "Tempo".
Lizzo geht es bei aller Körperpositivität nicht darum, ein bestimmtes Bild zu repräsentieren oder anderen als Ideal zu gelten: "Ich versuche nicht, mich dir zu verkaufen", sagte sie im "Vogue"-Artikel. "Ich versuche, dich zu verkaufen, dich."