Rassismus auf der Reeperbahn
16. September 2012Es ist kurz nach Mitternacht. Aus jedem Club auf der Hamburger Reeperbahn wummert ein anderer Sound, im zweiten Stock hält eine Frau tanzend ihren nackten Po aus dem Fenster, unten grölt eine Horde Jungs, Männer tragen Biene Maja-Kostüme und Kniestrümpfe: Aus ganz Deutschland kommen Touristen, um zu feiern und Junggesellenabschiede zu begehen. Der Alkoholpegel steigt langsam.
Joel, Kodzo und Steve, alle drei schwarzer Hautfarbe, stehen in der Warteschlange eines der angesagtesten Clubs. Doch als sie an der Reihe sind, weist der Türsteher sie ab. Kodzo ist geschockt und fragt nach: "Er hat nur gesagt, ich entscheide, wer reinkommt, und ihr seid es eben nicht." Steffen, Martin und Robert, alle drei weißer Hautfarbe und im gleichen Alter, stehen direkt dahinter und werden ohne Probleme durchgelassen: "Der hat uns nicht einmal richtig angeguckt, sondern gleich durchgewunken", berichtet Robert.
Fünf Clubs, fünf Mal das gleiche Ergebnis
Der zweite Versuch läuft nach dem gleichen Muster ab. Die Türsteher werden auf Nachfrage von Joel und Kodzo nach Gründen laut. "Ihr könnt ja in die Afrodisko nebenan gehen", empfiehlt einer. Für Joel und Kodzo ist es bereits der zweite Testlauf innerhalb weniger Monate. Bereits im April hatten mehrere Türsteher auf der Reeperbahn sie abgewiesen. Dass es nun genauso abläuft, drückt schnell auf die Stimmung. "Es ist immer so peinlich, wenn man sich umdrehen muss und alle sehen, man kommt nicht rein", sagt Kodzo.
Zwei Uhr morgens: Auch am Hans-Albers-Platz auf der anderen Seite der Reeperbahn ist es jetzt brechend voll. Schon von weitem ist die rote Leuchtreklame eines der hippsten Clubs zu sehen. Doch für die drei Schwarzen heißt es abermals: "Hier könnt ihr heute nicht rein. Das ist nur für Stammgäste". Die Weißen spazieren hingegen fast unbemerkt in den Laden. Auf Nachfrage der Journalistin wird der Türsteher handgreiflich statt die Auswahlkriterien für die Gäste zu erklären.
Auf der Straße Große Freiheit sind die Türsteher ähnlich aggressiv: "Die Leute haben bei uns im Laden einfach nichts verloren, ganz einfach" und in Richtung Kodzo schiebt er nach: "Du wirst hier nie reinkommen, niemals". Nach drei Stunden und fünf Zurückweisungen in fünf Clubs ist die Stimmung bei Joel, Kodzo und Steve auf dem Tiefpunkt angelangt.
Entsetzen auch bei den Weißen
Joel ist selbst Sozialarbeiter und deutscher Staatsbürger: "Ich fühle mich, als gehöre ich zum Rand der Gesellschaft. Wie soll ich mich hier zu Hause fühlen, wenn ich nicht einmal feiern darf?" Kodzo hat Kopfschmerzen und wirkt, als sei er fast den Tränen nah. "Ich finde das unmenschlich", sagt er nur kurz.
Martin, einer der weißen Tester, ist sprachlos: "Ich find's schockierend, dass auch die Begründungen so augenscheinlich falsch sind. Da wird einfach direkt ins Gesicht gelogen, das finde ich schon haarsträubend." Auch sein Freund Jens, der nur zufällig mitgekommen ist, guckt noch etwas ungläubig: "Ich hätte gar nicht gedacht, dass die so intolerant sind. Der Kiez ist so eine Touristenmeile, da hätte ich gedacht, die Clubs sind gerade offen für ein Publikum aus aller Welt."
Politische Konsequenzen
Birte Weiss von der Hamburger Antidiskriminierungsberatung Basis und Woge hat den Testlauf organisiert. "Uns werden regelmäßig solche Fälle gemeldet, und wir wollten jetzt gucken, was an diesen Berichten dran ist." Dafür hatte sie im April bereits einen ersten Testlauf gemacht und nun eben den zweiten – beide Male mit demselben Ergebnis. Sie will nicht mit dem Finger auf einzelne Clubs zeigen. Für Weiss geht es um ein strukturelles Problem. Sie will klar machen, dass die bisherigen Maßnahmen des Hotel- und Gaststättenverbandes nicht ausreichen. Sie fordert, mehr politischen Druck auf die Diskobetreiber auszuüben.Kazim Abaci, migrationspolitischer Sprecher der regierenden SPD-Fraktion, sieht das Problem ähnlich. Er will einen neuen Runden Tisch mit allen Beteiligten einberufen und deutlich machen, dass so eine Einlasspolitik Konsequenzen haben muss. "Das ist kein Bagatellschaden, sondern ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz", sagt Abaci im Gespräch mit der Deutschen Welle. Dieses Bundesgesetz verbietet es ebenfalls, Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe zu diskriminieren. Und ein Recht auf Gleichbehandlung steht vor dem Hausrecht.
Doch Abaci wird dicke Bretter bohren müssen, denn der Hotel-und Gaststättenverband hat die Vorwürfe bereits zurückgewiesen. Flächendeckende Diskriminierung gebe es nicht, heißt es. Wer Recht hat, könnte sich vor Gericht entscheiden. Joel will gegen einen Clubbesitzer klagen.