Keine Rückkehr in die USA
12. August 2013Deutsche Welle: Wie schätzen Sie die europäischen Reaktionen auf das Urteil gegen Bradley Manning und die Enthüllungen von Edward Snowden ein?
Michael Ratner: Die Reaktion in Europa war im Großen und Ganzen viel besser als in den USA. Medienartikel in Europa fangen oft an mit "Die NSA hat dies getan…", anstatt mit Angriffen auf die Person Snowden, so wie es in den US-Medien geschehen ist. Ich denke auch, dass die europäische Empörung über die Überwachungsdebatte sehr wichtig ist. In den USA hat diese Debatte eine Rolle gespielt, aber in Europa schien die Reaktion stärker. Doch offensichtlich sind die Regierungen in Europa nicht ganz ehrlich. Denn sie wussten über Einiges Bescheid, aber jetzt, da alles öffentlich gemacht wurde, versuchen sie, sich davon zu distanzieren.
Was würden Sie Snowden raten, wenn Sie sein Anwalt wären?
Ich wäre vielleicht gleich von Anfang an in ein anderes Land als China und Hongkong gereist. Ich wäre vielleicht nach Venezuela gegangen. Und jetzt wären die USA der letzte Ort, an den ich gehen würde. Man sieht ja, wie Bradley Manning behandelt wurde: Er geht wahrscheinlich für sehr lange Zeit ins Gefängnis. Und man kennt seine Haftbedingungen und weiß, wie unfair sein Verfahren war. Man sieht, dass Julian Assange praktisch festsitzt in einer Botschaft und mit der Angst lebt, in die USA ausgeliefert zu werden, keine Kaution bewilligt zu bekommen, ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten zu werden und ein unfaires Verfahren zu bekommen. Der beste Rat, den ich Edward Snowden jemals geben könnte, ist also: Bleibe den USA fern.
Julian Assange sitzt seit mehr als einem Jahr in der ecuadorianischen Botschaft in London fest. Wie optimistisch sind Sie, dass dies nicht für absehbare Zeit sein Schicksal bleiben wird?
Optimistisch? Ich weiß es nicht. Er glaubt, er wird nicht noch ein weiteres Jahr dort sein. Der Schlüssel für Julian Assange ist es, eine Garantie von Schweden und/oder Großbritannien zu bekommen, dass er nicht sofort in die USA geschickt wird, wenn er die Botschaft verlässt. Sein Problem ist nicht Schweden an sich. Er ist bereit, sich den Anschuldigungen wegen sexuellen Fehlverhaltens zu stellen. Aber das Problem ist, dass wenn er nach Schweden geht, dort höchstwahrscheinlich ein One-Way-Ticket Richtung USA auf ihn wartet.
Aber wie wahrscheinlich ist es, dass Schweden und vor allem Großbritannien, mit seinen engen Beziehungen zu den USA, garantieren können, ihn nicht in die USA auszuliefern?
Bisher haben sie das nicht getan. Großbritannien steht den USA nahe, Schweden aber auch. Schweden macht auch praktisch alles, was die USA wollen. Also haben beide Länder in diesem Punkt ein Problem. Und wir haben ja im Falle Edward Snowdens gesehen, was es braucht, um den USA die Stirn zu bieten. Edward Snowden musste praktisch in ein Land fliehen, das bereit war, es mit den USA aufzunehmen. Und Russland war, zumindest weitgehend, bereit, das zu tun.
Was, glauben Sie, steht Snowden bevor?
Ich hoffe für Edward Snowden, dass er in ein Land seiner Wahl reisen kann. Momentan sieht es so aus, als könnte es Venezuela sein. Das Problem für Ed Snowden ist, dass es schwierig wird, von Russland nach Venezuela zu kommen, ohne dass die USA das Flugzeug zum Landen zwingen. An diesem Punkt steht er gerade. Aber gleichzeitig ist er wenigstens ein freier Mann, verglichen mit dem, was ihm in den USA in einem geheimen Gefängnis blühen würde.
Michael Ratner ist der US-Anwalt von WikiLeaks und Julian Assange. Er ist Vorsitzender des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin und ehemaliger Präsident des Center for Constitutional Rights in New York.