Rückzieher nach "Ratten-Gedicht"
23. April 2019Ausgerechnet Braunau am Inn ist der Schauplatz des jüngsten Skandals um die rechtspopulistische Regierungspartei FPÖ in Österreich. In Braunau wurde der nationalsozialistische Diktator Adolf Hitler geboren. Im Braunauer Gemeinderat koaliert die FPÖ mit der größeren nationalkonservativen ÖVP, genauso wie auf der Bundesebene in Wien. Sie stellte bis heute Vormittag den Vize-Bürgermeister von Braunau. Nun musste Christian Schilcher seinen Rücktritt bekanntgeben - auf Druck seiner eigenen Partei und auch des ÖVP-Vorsitzenden und österreichischen Bundeskanzlers, Sebastian Kurz, berichtet die österreichische Zeitung "Der Standard". Inzwischen hat Schilcher auch die FPÖ verlassen.
Zuvor hatte es heftige Kritik an einem Gedicht mit dem Titel "...die Stadtratte (Nagetier mit Kanalisationshintergrund)" gehagelt, das FPÖ-Funktionär Schilcher in der Parteizeitung der Braunauer FPÖ zu Ostern veröffentlicht hatte. In schwer verdaubaren Versen schrieb er, Migranten, die sich nicht anpassten, sollten "rasch von dannen" eilen. Für besondere Empörung sorgte die Gleichsetzung von Ratten und Menschen, die an die Wortwahl der Nationalsozialisten erinnert. Allerdings hatte sich Schilcher selbst in den Ratten-Vergleich mit einbezogen.
Kritik vom Kanzler
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz, der seit 2017 zusammen mit den Rechtspopulisten regiert, wies das Gedicht als "abscheulich, menschenverachtend sowie zutiefst rassistisch" zurück. Er forderte eine Distanzierung durch die FPÖ, die dann auch prompt erfolgte. Der Bundesvorsitzende der FPÖ, Heinz-Christian Strache, bestätigte in einer Pressekonferenz zur Vorstellung des Europawahlkampfes den Rücktritt des Skandal-Vizebürgermeisters in Braunau. Strache tat die Vorfälle in Braunau aber als "regionales" Problem ab, das mit der Einstellung der gesamten Partei nichts zu tun habe. Das Gedicht habe vor der Veröffentlichung in der Parteizeitung niemand gelesen oder freigegeben. "Das ist ein Problem, das wir ändern werden", sagte Strache. Der Vizebürgermeister habe sich entschuldigt. Damit scheint die Sache für den FPÖ-Vorsitzenden, der auch stellvertretender Bundeskanzler ist, erledigt.
Sein Chef und Koalitionspartner, Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), zeigte sich zufrieden. Der Rücktritt sei die einzige logische Konsequenz, teilte Kurz schriftlich mit. "Der klare Schritt des Vizekanzlers und der FPÖ-Spitze war notwendig und richtig", erklärte Kurz.
Sebastian Kurz und sein Koalitionspartner Heinz Christian Strache geraten seit mehreren Wochen immer wieder aneinander. Zuletzt forderte Kurz von Strache eine Distanzierung von der rechtsextremen Bewegung "Identitäre" in Österreich - und bekam sie nach einigem Hin und Her auch.
Kritik am Kanzler
FPÖ-Funktionäre fallen öfter durch Posts in sozialen Netzwerken auf, die Verbindungen zu Rechtsextremen vermuten lassen. Heinz Christian Strache selbst hatte auf seiner Facebook-Seite einen Artikel von einer Webseite gepostet, die durch rechtsextreme Verschwörungstheorien auffällt. "Hätten wir das gewusst, hätte ich es nicht gemacht. Man muss sensibler sein in Zukunft", erklärte Strache zu den Vorwürfen in seiner heutigen Pressekonferenz in Wien.
Kritik am Umgang mit dem rechtspopulistischen Koalitionspartner erntet Bundeskanzler Kurz nicht nur von der Opposition, sondern auch aus der eigenen konservativen ÖVP. Sein Vorgänger im Amt des Bundesvorsitzenden, Reinhold Mitterlehner, hatte vor einer Woche laut dem Magazin "Focus" gesagt, er sehe das Land und die Regierung gefährlich abdriften. Die Alpenrepublik sei auf dem Weg von einer liberalen in eine autoritäre Demokratie.
FPÖ will in rechtsradikale Fraktion
Zwar hat sich FPÖ-Chef Strache nun des heftig kritisierten Vizebürgermeisters von Braunau entledigt, der Kurs in der Asylpolitik bleibt aber unverändert. Das lässt sich auch auf einem Großplakat zum Europawahlkampf ablesen, dass Strache zusammen mit dem Spitzendkandidaten für das Europaparlament, Harald Vilimsky, enthüllte. Dort steht in großen Lettern zu lesen, die FPÖ sei "gegen EU-Asylchaoten". Damit ist nach Worten des Spitzenkandidaten Vilimsky die "unheilvolle Allianz aus Juncker, Merkel und Macron" gemeint. Der EU-Kommissionspräsident, die Bundeskanzlerin und der französische Staatspräsident würden die Zuwanderung von unerwünschten Asylbewerbern nicht verhindern, so die These Vilimskys. Die FPÖ will deshalb einer neuen Fraktion von Rechtspopulisten und Rechtsradikalen im nächsten Europäischen Parlament beitreten, das Ende Mai gewählt wird. Der Partei geht es nach einer Aussage in der Mitteilungsplattform "Whatsapp" um eine "Verabschiedungskultur" für Migranten. Man brauche nur noch Ausreisezentren, aber keine Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber mehr.
Auch Strache mit Ratte verglichen
Der FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache wies bei aller Aufregung über das "Ratten-Gedicht" des Braunauer Funktionärs darauf hin, dass die Vergleiche mit den Nagetieren keine Erfindung seiner Partei seien. Tatsächlich hatte eine Politikerin der Grünen, Helga Krismer, im November 2018 FPÖ-Mann Strache mit einer räuberischen Ratte verglichen und damit für heftige Empörung gesorgt. "Wir ziehen die Konsequenzen, im Gegensatz zu anderen", sagte Strache heute auf seiner Pressekonferenz. Helga Krismer ist nach wie vor Landeschefin der Grünen im Bundesland Niederösterreich.
Kritik an der rechtspopulistisch-konservativen Regierungskoalition in Österreich kommt auch aus Brüssel. Der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, sagte, es sei nicht ganz klar, wer in Wien eigentlich wen steuere. "Sebastian Kurz hat immer beteuert, dass er die FPÖ in den Griff bekomme. Nun stellt sich die Frage, wer da eigentlich wen kontrolliert: Strache Herrn Kurz? Oder Kurz Herrn Strache? Diese Frage kann ich noch nicht beantworten. Es beunruhigt mich, dass die junge Garde in der Europäischen Volkspartei in allen Mitgliedsstaaten überhaupt keine Hemmungen mehr hat, mit Rechtsextremen zusammen zu arbeiten", sagte Timmermans der österreichischen Zeitschrift "profil" Anfang April.
Frans Timmermans zieht als Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten in den Europawahlkampf. Sebastian Kurz gehört mit der ÖVP zur Parteienfamilie der christdemokratischen Europäischen Volkspartei.