"Raving Iran": Doku über Irans illegale Techno-Szene
24. September 2016Für die deutsche Filmemacherin Susanne Regina Meures fing alles mit einem Zeitungsartikel über Techno-Partys in der persischen Wüste an, den sie vor einigen Jahren gelesen hatte. Als begeisterter Musikfan war sie von der Idee fasziniert, dass Menschen, die in einem der repressivsten Staaten der Welt leben - einem Regime, das sogar westliche Musik verbietet - ihre Ängste einfach wegtanzen.
Bei ihren Dreharbeiten für den Dokumentarfilm "Raving Iran" über Irans verbotene Techno-Szene musste Meures äußerst vorsichtig vorgehen. Sie benutzte ihre Handykamera und versteckte Speicherkarten in ihrem BH - der einzig sichere Ort vor den wachsamen Augen der Polizei. Und jedes Mal, wenn sie aus dem Iran ausreiste, war sie sich nicht sicher, ob sie beim nächsten Mal wieder werde einreisen dürfen.
Doch all diese Probleme waren winzig, verglichen mit den alltäglichen Schwierigkeiten iranischer Musiker und DJs. Anoosh und Arash, zwei DJs aus Teheran, die im Mittelpunkt von Meures Film "Raving Iran" stehen, ermöglichen der Regisseurin einen Einblick in die kafkaeske Bürokratie, die es ihnen verbietet ihre "satanistische Musik" zu veröffentlichen. Das zwang Anoosh und Arash dazu, abzutauchen und ihre Partys weit außerhalb des Stadtzentrums zu veranstalten - teilweise auch in der Wüste. Der Film fängt die Seele dieser Menschen ein, für die eine Techno-Party nicht nur ein normales Wochenende in der Stadt bedeutet. Für sie ist der Rave ein Akt der Rebellion und der Befreiung.
Der Film lief schon auf zahlreichen Festivals und hat viele Preise gewonnen, darunter den Deutschen Nachwuchsfilmpreis "First Steps". Am 26. September feiert "Raving Iran" in Berlin Premiere. Auch Anoosh und Arash werden anwesend sein und so frei wie noch nie zuvor, ihre Musik auflegen können.
DW: Frau Meures, Sie haben viele Leute in der iranischen Musikszene kontaktiert, aber die meisten hatten Angst, sich öffentlich zu äußern. Wie konnten sie Anoosh und Arash überzeugen, in ihrem Film mitzuwirken?
Susanne Regina Meures: Überzeugen wäre nicht der richtige Ansatz gewesen. Ich habe ihnen gesagt, woran ich interessiert bin und fragte sie, ob sie sich vorstellen könnten, bei meinem Film mitzumachen. Sie sagten sofort zu - trotz des Risikos. Die große Frage war, wie ich später mit dem Filmmaterial umgehe, damit der Film niemanden gefährdet.
Anoosh und Arash haben den Iran mittlerweile verlassen. Nur deshalb konnte ich die beiden offen zeigen. Wären sie dort geblieben, wäre es ein anderer Film geworden. Ich hätte wahrscheinlich mit Off-Stimmen gearbeitet und ihre Gesichter verpixelt.
Wie sind die beiden überhaupt zur elektronischen Musik gekommen, wenn sie im Iran verboten ist?
Durch das Internet und CDs, die Freunde aus dem Ausland mitgebracht haben. Internetseiten wie YouTube, Facebook oder Soundcloud sind im Iran blockiert, aber Anoosh und Arash, wie auch viele Andere im Iran, benutzen ausländische Server, um die Beschränkungen zu umgehen. Daraus ziehen sie ihre Inspiration und so vernetzten sie sich mit der Welt. Viele junge Leute im Iran machen das genauso. Privat hören sie westliche Musik, sie können es im Iran nur nicht öffentlich tun.
Es ist beeindruckend, wie westlich der Iran in ihrem Film wirkt. Arash trägt ständig eine Kappe mit Red-Bull-Logo, er hat ein Tattoo auf dem Arm und beide fahren westliche Autos.
Irans Bevölkerung in den Städten, und vor allem die junge Mittelklasse, ist sehr westlich geprägt - oder besser gesagt, am Westen orientiert. Trotzdem sind westliche Filme, Bücher, Theaterstücke und einfach alles aus der westlichen Kultur zensiert und das meiste sogar ganz verboten.
Als in den 1970er Jahren die Konservativen an die Macht kamen, war das ihr Mittel, um dem iranischen Volk sein Vergnügen zu nehmen. Letztendlich geht es immer um Macht. Man grenzt sich vor Einflüssen von außen ab, um mit seinen eigenen Ideen mehr Macht über das eigene Volk ausüben zu können.
Wie fühlt es sich an, auf einer illegalen Party im Iran zu sein? Kann man das mit einer Party in Berlin vergleichen?
Die Partys finden normalerweise in Privathäusern irgendwo in den Bergen oder außerhalb der Stadt statt. Wie bei den Partys in der Wüste sind meistens nur Freunde und Freunde von Freunden anwesend. Man kann dazu nicht öffentlich auf Facebook einladen, sodass die ganze Stadt kommt. Das wäre zu gefährlich.
Im Vergleich zu unseren Partys hier im Westen ist es eher ungewöhnlich, dass die Mädchen in langen Gewändern und mit Kopftuch ankommen. Dann werden sie alle in einen Raum geführt, in dem sie sich umziehen können. Nach dem Umziehen unterscheidet sie nichts mehr groß von dem, was wir kennen, wenn wir auf Partys gehen: Minirock, High Heels und Make-up. Man kann all diese Sachen im Laden kaufen, darf sie nur nicht in der Öffentlichkeit tragen. Aber wenn die Party losgeht, ist es dasselbe wie in Europa: Die Menschen tanzen und haben Spaß.
Was waren die größten Herausforderungen während des Drehs?
Dieser Film war von Beginn an eine einzige Herausforderung. Es war schon schwer, überhaupt Jugendliche zu finden, die diese Partys schmeißen - und dann vor allem ihr Vertrauen zu gewinnen. Dazu waren die Dreharbeiten kompliziert. Ich habe ohne Erlaubnis gefilmt und musste zudem mehrmals in den Iran einreisen. Ich wusste nie, ob sie mir beim nächsten Mal noch ein Touristenvisum ausstellen würden. Ich konnte kein Equipment mit ins Land nehmen, abgesehen von einer kleinen Fotokamera. Mein Ton-Equipment wurde sofort konfisziert. Zum Glück hatte ich es per Post in den Iran geschickt, sodass es nicht mit meinem Namen in Verbindung gebracht werden konnte.
Ich hatte außerdem keine Unterkunft. Meine Freunde konnten mich nicht aufnehmen, da es zu riskant für sie gewesen wäre. Andauernd wurden wir von der Polizei angehalten. Nach den Dreharbeiten habe ich die Speicherkarte immer durch eine andere ausgetauscht. Auf dieser waren Touristenbilder. Die Speicherkarte mit dem Drehmaterial habe ich dann in meinem BH versteckt. Für ein paar Szenen habe ich ein Smartphone benutzt, das ich danach in einem extra für diesen Zweck maßgeschneiderten Oberteil versteckt habe.
Und wie haben Sie das Material schließlich aus dem Land gebracht?
Mich haben iranische Studenten unterstützt, die im Ausland studierten. Sie haben meine Festplatten mitgenommen. Dadurch landete das Material in ganz Europa. Dann habe ich es nach Zürich schicken lassen, wo ich momentan lebe. Aber ich habe nie darüber nachgedacht, das Projekt aufzugeben. Du nimmst es einfach wie es kommt. Natürlich bin ich nicht angstfrei- aber wenn es um Autoritäten geht, tendiere ich dazu, zur Rebellin zu werden.
Ihre Dokumentation ist sehr persönlich. In einer Szene trennt sich Anoosh von seiner Freundin. Es fühlt sich fast wie ein Spielfilm an.
Ich bin ein Teil ihres Lebens geworden. Am Anfang hatte ich noch einen Kameramann, habe aber dann gemerkt, dass es besser ist, wenn ich alleine filme. Ich war einfach immer da und sie haben mich quasi ausgeblendet. Es mag komisch klingen, aber ich glaube es war von Vorteil, die Sprache nicht zu sprechen. Ich konnte nicht verstehen was sie sagten und sie haben oft vergessen, dass ich alles im Nachhinein übersetzen lasse, weshalb sie häufig sehr offen kommunizierten.
In einer Szene denken Anoosh und Arash darüber nach, den Iran zu verlassen und in die Schweiz zu gehen. Sie finden dann aber heraus, dass die Hälfte der Schweizer für eine Zuwanderungsbeschränkung gestimmt hat. Denken Sie, dass Ihr Film helfen kann, Europas Einstellung gegenüber Immigranten aus dem Nahen Osten zu verändern?
Das ist ein großes Ziel. Natürlich hoffe ich, dass der Film die Sichtweise von Menschen verändern kann. Er zeigt, dass Menschen nicht nur aus wirtschaftlichen, sondern auch aus sozialen Gründen fliehen, weil sie in einem Land leben, in dem ihre persönliche Freiheit so beschränkt ist, dass es unerträglich wird. Aber die Menschen, die sich meinen Film anschauen, sind wahrscheinlich sowieso eher liberal gesinnt. Ich glaube also, dass er keinen großen Wandel herbeiführen wird. Aber man kann immer hoffen!
Wo sind Anoosh und Arash heute?
Ich möchte nicht das Ende des Films verraten, aber ich kann sagen, dass sie jetzt in Europa leben. Sie haben zwei Jahre lang in einem Flüchtlingslager gewohnt, haben aber vor kurzem ihre Aufenthaltsbewilligung bekommen. Sie versuchen nun, ihr eigenes Leben auf die Beine zu stellen, eine Wohnung und Jobs zu finden und die Freiheit zu leben, von der sie immer geträumt haben.
Und was können vielleicht DJs und Künstler im Westen von den Erfahrungen der beiden lernen?
Viele meiner Künstler-Freunde in Europa beschweren sich über die Situation hier. Sie würden nicht ausreichend bezahlt, die Auftrittsbedingungen werden härter, das Publikum anspruchsvoller. Aber Menschen beschweren sich grundsätzlich. Egal, in welchem Land sie aufwachsen und unter welchen Bedingungen. Ich glaube jedoch, wenn sie einen Film wie "Raving Iran" sehen, realisieren sie, dass ihre Probleme im Vergleich nichtig sind.
Das Interview führte Karolis Vyšniauskas.