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Erdogan ändert außenpolitischen Kurs

Kersten Knipp28. Juni 2016

Die Türkei hat das zerrüttete Verhältnis zu gleich zwei Staaten gekittet: Russland und Israel. Der harsche außenpolitische Kurs von Staatspräsident Erdogan hatte dem Land erhebliche Probleme beschert.

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Recep Tayyip Erdogan (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/F. Omar

Es ist leer an den Stränden der Türkei, viel leerer zumindest als zu dieser Zeit üblich. Ein gutes Drittel, fast 35 Prozent weniger Urlauber als im Vorjahresmonat genießen den türkischen Sommer, die Strände an der türkischen Riviera und am Schwarzem Meer. Die Händler und Hoteliers vermissen vor allem die Russen: Ihre Zahl ging diesen Sommer um über 90 Prozent zurück. Doch auch die Deutschen haben sich früher in größeren Gruppen sehen lassen. Gut 30 Prozent weniger als sonst entschieden sich dieses Jahr für einen Urlaub in der Türkei.

Der Rückgang trifft vor allem kleine und Kleinstunternehmer: Strandhändler, Tauchlehrer, Restaurantbesitzer, Fuhrunternehmer. Ihre Einnahmen schrumpfen drastisch.

Verantwortlich für die Misere ist ihrer Ansicht nach die Regierung unter Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. "Ständig explodiert irgendetwas, und die Außenbeziehungen sind auch schlecht", klagt ein Wassersportlehrer: "Das Theater wegen der Armenien-Resolution hat ein schlechtes Image verursacht." So wie bislang könne es nicht weitergehen, erklärt er: "Die Regierung muss ihre Beziehungen zu anderen Ländern verbessern, und sie muss die Tourismus-Industrie stützen."

Türkische Sicherheitskräfte in Istanbul (Foto: Reuters)
Kampf gegen den Terror: Türkische Sicherheitskräfte in IstanbulBild: Reuters/O. Orsal

Auch die bis nach Istanbul reichenden Terroranschläge halten Urlauber davon ab, das Land zu besuchen, davon sind die türkischen Touristik-Unternehmer überzeugt. Vor kurzem haben sie erstmals gegen Erdogans Politik demonstriert.

Desaströser außenpolitischer Kurs

Tatsächlich hat sich die Regierung Erdogan zuletzt wenig Freunde gemacht: Seit Jahren fordert die Regierung Erdogan die Absetzung des syrischen Assad-Regimes. Durch diese Position hat sie sich - wie viele andere, hauptsächlich westliche Staaten auch - in Konflikt zu dessen Unterstützern gebracht, allen voran dem Iran und Russland. Die Spannungen blieben in überschaubaren Bahnen - bis das türkische Militär im November vergangenen Jahres einen russischen Kampfjet abschoss. Die Beziehungen zu Moskau verschlechterten sich dramatisch.

Zugleich kühlten aber auch die Beziehungen zu den westlichen Partnern ab: Sie hielten der Türkei vor, die Grenze nach Syrien nicht hinreichend zu schützen, so dass auch europäische Terroristen in das Bürgerkriegsland einsickern konnten. Außerdem konnte die Türkei nicht die von Journalisten der Zeitung "Cumhuriyet" erhobenen Vorwürfe entkräften: Ihnen zufolge hat Ankara Extremisten in Syrien durch Waffenlieferungen unterstützt.

Ebenso verschlechterte sich das Verhältnis zu Deutschland, nachdem der deutsche Bundestag die 1915/16 an den Armeniern verübten Massaker als "Völkermord" bezeichnet hatte.

Seit 2010 ist zudem das türkisch-israelische Verhältnis belastet. Im Mai jenes Jahres hatten israelische Militärs die Hilfsflotte "Mavi Marmara" gestürmt, die Hilfsgüter in den Gazastreifen bringen wollte und auf Warnungen des israelischen Militärs nicht reagiert hatte. Neun Menschen, darunter acht türkische Aktivisten, kamen damals ums Leben.

Hoffnung auf russische Touristen

Nun hat Erdogan sich gleich mehrfach bewegt. In einem Brief an den russischen Präsidenten Putin hat Erdogan den Abschuss des Kampfjets vom November des vergangenen Jahres bedauert. Die russische Regierung wertet den Brief als Entschuldigung. Mitte der Woche wollen die beiden Staatschefs miteinander telefonieren.

Die russisch-türkischen Beziehungen werden sich langfristig wieder bessern. Das nimmt der russische Nahost-Experte Leonid Isajew an. Er bezweifelt allerdings, dass die russische Regierung den Touristenstrom unmittelbar Richtung Türkei lenken werde. "Die Wirtschaftslage ist auch in Russland schwierig. Die Regierung dürfte Interesse daran haben, eine Teil des Geldes im eigenen Land zu halten", sagt Isajew.

Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin beim G20-Gipfel in Antalya (Foto: picture-alliance)
Bild aus besseren Zeiten: Präsident Erdogan (r.) und sein russischer Kollege PutinBild: picture-alliance/Anadolu Agency/A. Unlupinar

Anders sehe es bei Landwirtschaftsprodukten aus: "Russland hat es noch nicht geschafft, sich auf andere Märkte umzustellen. Allerdings bin ich mir nicht sicher, dass alle Sanktionen gleichzeitig abgeschafft werden". Eher sei mit einer schrittweisen Wiederaufnahme der Beziehungen zu rechnen, sagt Isajew.

Israelisch-türkische Interessen

Auch die Aussöhnung mit Israel folgt überwiegend pragmatischen Erwägungen. Der jüdische Staat zahlt der Türkei nun 20 Millionen Dollar Entschädigung für den Angriff auf die "Mavi Marmara". Die Türkei macht sich außerdem Hoffnungen auf israelische Touristen, während Israel hofft, Gas in die Türkei liefern zu können.

Auf anderen Gebieten, etwa der militärischen Zusammenarbeit, dürfte es weiter haken. Nachdem Erdogan die Kontrolle über das Militär erlangt hat, untersteht dieses nun einer islamischen Regierung. Das dürfte die israelische Armeeführung davon abhalten, die enge Zusammenarbeit früherer Zeiten wieder aufzunehmen, vermutet der Politik-Analyst Ben Caspit im Internetmagazin Al-Monitor.

Beide Länder, so Caspit weiter, hätten aber auch gemeinsame politische Interessen: "Beide machen sich Sorgen über den iranischen Einfluss in Syrien. Beide fürchten einen schiitisch dominierten Staat, der an den Golan-Höhen wie auch in Idlib an ihre Grenzen stoßen könnte."

Erdogan habe zudem noch ein weiteres Problem, so der Analyst weiter. Er muss die Anzahl außenpolitischer Auseinandersetzungen reduzieren: "Die mit Israel war die überflüssigste. So stieg er von seinem Baum, forderte aber, Israel müsse die Seeblockade des Gazastreifens aufheben." Dass Israel sich darauf nicht einlassen würde, sei klar gewesen.

Dafür aber, argumentiert Caspit, könne er nun darauf hinweisen, dass die Türkei den Gazastreifen über den israelischen Hafen Aschdod beliefern und Projekte wie etwa den Bau eines Krankenhauses beginnen könne. Das könnte Erdogans Ruf in der arabischen Welt stärken.

Urlauber an der türkischen Riviera im Sommer 2015 (Foto: muratart)
Als die Strände noch voll waren: Urlauber an der türkischen Riviera im Sommer 2015Bild: muratart - Fotolia.com

Erdogans Kritiker nahmen diese Wendung mit Genugtuung auf. "Jahrelang nutzte Erdogan die Außenpolitik zu innenpolitischen Zwecken", resümiert die Zeitung Bir Gün: "Die haben ihn nun in einen wirtschaftlichen und politischen Engpass gebracht."

Ökonomisch wird der sich wohl nur mittelfristig beheben lassen. Der weltgrößte Reisekonzern TUI geht jedenfalls davon aus, dass er dieses Jahr mit einer Million Urlaubern nur rund halb so viele Gäste in die Türkei bringen wird wie 2015.