Rechtsruck in Europa
7. April 2012Die Wirtschaftskrise beutelt Europa und schon folgt der Rechtsruck auf dem Fuße? Diese Erklärung sei zu einfach, meint Florian Hartleb vom Brüsseler Centre for European Studies (CES). Zumal die Rechtspopulisten ohnehin kaum Strategien gegen die Krise hätten - außer dem Ruf nach nationaler Abschottung und lauter Globalisierungskritik.
Rechtsruck in wohlhabenden Staaten
So sind in Skandinavien die Auswirkungen der Euro-Schuldenkrise kaum zu spüren. Auch die illegale Einwanderung ist kein großes Problem. Trotzdem erstarken rechtspopulistische Parteien: In Finnland heimsten die "Wahren Finnen" bei den letzten Wahlen Erfolge ein. Mit dem Slogan "Wir sehen nicht ein, warum wir für Portugal zahlen" erzielten sie 20 Prozent der Stimmen, beschreibt Florian Hartleb die Strategie der nordeuropäischen Rechten. Und in Schweden zogen die rechtspopulistischen "Schwedendemokraten" 2010 erstmals ins Parlament ein.
Sie bedienten in den wohlhabenden Staaten die Angst der etablierten Bürger, ihren Status zu verlieren, so der Politikwissenschaftler. "Ein wichtiges Motiv ist der Wohlfahrtschauvinismus. Deshalb wählen Leute aus der Mittelschicht diese Parteien." Der Amoklauf des rechtsextremistisch motivierten Anders Breivik im Sommer 2011 in Norwegen sei allerdings eher als die Tat eines Einzelnen zu bewerten und nicht als Ausdruck einer erstarkenden gewalttätigen Szene, schätzt Florian Hartleb.
Auch in Deutschland erschütterten rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten das Land. Mehr als ein Jahrzehnt lang mordete ein Trio, das sich Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nannte, bis die Behörden ihm endlich auf die Spur kam. Diese führt auch zur Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD).
Die NPD, so Hartleb, sei wegen ihrer Verfassungsfeindlichkeit als rechtsextremistische Partei einzuordnen. Einem Verbot der Partei steht er aber skeptisch gegenüber: "In Deutschland gibt es nicht das Problem des Erstarkens rechter Parteien, sondern das Problem rechtsextremer Gewalttaten und einer subkulturellen Szene, die für die Mordserie verantwortlich ist."
Rechtsruck in liberalen Gesellschaften
In den Nachbarländern Deutschlands dagegen gibt es einen deutlichen rechtspopulistischen Ruck in der Parteienlandschaft. In Belgien gehört die rechtspopulistische und rassistische flämische Regionalpartei Vlaams Belang, bis 2004 Vlaams Blok genannt, seit rund 20 Jahren zu den drei erfolgreichsten Parteien. Und in den Niederlanden kann sich die Regierung aus Christdemokraten und Rechtsliberalen unter Ministerpräsident Mark Rutte nur halten, weil die rechtspopulistische Freiheitspartei von Geert Wilders sie als drittstärkste Fraktion duldet. "Geert Wilders fordert auf einer Homepage die Niederländer auf, zu notieren, welche Kriminalität von den Osteuropäern verübt wird", beschreibt Florian Hartleb die Strategie des niederländischen Rechtspopulisten. "Damit schürt er ganz dumpfe Ängste."
#video#Gerade die liberale Tradition dieser Länder könnte zum Erstarken der Rechten geführt haben, meint Stefan Seidendorf, Historiker und Leiter der Europaabteilung des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg. Er arbeitet an einer europaweiten Studie zum Rechtspopulismus und meint: "Diese liberale Vision einer sehr universell definierten Bevölkerung hat in den vergangenen Jahren ihre Schwäche gezeigt, weil sie nicht der Realität entsprochen hat." Das sei auch in Frankreich zu sehen, wo man über ein universelles Bürgertum diskutierte, während in den Vorstädten Ghettos entstanden, so Seidendorf.
Während der rechtspopulistische Geert Wilders eine Regierung nur duldet, ging die österreichische FPÖ mit dem damaligen Parteivorsitzenden Jörg Haider im Jahr 2000 sogar eine Koalition mit der konservativen ÖVP ein.
Rechtsruck in Transformationsländern
Auch im Osten Europas erstarken rechte Parteien. Viele Beobachter halten das ebenfalls für ein Phänomen der Modernisierung und Transformation. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe es auch in Westeuropa extremistische Parteien am linken und rechten Rand gegeben, so Stefan Seidendorf: "Es hat eine Generation gedauert, um diese Parteiensysteme zu modernisieren und zu verfestigen und diese extremistischen Versuchungen in der Vergangenheit verschwinden zu lassen." Etwas Ähnliches könnte man bei allen Unterschieden auch in Osteuropa feststellen.
Dass die Transformation auch 20 Jahre nach dem Systemwechsel noch als Argument für das Erstarken rechter Parteien dienen soll, kann Florian Hartleb dagegen nicht nachvollziehen. Es gäbe keinen Zweifel, dass sich die Demokratien in Zentraleuropa wie Tschechien, der Slowakei oder lange auch in Ungarn in Qualität und Stabilität nicht mehr von den westlichen Demokratien unterscheiden würden.
Gerade in Ungarn ist aber derzeit nicht nur der konservative, äußerst Europa-skeptische Ministerpräsident Viktor Orban an der Macht; zu den drei stärksten Parteien – neben Orbans Fidesz-Partei und den Sozialisten - gehört auch die rechtsextreme Jobbik-Partei. Und auch in der Slowakei und Tschechien haben rechtsextreme Parteien in den vergangenen 20 Jahren immer wieder Erfolge erzielt. In Polen ist der rechte Populismus oftmals gemischt mit ultra-katholischen, manchmal antisemitischen Äußerungen. "Diese Staaten haben alle eine eigene Tradition und sind sehr unterschiedlich zu sehen, daher wäre es falsch, sie alle als "Staaten des ehemaligen Ostblocks" gleich zu behandeln," sagt Florian Hartleb vom CES in Brüssel.
Herausforderung an Europa
Die Wirtschaftskrise habe aber durchaus Auswirkungen auf das Erstarken des Rechtspopulismus, meint Historiker Stefan Seidendorf. Die so genannten Modernisierungsverlierer wendeten sich jetzt vermehrt den rechten Parteien zu. Und noch ein Faktor treibe den Rechten Anhänger zu, so Seidendorf: Europa müsse mit einer wachsenden Einwanderung umgehen, habe aber keine gemeinsame europäische Einwanderungspolitik.
Wenn die etablierten Parteien nicht weiterhelfen, suchen die Menschen sich die Antworten auf ihre Fragen bei den extremen Bewegungen, meint er. Das scheint auch der kleinste gemeinsame Nenner zu sein, der für alle europäischen Staaten mit erstarkenden rechten Parteien gilt. Florian Hartleb sieht die Europäische Union, ihre Parteien und Institutionen in der Pflicht: "Politik sollte nicht mehr nur verwaltet werden", sagt Hartleb. Man brauche Visionen. Die EU müsse beantworten, wo Europa 2020 denn stehen soll? "Solche großen Visionen sorgen für Optimismus und können Ängste ausräumen", meint Hartleb.