Becker: "Kino ist mehr als Zuckerwatte"
16. September 2015Der Filmregisseur Wolfgang Becker erntete schon mit seinem Abschlussfilm "Schmetterlinge" an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin internationale Anerkennung. Das Werk erhielt den Student Academy Award als bester Studentenfilm und den Goldenen Leoparden beim Filmfestival von Locarno. 2003 wurde Beckers Kinofilm "Good Bye, Lenin", in dem ein Sohn seiner kranken Mutter vorgaukelt, die DDR exisitiere noch, zum großen Publikumserfolg. Jetzt hat der Regisseur mit seinem damaligen Hauptdarsteller Daniel Brühl einen neuen Film gedreht: "Ich und Kaminski". Darin versucht ein eitler Kunstkritiker, seiner bisher nicht sehr erfolgreichen Karriere mit einer Biographie des alten und blinden Malers Kaminski auf die Sprünge zu helfen. Hans Christoph von Bock hat mit dem Regisseur über den Film und das Filmemachen ganz im Allgemeinen gesprochen.
DW: Sie machen seit 25 Jahren Filme. Andere Regisseure hauen jedes Jahr einen Film raus. Bei Ihnen muss man mitunter lange Jahre warten. Warum nehmen Sie sich soviel Zeit für jedes neue Projekt?
Wolfgang Becker: Ich habe in meinem Leben für alles, woran ich gearbeitet habe, immer lange gebraucht, auch beim Filmemachen. Das muss ich akzeptieren. Es müsste aber nicht ganz so viel Zeit vergehen wie zwischen "Good Bye, Lenin!" und "Ich und Kaminski". Da bin ich selbst überrascht. Nach "Good Bye, Lenin!" war es ja nicht so, dass ich einen Erfolg hatte und das war es dann. Ich bin anderthalb Jahre lang mit dem Film um die Welt gereist. Ich weiß nicht, in wie vielen Ländern der gestartet wurde - und zwar hintereinander weg und nicht wie ein amerikanischer Film, der überall an einem Wochenende startet. Ich habe ungefähr um die 750 Interviews gegeben, und dann kommt man zurück und ist erst mal k.o. Das Wort "Burnout" kannte ich bis dahin nicht.
DW: Zwölf Jahre sind seit Ihrem Publikumshit "Good Bye Lenin!" vergangen. Ihr aktueller Film "Ich und Kaminski" basiert auf dem gleichnamigen Romanbestseller von Daniel Kehlmann. Ab wann war Ihnen klar: Aus diesem Buch muss ich einen Film machen?
Das hat mir sogar Daniel Kehlmann selbst in die Hand gedrückt, und zwar in der Garderobe beim ORF in Wien. Er war Gast in einer Kultursendung, um sein Buch zu promoten. Ich war da mit Daniel Brühl, es war das erste Land, in das wir nach dem Deutschlandstart gefahren sind, um "Good Bye Lenin" zu promoten. Wir saßen dann also bei ein paar Käsehäppchen, und er hat mir das Buch gegeben und ich habe auch angefangen, es zu lesen. Auf der Welttournee habe ich es dann vergessen. Erst Jahre später habe mich dann intensiv damit beschäftigt und mich dann relativ schnell in dieses Projekt verliebt.
DW: Daniel Brühl spielt wieder die Hauptrolle. Beim Publikum ist er eher bekannt als der nette Junge von nebenan - Typ Schwiegersohn. Hier spielt er einen selbstsüchtigen Journalisten, eine ganz unsympathische Figur. Warum haben Sie ihn trotzdem besetzt?
Wir sind über die Jahre Freunde geworden. Ich habe viele andere Seiten von ihm gesehen, ohne sagen zu wollen, er sei ein Unsympath. Er hat auch ganz andere Seiten in sich. Es hat zum Beispiel noch keiner entdeckt, dass man ihn wirklich in einer Screwball Comedy besetzen könnte. Ich glaube, dass sich alle darüber wundern würden, wie gut er da wäre. Mir war von Anfang an klar, dass Daniel diesen Kotzbrocken ganz einfach hinbekommt, aber auch etwas in sich trägt, was ihn als Figur interessant macht. Daniel wollte natürlich von seinem Rollenfach des netten Schwiegersohns, dieses immer freundlichen Menschen, auch mal wegkommen.
DW: Ihr erfolgreichster Film "Good bye Lenin!" wurde mit unzähligen Preisen ausgezeichnet und erreichte eine große internationale Ausstrahlung. Oberflächlich gesehen geht es um den Mauerfall und die Schwierigkeiten der Wiedervereinigung. Was ist für Sie die eigentliche Geschichte?
Mich hat nur ein einziger Aspekt interessiert, nämlich eine kleine Familie in Ost-Berlin, durch deren Wohnzimmer der große Wind der Geschichte weht. Es war ganz wichtig, glaubwürdige Menschen mit tatsächlichen Problemen zu zeigen, die so hätten existieren können - wie zum Beispiel das Schicksal der Mutter, die ins Koma fällt.
Das passiert genau, als sie ihren Sohn auf einer Demonstration gegen den Staat sieht, während sie immer noch auf eine idealistische Weise an das Gute im Sozialismus glaubt. Das haben ja sehr viele Menschen gemacht und machen es ja heute immer noch.
Ich hätte zum Beispiel auch die Geschichte erzählen können von jemandem, der in den Westen geflüchtet ist und seine Familie zurück gelassen hat. Das waren immer die Helden, die dem Sozialismus entflohen sind. Ich glaube, die hatten relativ Schiss in dem Moment, wo die Mauer aufging, dass Leute kommen, die fragen: Warum hast du uns damals alleine gelassen? Das wäre dann eine sehr tragische Geschichte geworden.
DW: Nach einem großen Erfolg zu Hause haben sich schon viele deutsche Regisseure in Hollywood ausprobiert, manche sind dort geblieben, viele sind zurückgekommen. War Hollywood für Sie nie eine Option?
Es hat mich, ehrlich gesagt, nie so gereizt. Ich will ja auch nicht amerikanische Geschichten erzählen, sondern ich will Geschichten von hier erzählen. Die Amerikaner sind nicht an Geschichten von hier interessiert. Die sind interessiert, hier billig ihre Filme zu produzieren, aber sie wollen keine deutschen Geschichten haben und wenn, dann nur solche, die etwas mit dem Nationalsozialismus zu tun haben.
Ansonsten wenn man in die USA oder nach Hollywood kommt, fängt man erstmal in den Niederungen an von "Hotpants 5" oder irgendwelchen Sequels, die man dann dreht. Das hat mich nie interessiert.
DW: Mit dem Produzenten Stefan Arndt und den Regisseuren Dani Levi und Tom Tykwer haben sie 1994 die Firma X-Filme Creative Pool gegründet. Was wollten Sie damals anders machen, was wollten Sie bewirken?
Die Zeit vor 1996 war wirklich so eine Jammerzeit im deutschen Kino. Es ging dem deutschen Film wirklich schlecht, die Markanteile waren sehr niedrig. Es wurden immer die gleichen Geschichten erzählt - mit immer den gleichen Schauspielern. Die Zeit war reif für Veränderungen. Wir trafen uns jeden Monat mit einer Gruppe von Filmemachern. Daraus haben sich dann drei Regisseure und der Produzent Stefan Arndt zusammengefunden, und wir haben gesagt: Lasst uns eine Firma gründen, denn als Firma sind wir mehr als die Summe unserer Einzelteile. Das hat sich dann auch gezeigt im Auftreten gegenüber dem Fernsehen und Förderern. Man konnte nicht so schnell auseinander dividiert werden, diese Vereinzelung war weg.
Wir haben alle eine bestimmte Art von Qualitätskino für uns in Anspruch genommen. Ich glaube, wir machen sehr unterschiedliche Filme, und das ist auch der Grund, warum wir nach so langer Zeit noch zusammen sind - obwohl uns nur kurze Zeit prophezeit wurde. Ich bin niemals neidisch auf die Filme meiner Kollegen, die sind auch nicht neidisch auf meine. Es gibt zwischendurch immer wieder tatkräftige Hilfe. Tom Tykwer hat mir zum Beispiel bei meinem aktuellen Film "Ich und Kaminski" sehr beim Schnitt geholfen.
DW: Zwischen ihrem ersten Film "Schmetterlinge", für den Sie 1986 den Studenten-Oscar erhielten, und ihrem jüngsten Film sind fast 30 Jahre vergangen. Wie war Filmemachen damals, wie ist Filmemachen heute für Sie?
Was ich für mich und das Publikum schaffen möchte, das hat sich eigentlich in dem, wie ich einen Anspruch formuliere, gar nicht verändert. Für mich ist Kino immer in erster Linie Kunst, auch wenn wir mittlerweile in Zeiten leben, wo das kaum noch wahrgenommen wird. Es ist der Versuch, mit dem Publikum zu kommunizieren; nicht nur in dem Sinne, dass man mit einem Film möglichst viel Geld verdienen möchte, was auch schön ist: Aber es geht auch darum, dass der Zuschauer mehr bekommen soll als eine auf zwei Stunden ausgedehnte Achterbahnfahrt oder einen Kirmesbesuch mit etwas Zuckerwatte. Es geht auch darum, dass das, was Kultur, was Kunst ausmacht, uns zum Nachdenken bringt, uns berührt und bereichert.
Das Gespräch führte Hans Christoph von Bock.