Reich auf dem Land, arm in der Stadt?
25. August 2014Deutschland knapp 25 Jahre nach dem Mauerfall: Das Gebiet der ehemaligen DDR hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Viel Geld ist in dieser Zeit in den Osten geflossen, Milliarden von Euro jedes Jahr, für die Infrastruktur, und um finanzschwache Kommunen zu unterstützen. Was hat dieses Geld den Menschen gebracht? Sind die Unterschiede zwischen Ost und West immer noch groß?
Zumindest nicht so groß, wie man meint, sagt Michael Hüther. Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hat am Montag (25.08.2014) eine Studie zum Thema Einkommensarmut in Deutschland herausgegeben. Er kommt zum Schluss, dass man genauer hinsehen muss, was sich Menschen in Deutschland von ihrem Nettoeinkommen tatsächlich kaufen können. So kämen ganz neue Zahlen zustande.
"Armutsbekämpfung muss in der Stadt ansetzen"
In weiten Teilen Ostdeutschlands ist das Leben - auch wegen geringerer Mieten - nicht so teuer wie in Westdeutschland. Das heißt: Auch wenn Menschen im Osten weniger verdienen, könnten sie sich trotzdem mehr leisten. In Deutschland gilt man schon als arm, wenn man weniger als 870 Euro netto im Monat zur Verfügung hat. Im Osten kommt man mit diesem Geld aber besser über die Runden als im Westen. Ein Münchner Single braucht schon 1030 Euro, um sich genau so viel leisten zu können wie ein durchschnittlicher deutscher Bürger. München ist nun einmal eine teure Stadt.
Und genau dort setzt Hüthers Analyse an: Die großen Unterschiede bestehen demnach nicht zwischen Ost und West, sondern zwischen Stadt und Land. "Die Perspektive für Armutsbekämpfungs-Politik liegt in den großen Städten", ist er überzeugt. "Wenn wir die Regionalpolitik nicht auf die großen Städte konzentrieren, bekommen wir in der Tat ein Problem", meint der IW-Chef im DW-Interview.
Auf Risikogruppen konzentrieren
Und das liegt der Studie zufolge auch daran, dass die Risikogruppen in den Städten häufig überproportional vorhanden sind: "Arbeitslose, Alleinerziehende, Familien mit Migrationshintergrund, wo typischerweise das Einkommen geringer ist", auf diese Gruppen müsste sich die deutsche Politik Hüther zufolge konzentrieren. Diese Gruppen bräuchten mehr Unterstützung, um Armut in Deutschland wirksam bekämpfen zu können.
Das würde aber bedeuten, dass der Solidarpakt - der den ostdeutschen Bundesländern noch bis 2019 jährlich mehrere Milliarden Euro Unterstützung garantiert - neu ausgerichtet werden müsste: weg von oft ländlichen Regionen im Osten hin zu Großstädten wie Köln oder städtischen Ballungszentren wie dem Ruhrgebiet.
Das Institut der deutschen Wirtschaft hat ausgerechnet, dass sich das Problem in den Städten in den vergangenen Jahren verschlimmert hat. Stadtbewohner können sich von ihrem Geld demnach im Schnitt immer weniger leisten als Bewohner ländlicher Regionen, wo die Kaufkraft nahezu stabil geblieben ist. Auf dem Land sind laut IW 14 Prozent der Bevölkerung "kaufkraftarm", in den Städten aber 22 Prozent. Besonders schlecht schneiden die Städte Köln, Dortmund und Duisburg, aber unter anderen auch Frankfurt am Main oder Hannover ab.
"Arme nicht gegeneinander ausspielen"
Der Kölner Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge hält die Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft für wenig überraschend. Der Paritätische Wohlfahrtsverband weise in seinen Armutsberichten schon seit Jahren darauf hin, "dass man in München teurer lebt als in einem Dorf Mecklenburg-Vorpommerns. Das ist ein Gemeinplatz. Würde man innerhalb einer Großstadt gucken - im Villenviertel und im sozialen Brennpunkt - dann würde man feststellen, dass die sozialen Gegensätze innerhalb der Großstadt noch viel größer sind als zwischen Stadt und Land."
Butterwegge glaubt nicht, dass das Institut der deutschen Wirtschaft die richtigen Schlüsse aus den beschriebenen Problemen zieht. "Man darf nicht die Armen in Dortmund, in Duisburg und Bremerhaven ausspielen gegen die Armen, die es im Osten eben auch noch immer sehr stark gibt." Im Osten sei das Einkommen einfach weiterhin zu niedrig. Ziel müsse es laut Butterwegge sein, die Löhne überall dort anzuheben, wo sie zu niedrig sind.
Das unternehmernahe Institut der deutschen Wirtschaft - meint Butterwegge - habe daran aber kein Interesse, im Gegenteil. Und tatsächlich: Das IW hält den flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro, der in Deutschland beschlossen wurde, in Ostdeutschland für zu hoch. "Ein Mindestlohn von 7,90 Euro hätte in Ostdeutschland ausgereicht", heißt es in der IW-Studie. "Wenn ich das mache, dann zementiere ich nur die soziale Ungleichheit", meint Politikwissenschaftler Butterwegge. Um Armut zu bekämpfen, müsse man auch über Reichtum sprechen, und wie der Wohlstand in Deutschland gerechter verteilt werden könnte.