Reiches Land mit Armutsrisiko
23. Februar 2016"Deutschland ist das fünftreichste Land dieser Welt", betont Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlstandverbandes. Seit dem Krisenjahr 2009 sei das Bruttoinlandprodukt hierzulande um über eine halbe Billion Euro gestiegen. Doch gleichzeitig würden immer mehr Menschen von diesem Wohlstand abgekoppelt.
Schneider verweist auf den neuen Jahresbericht zur Armut, der sich auf Daten des staatlichen Mikrozensus aus dem Jahr 2014 stützt. Besonders betroffen sind demnach Alleinerziehende, Arbeitslose und Rentner. Auch das gute Wirtschaftsjahr 2014 habe zu keinem nennenswerten Rückgang der Armutsquote in Deutschland geführt. Im Vergleich zu 2013 sei die Armutsquote lediglich um 0,1 Prozent gefallen. Ob der lange Negativtrend gestoppt sei, bleibe offen.
Insgesamt gelten mehr als 15 Prozent der Deutschen als arm. In Europa liegt Deutschland damit statistisch gesehen auf einem Mittelplatz. Im Unterschied zur sogenannten absoluten Armut in vielen anderen Regionen der Welt, also existenziellen Notlagen wie Obdachlosigkeit oder Hunger, geht es dabei um sogenannte "relative Einkommensarmut". Sie betrifft laut Europäischer Union alle Menschen, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. In Deutschland sind dies derzeit beispielsweise für eine alleinerziehende Mutter 1192 Euro.
Besonders schnell ist das Armutsrisiko in den letzten Jahren bei den Rentnern gestiegen, entgegen der verbreiteten Annahme, dass es den Rentnern in Deutschland besser gehe als dem Rest der Bevölkerung. Die Problemregion Nummer Eins ist das Ruhrgebiet mit rund 20 Prozent Armen.
Das Deutsche Kinderhilfswerk kritisiert die derzeitigen Sozialleistungen für Kinder aus armen Familien als unzureichend für eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe. Der Präsident des Hilfswerks, Thomas Krüger, erklärte, die Armutsquote bei Kindern Alleinerziehender, in kinderreichen Familien und Familien mit Migrationshintergrund liege bei 19 Prozent.
Der Bericht mit den Daten von 2014 erfasst nicht die Folgen des hohen Flüchtlingszustromes. Diese würden sich laut Schneider statistisch ohnehin erst zeigen, wenn die Flüchtlinge einen eigenen Haushalt haben und dann vom staatlichen Mikrozensus erfasst werden. Solange die Flüchtlinge in Erstaufnahme- oder anderen Gemeinschaftsunterkünften leben, werden sie von der Statistik nicht erfasst. Schneider betonte, auch ohne Flüchtlinge gebe es eine Million Langzeitarbeitslose und es fehlten bis 2020 jährlich 400 000 zusätzliche Wohnungen.
Der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt, warnte die Regierung vor Fehlentscheidungen in der Asylpolitik, die das Armutsrisiko von Flüchtlingen erhöhen könnten. So würde die vom Bundesinnenministerium vorgeschlagene Auflage für Flüchtlinge, an einem zugewiesenen Wohnsitz zu bleiben, deren Jobsuche behindern. Gleiches gelte für die Verweigerung von Sprachkursen für bestimmte Flüchtlingsgruppen. Auch die Schnellverfahren zur Ablehnung von Asylbewerbern ohne Bleibeperspektive könnten kontraproduktiv sein. Denn oft müssten diese Flüchtlinge dann eine Duldung aus humanitären Gründen erhalten. Doch mit dem Aufenthaltsstatus Duldung sei in Deutschland kein dauerhafter Job zu bekommen.
Laut Paritätischem Wohlfahrtsverband liegt ein Schlüssel zur Bekämpfung der Armut bei der Bundesregierung, die einen rigorosen Kurswechsel in der Steuer- und Finanzpolitik vollziehen müsse: "Armutsbekämpfung heißt immer auch Umverteilung. Daran beißt die Maus keinen Faden ab."