Reisende, Gemüse und Obst warten in Übersee
20. April 2010Die Situation im Luftraum über Deutschland normalisiert sich nach tagelangem Stillstand. Die Deutsche Flugsicherung (DFS) hat für Mittwoch (21.04.2010) weitere Öffnungen angekündigt, nachdem bereits am frühen Morgen an vier Flughäfen in Hamburg, Bremen und Berlin wieder nach Instrumenten geflogen werden durfte. Für den späten Abend sah die Behörde sogar "gute Chancen", dass der komplette Luftraum frei sein wird. In anderen europäischen Ländern ist das Flugverbot mittlerweile aufgehoben worden.
Aber auch dort, wo die Maschinen wieder starten durften, mussten weiterhin viele Flüge abgesagt werden, da die Behörden in Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden ihre Lufträume gesperrt hielten. Fluggesellschaften sprechen bereits jetzt vom "größten Luftfahrt-Chaos seit dem Zweiten Weltkrieg" und schätzen ihre Verluste auf 200 Millionen US-Dollar pro Tag.
Tausende sitzen fest
Betroffen sind auch tausende Reisende in Übersee: In den USA und Lateinamerika, unter anderem in Brasilien, Argentinien, Chile, Peru und der Dominikanischen Republik, verharren sie auf den Flughäfen und in den Hotels der jeweiligen Länder. US-Präsident Barack Obama konnte am Wochenende infolge der Luftverkehrsstörungen nicht an der Trauerfeier für den polnischen Präsidenten Kaczynski teilnehmen. Die Rückreise von Bundeskanzlerin Angela Merkel von Kalifornien nach Berlin geriet zu einer Odyssee per Reisebus über Lissabon, Rom und Bozen. Und der norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg regelte die Regierungsgeschäfte zeitweise per i-pad vom New Yorker Flughafen Newark.
In Mailand, Norditalien, sitzen mehr als 150 brasilianische Besucher der Mailänder Möbelmesse fest und selbst bis nach Peking und Singapur, einem Drehkreuz für Flüge aus Europa, sind die Auswirkungen auf die Hotelbranche zu spüren: "Wir wissen nicht, wo wir bleiben sollen. Die Hotels in Singapur sind ausgebucht", sagte der deutsche Reisende Dirk Kronewald.
Warenfluss gestört
Die Folgen der Flugausfälle werden in den kommenden Tagen aber auch im Supermarkt zu spüren sein: Bei Steaks aus Argentinien, Barsch aus dem Viktoria-See in Afrika oder Kräutern aus Israel kann es knapp werden, weil sie derzeit nicht nach Europa gebracht werden können. Der Frankfurter Flughafen ist Deutschlands größter Umschlagplatz für frischen Fisch - nach Angaben von Lufthansa-Cargo-Sprecher Nils Haupt größer als Hamburg und Bremerhaven zusammen: Jedes Jahr werden dort rund 20.000 Tonnen Fisch umgeschlagen. Meist kommt er mit dem Flugzeug aus Asien, Afrika oder Südamerika und wird dann mit Hilfe von Lastwagen fast in ganz Europa verteilt.
Obst und Gemüse werden dagegen eher selten mit dem Flugzeug nach Deutschland geflogen. Die "Flug-Mango" oder die "Flug-Ananas" gehören zu den Ausnahmen. Das sehe in anderen Ländern aber anders aus, sagt Haupt. So sei Großbritannien wesentlich stärker abhängig vom Import von frischem Obst und Gemüse per Flugzeug.
Kenias Blumenfarmen betroffen
Auch Kenias Blumenfarmer befürchten jetzt Millionenverluste, wie die Zeitung "Sunday Nation" am Sonntag (18.04.2010) berichtete. Seit Sonntag kann auf den Blumenfeldern und in den Treibhäusern nicht mehr geerntet werden, weil die Speicherhallen auf dem Flughafen Nairobi mit welkenden Blumen und Gemüse gefüllt sind. Etwa 20 Prozent der kenianischen Exporteinnahmen stammen aus der Blumenindustrie, die damit sogar den Tourismus als wichtigste Einnahmequelle überholt hat. Etwa 97 Prozent der Frachtflüge mit Blumen gehen in die EU.
Aber auch Flachbildschirme, Handys oder Spielekonsolen gehören zu den Waren, die in der Regel mit dem Flugzeug nach Deutschland kommen. "Ich fürchte aber nicht, dass es morgen keine Handys mehr gibt", sagt Cargo-Sprecher Haupt. Allerdings könnten Großhändler und die Industrie Schwierigkeiten bekommen, wenn ihnen der der Nachschub ausgeht: "Wenn zum Beispiel in einem Unternehmen ein Ersatzteil für 5000 Euro fehlt, kann das schnell einen siebenstelligen Schaden verursachen", so Haupt. Im Maschinenbau, in der Autoindustrie oder auch in der Schifffahrt sprechen Experten von der "Notfall-Logistik" per Flugzeug. Denn andauernd fehlt mal das eine oder andere Ersatzteil und dann müssten ohne Nachschub ganze Produktionsbänder stillgelegt werden. Und gerade die exportlastige deutsche Wirtschaft ist oft auf den Flieger angewiesen.
Seit den Flugausfällen setzt das Frachtzentrum am Frankfurter Flughafen nun auf Lastwagen. Wertfracht und lebende Tiere bleiben dagegen am Flughafen. Das Problem: Immer wieder kamen in den vergangenen Tagen Lastwagen an, die entladen wurden, ohne dass Flugzeuge mit den Waren abheben konnten. Inzwischen nehmen etliche Fluglinien keine Fracht mehr an. So hat die britische Gesellschaft Virgin Atlantic ihren Kunden per E-Mail mitgeteilt, dass die eigene Lagerkapazität in London Heathrow völlig erschöpft sei. Und der Schweizer Logistiker Panalpina hat schon "mit sofortiger Wirkung" die Erhöhung der Luftfrachtraten angekündigt. Die Kapazitäten sind ausgeschöpft, auch in Frankfurt. "Unser Lager ist gerammelt voll", sagt Haupt. Daher habe man zunächst einen Annahmestopp verhängt.
Autorin: Ina Rottscheidt
Redaktion: Oliver Pieper