Schwierige Visite
6. August 2007Es scheint ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt für den afghanischen Präsidenten Hamid Karsai, in die USA zu fliegen und die Entwicklungen in seinem Land mit Präsident Bush an dessen Feriensitz in Camp David zu besprechen. Am Sonntag (5.8.07) traf Karsai zu zweitätigen Gesprächen mit Bush ein. Der Besuch dürfte mehr als bisherige Visiten demonstrieren, wie explosiv die Lage ist und wie sehr nach neuen Mitteln und Wegen gesucht werden muss, um Afghanistan doch noch auf den rechten Weg zu bringen.
Dunkle Wolken über dem Hindukusch
Die beiden Geiselaffären mit 21 entführten Koreanern und einem Deutschen dauern an, belasten die internationalen Beziehungen mit Afghanistan von Tag zu Tag mehr und drohen – etwa bei einem bewaffneten Befreiungsversuch - in einem Blutbad zu enden. Auch die optimistischsten Zweckmeldungen aus Kabul und Washington können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Taliban heute wieder mindestens 40 Prozent des Landes kontrollieren und dass die 36.000 NATO- und 12.000 US-Soldaten weit davon entfernt scheinen, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Außerdem fehlt jeder Beweis für die These, dass Erfolg oder Misserfolg dieses Einsatzes nur von der Truppenstärke abhängen – das heißt, zum Beispiel durch den Kampfeinsatz deutscher Soldaten beeinflusst werden könnte.
Immer wieder zivile Opfer
Darüber hinaus droht die internationale Koalition den Rückhalt unter der afghanischen Bevölkerung zu verlieren; wenn sie ihn nicht bereits verloren hat: Angriffe, bei denen Zivilisten anstatt Taliban getroffen werden, verwischen den Unterschied zwischen den NATO- und US-Truppen von heute und den Sowjets nach 1979. Die immer wieder vorkommende Tötung und Verletzung unschuldiger Zivilisten hat auch längst den Zorn Präsident Karsais provoziert. Die übertriebene Anwendung von Gewalt in dieser Situation und der Mangel an Koordination mit den afghanischen Behörden führten genau zu diesen Verlusten, so das Staatsoberhaupt: "Man bekämpft einen Terroristen doch nicht mit Feldgeschützen aus 37 Kilometer Entfernung."
Die NATO hat zwar beschlossen, künftig mehr Rücksicht auf Zivilisten zu nehmen, Luftangriffe im Süden des Landes haben vergangene Woche aber zu mindestens einhundert Toten geführt. Die Opfer seien sämtlich Taliban, behaupten die Militärs und afghanische Sprecher, Taliban-Kreise sprechen dagegen von toten Zivilisten.
Kaum kompetente Sicherheitskräfte, Korruption und Drogenhandel blühen
Eine Verstärkung der Truppen und auch der Polizei durch afghanische Einheiten hätte längst stattfinden sollen, sie lässt aber weiterhin auf sich warten. Die USA bilden Soldaten und Polizisten aus, auch Deutschland trainiert Polizisten. Im Ernstfall aber ist auf diese Leute wenig Verlass. Daran werden auch die zehn Milliarden Dollar kaum etwas ändern, auf die Washington seine diesjährige Afghanistan-Hilfe für Wiederaufbau, Verwaltung und Sicherheit aufgestockt hat.
In Washington und anderen westlichen Hauptstädten wird längst unverhohlen Kritik an der Regierung Karsais geübt, weil diese nicht in der Lage sei, die Dinge wenigstens teilweise selbst unter Kontrolle zu bringen und weil unter ihr nicht nur die Korruption blüht, sondern auch der Anbau von Drogen im Land. Karzai revanchiert sich, indem er betont, schon immer vor der jetzt erlebten Eskalation gewarnt zu haben. Er habe die Welt "systematisch, regelmäßig, ja täglich davor gewarnt, was sich da in Afghanistan entwickelt."
Festhalten an Karsai trotz Kritik
So unzufrieden man zum Beispiel in Washington aber auch mit der Lage sein mag, auf Karzai will man nicht verzichten. Das Weiße Haus will ihn jetzt sogar für eine neue Kampagne einspannen, in der nach Pakistan nun auch dem Iran direkte Einmischung in Afghanistan nachgesagt wird. Mit Pakistan hat sich Karzai deswegen schon längst überworfen. Ob er nun auch noch die Beziehungen zum Iran belasten will, bleibt abzuwarten. Dringlicher sollte in Camp David zunächst einmal eine Lösung des Geiseldramas in Afghanistan sein.