Reker: "Von der Wortwahl zur Gewalttat"
17. Juni 2016DW: Frau Reker, Sie selbst waren Opfer einer Messerattacke im vergangenen Jahr. Gestern ist die britische Abgeordnete Jo Cox ermordet worden. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie davon hörten?
Henriette Reker: Erstmal bin ich natürlich wirklich bestürzt gewesen schon als ich hörte, dass sie schwer verletzt war: Das ist ein furchtbares Verbrechen. Ich bin dann gestern Abend sehr traurig gewesen, dass sie verstorben ist. Mir ist nochmal bewusst geworden, welches Glück ich gehabt habe, diese Messerattacke zu überleben.
Es gehört zum Berufsbild von Politikern, Kontakt zu den Menschen aufzunehmen. Wird das durch solche Taten schwieriger?
Das wäre fürchterlich! Für mich persönlich ist es nicht schwieriger geworden. Aber ich persönlich vertrete auch die Auffassung, dass man nicht zweimal Opfer einer Gewalttat wird. Es ist noch keiner zweimal Opfer eines Mordanschlags geworden. Aber für Politiker, die da ängstlicher sind, glaube ich schon, dass es da eine größere Hemmschwelle gibt und auch einen größeren Bedarf an Schutz.
Abgesehen von Gewalttaten wie dem Anschlag auf Sie und dem Mord an Jo Cox: Nehmen Aggressionen, auch verbal, gegen Politiker im Alltag zu?
Wir leben aktuell in einem politischen Klima, wo in den so genannten Sozialen Medien, aber auch auf Podiumsdiskussionen oder sonst in der argumentativen Auseinandersetzung eine Wortwahl getroffen wird, die schon eine Entgrenzung ist. Ich bin der Auffassung, von der Wortwahl zu Gewalttat ist es dann nicht mehr weit. Je nach dem, welchen Gemütszustand Menschen haben, können sie sich von dieser Wortwahl aufgefordert fühlen. Man kann bei dem Verbrechen an Jo Cox noch nicht wirklich sagen, was die Motive waren, aber viel deutet darauf hin, dass der Hintergrund ähnlich ist, wie bei der Straftat an mir. Dann wird das richtig gefährlich. Wir tragen alle Verantwortung dafür, dass wir bei der Wortwahl und beim menschlichen Umgang miteinander Grenzen nicht überschreiten.
Sie wurden von einem Rechtsextremisten attackiert. Augenzeugen des Mordes an Jo Cox berichten, der Täter habe "Britain First", den Namen einer rechtsextremen britischen Partei, während der Tat geschrien. Ist das Zufall oder schätzen sie die Gefahr von Rechts als besonders groß ein?
Ich glaube, dass die Gefahr von Rechts größer ist, als jemals zuvor. Deswegen müssen wir auch besonders wachsam sein. Wehret den Anfängen. Auch wegen der Flüchtlingsbewegung kommen wieder Gefühle hoch, die wir ganz und gar verurteilen, und die wir in diesem Land nicht gebrauchen können.
Die Bundesanwaltschaft hat für den Mann, der das Attentat auf Sie verübt hat, lebenslange Haft gefordert. Eine Genugtuung für Sie?
Eine Genugtuung brauche ich in dem Zusammenhang nicht. Ich habe Vertrauen in die Justiz, dass sie gegen den Täter eine gerechte Strafe verhängt. Ich habe auch keine Rachegefühle. Das gibt es bei mir nicht.
Henriette Reker ist Oberbürgermeisterin der Stadt Köln. Vergangenes Jahr wurde sie auf einer Wahlkampfveranstaltung von einem Rechtsextremisten mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt.
Das Interview führte Christoph Ricking.