Rekord aus Sand?
1. September 2016Staunend blinzeln Markus Heinbach und Francisco Fernández hinauf zur sonnengefluteten Turmspitze der wohl höchsten Sandburg der Welt. "Vielleicht müssen wir noch etwas weiter weggehen", schlägt einer von ihnen vor. Tatsächlich: Steht man direkt an der Absperrung, die die rund 14 Meter hohe Skulptur umgibt, ist es in seiner Gesamtheit kaum zu erfassen.
Heinbach und Fernández arbeiten in einem Architektur-Büro in der Duisburger Innenstadt. Gemeinsam mit weiteren Kollegen nutzen sie an diesem Donnerstag ihre Mittagspause, um sich im Landschaftspark Duisburg-Nord das ungewöhnliche Bauwerk anzusehen.
Mit den minutiös herausgearbeiteten Türmen, Burgmauern, Zinnen und Schießscharten erinnert die Sandburg ein wenig an den Mont-Saint-Michel, die weltberühmte Insel in der Normandie, auf deren Spitze eine Benediktiner-Abtei thront. Erst weiter unten geht es etwas frivoler zu: Eine Luftmatratze, eine sonnenbadende Frau im Bikini und andere typische Ornamente, die in irgendeinem Sinne mit Sand und Strand zu tun haben: der Kopf einer Sphinx, eine Schatztruhe, überdimensionale Muscheln und ein Quietscheentchen von etwa 50 Zentimetern Schulterhöhe.
Eine faszinierende Mischung, findet Heinbach: "Der Anblick weckt bei mir sofort Urlaubsgefühle und Spieltrieb. Aber im nächsten Moment ist man total beeindruckt von der Kunstfertigkeit", sagt der Architekt mit offener Ehrfurcht.
Sandburgen als Hauptberuf
Verantwortlich für den riesigen Haufen Sand ist Benno Lindel. Der gelernte Bankbetriebswirt hat das Bauen von Sandburgen zu seinem Beruf gemacht. Die Faszination packte ihn schon Anfang der 80er Jahre, als er in Mexiko sah, welch detaillierte Ornamente Künstler dort aus dem Sand herausarbeiteten. Zehn Jahre später begann er dann, sich der Sache ernsthafter zu widmen. Seit nunmehr 20 Jahren verdient Lindel sein Geld damit, Skulpturen aus Sand zu fertigen: Sambatänzerinnen und Fußballer zur WM in Brasilien, die Sagenwelt der Nibelungen oder das Wiener Rathaus zu den Wiener Musik-Film-Festivals am Strand von Barcelona.
Für letztgenanntes Ensemble brachten Lindel und seine Helfer 200 Tonnen Sand in Form. Das würde er wohl so gerade noch als "Brot-und-Butter-Geschäft" gelten lassen: "Einmal im Jahr haben wir etwas in dieser Größenordnung", sagt er, "aber die meisten Skulpturen sind deutlich kleiner." Für das 1:1-Modell eines VW-Beetle hat er gerade einmal 27 Tonnen Sand verbaut. Die häufigsten Auftraggeber, so Lindel, sind Einkaufszentren.
Weltrekord in Sicht
Auftraggeber und Hauptsponsor der Rekord-Sandburg in Duisburg ist das deutsche Tourismus-Unternehmen Schauinsland-Reisen. Um künftig im Guinness-Buch der Rekorde zu stehen, wurden 2300 Tonnen Sand aus einer Sandgrube im benachbarten Bottrop nach Duisburg gekarrt: "Das sind etwa 100 Lkw-Ladungen", sagt Lindel und wirkt selbst beeindruckt davon: "Das ist auch für mich etwas ganz Außergewöhnliches."
Drei Wochen lang haben 18 Sand-Künstler, "Carver" (engl. für "Schnitzer") genannt, aus zehn verschiedenen Ländern an der Burg gearbeitet. In 60 Zentimeter hohen Schichten wurde der Sand zunächst in Holzringen aufgeschüttet und dann mit Vibrationsmaschinen um ein Drittel verdichtet, bevor die nächste Schicht aufgetragen wurde. Aus drei Kubikmetern wurden also zwei. Vom vollständigen Berg wurde dann der oberste Holzring wieder entfernt und der Sand beschnitzt, bevor der nächste Holzring entfernt wurde.
Eine Woche vor Fertigstellung dann der Schock: Ein Teil der bereits fertigen Burg brach seitlich weg. Aber die Höhe blieb bestehen. Wer es nicht weiß, dem fällt es nicht auf, denn der beschädigte Teil wurde erneut beschnitzt und in eine neue, eben etwas schlankere Form gebracht.
Offiziell ist der Weltrekord noch nicht. Erst am 2. September kommen die Offiziellen, um die exakte Höhe zu messen. 13,97 Meter gilt es zu übertreffen. Lindel gibt sich vorsichtig optimistisch: "Wir haben natürlich selbst schon nachgemessen und gehen davon aus, dass es reicht."
Mitfiebernde Zuschauer
Das hoffen auch die Duisburger, die das Projekt zum Teil fieberhaft verfolgen. Es habe tatsächlich Tränen gegeben, als die Burg zu kollabieren schien, sagt Simone Feier-Leist von Schauinsland-Reisen. Überhaupt sei die Resonanz beachtlich.
"Wir haben davon in der Zeitung gelesen und uns entschlossen, uns das mal anzusehen", sagt Robert Blotschinski, der mit seiner Ehefrau Hannelore aus dem 30 Kilometer entfernten Kempen gekommen ist. Im Vorruhestand habe man ja Zeit für so etwas, sagt er schmunzelnd. Aber an diesem Donnerstagmittag sind durchaus nicht nur Rentner im Landschaftspark Duisburg-Nord zu sehen. Permanent stehen 20 bis 30 Menschen jeden Alters um die Sandburg herum, machen Fotos von sich und der Skulptur oder von beidem gleichzeitig.
Beim Landschaftspark Duisburg-Nord bestätigt man den Eindruck: Fast 142.000 Besucher kamen im August auf das frei begehbare Gelände - gut ein Viertel mehr als im August 2015. "Die Sandburg ist sicher ein ganz großer Faktor dieser tollen Entwicklung", so eine Sprecherin der Parkverwaltung.
Temporäre Kunst
Auch Architekt Markus Heinbach fällt die bunte Mischung der Menschen auf, die sich für die Sandburg interessieren. Vorsichtig formuliert er: "Das sind ja sicher nicht alles Kunstinteressierte hier. Ich denke, dass die Leute in ganz unterschiedlicher Weise ihren Spaß daran haben."
Heinbach selbst wirkt geradezu überrascht von seiner eigenen Begeisterung. Er sehe durchaus künstlerische Momente in der Skulptur, die durch mehrere Spannungsfelder erzeugt würden: "Einerseits diese filigrane Ästhetik, andererseits die schiere Masse an Material, dann wieder die Unbeschwertheit eines Badeurlaubs, aber auch die Melancholie beim Gedanken an die Vergänglichkeit der Bauweise."
Melancholisch wird Benno Lindel beim Gedanken an die Vergänglichkeit nicht: "Das Schöne ist, dass man immer wieder Neues machen kann." Und bis zur offiziellen Messung, da ist er sich sicher, bleibt die Burg stehen: "Das Unwetter letztes Wochenende hat ihr nichts anhaben können. Da wird bis morgen nichts mehr passieren." Weltrekord oder nicht - am 12. September wird die Mega-Sandburg von Duisburg wieder abgetragen.