Rekord-Bußgeld und Auflagen für Microsoft
24. März 2004Die EU-Wettbewerbsbehörde entschied am Mittwoch (24.3.2004) in Brüssel, Microsoft müsse wegen Missbrauchs seiner marktbeherrschenden Stellung bei Computerbetriebssystemen ein Rekordbußgeld von 497 Millionen Euro zahlen. Angesichts der hohen Umsätze und Rücklagen des Unternehmens gilt diese Strafe für weniger bedeutend als die übrigen Auflagen, die die Kommission dem Unternehmen macht. Mit ihnen will die EU-Behörde den Microsoft-Konkurrenten Erleichterungen verschaffen.
Die Kommission entschied, Microsoft müsse innerhalb von 120 Tagen Konkurrenten ermöglichen, ihre Serverprogramme mit den Windows-Betriebssystemen zu verbinden. Innerhalb von 90 Tagen müsse Microsoft zudem auch Windows-Versionen ohne sein Media-Player-Programm zum Abspielen von Musik und Videos anbieten, um andere Anbieter nicht zu benachteiligen. Es wird erwartet, dass Microsoft gegen die Entscheidung klagt.
Aggressive Tricks
Die weltgrößte Softwareschmiede aus Redmond im US-Bundesstaat Washington hat eine lange Tradition, wenn es um aggressive Tricks geht, um Mitbewerber auszuschalten. Firmengründer Bill Gates kämpfte sich mit genialem Marketing und Rücksichtslosigkeit an die Spitze des Marktes. Er schuf ein einzigartiges Monopol bei Betriebssystemen und wurde zum reichsten Mann der Welt. Diese Firmenpolitik brachte ihm viel Kritik und Beschwerden der Konkurrenz bei den nationalen Kartellwächtern in den USA ein.
Raubtier schnappt zu
In einem spektakulären Anti-Trust-Verfahren stand Microsoft um die Jahrtausendwende kurz vor der Zerschlagung in getrennte Firmen. Nach dem Regierungswechsel von Bill Clinton zu George Bush gelang es Microsoft jedoch, sich mit dem US-Justizministerium und einigen Bundesstaaten zu vergleichen. US-Gerichte stellten aber fest, dass Microsoft sein Monopol missbraucht hatte. Bill Gates zog sich aus dem Tagesgeschäft zurück und machte Steve Ballmer zum Chef der Firma.
Vor fünf Jahren gingen auch bei der EU-Kommission in Brüssel Beschwerden von Mitbewerbern ein. Sun Microsystems beklagte sich über den Verdrängungswettbewerb, weil Microsoft immer mehr Anwendungsprogramme wie Internet-Explorer oder Medienabspielprogramme mit seinem Windows-Betriebssystem verquickte. Ähnliche Produkte anderer Hersteller hätten keine Chance mehr. Microsoft sei wie ein Raubtier, das versuche jeden in seiner Nähe zu schnappen.
Kommission ist Kartellwächter
In der Europäischen Union ist die EU-Kommission, seit Anfang der 1990-Jahre der Binnenmarkt geschaffen wurde, für die Kartell- und Wettbewerbsaufsicht zuständig. Mit den USA bestehen entsprechende bilaterale Abkommen zur Zusammenarbeit der Kartellbehörden. Die Mitgliedsstaaten der EU haben dem Wettbewerbskommissar die Aufgaben übertragen, die früher nationale Kartellämter wahrgenommen haben.
In mehreren Verhandlungsrunden hatten EU-Kommissar Mario Monti und Microsoft-Chef Ballmer versucht, eine gütliche Einigung zu finden. Mitte März 2004 holte der als eher vorsichtiger Taktierer bekannte Monti dann zum Paukenschlag aus und verkündete: "Eine Einigung im Fall Microsoft war unmöglich."
Mögliche Schadensersatzklagen
Die Firma wollte eine förmliche Bestrafung durch die EU-Kommission vermeiden, weil diese auch in den USA als Vorlage für kostspielige Schadenersatzklagen dienen kann. Einig waren sich beide Seiten schnell, dass Microsoft in der Vergangenheit sein Monopol unlauter ausgenutzt hat. Microsoft war bereit für den europäischen Markt seine Software Windows XP und den Internet-Explorer zu entkoppeln. Das reichte aber nicht, so Monti: "Wir hatten gute Fortschritte gemacht, um die Probleme aus der Vergangenheit zu lösen, aber es war nicht möglich, Verhaltensregeln für die Zukunft auszuhandeln."
Monti will vor allem erreichen, dass der Software-Riese beim nächsten Betriebssystem mit dem Namen Longhorn darauf verzichtet, Elemente wie 3D-Grafiken oder eine Internet-Suchmaschine zum integralen Bestandteil des Betriebssystems zu machen. Das lehnte Microsoft-Chef Ballmer aber kategorisch ab. Seine Firma könne sich nicht das Recht nehmen lassen, ihre Produkte weiterzuentwickeln. Auch die geforderte Offenlegung des Windows-Quellcodes lehnte Ballmer als Raub an geistigem Eigentum ab.
Präzedenzfall schaffen
Deshalb entschied sich EU-Kommissar Monti für die Konfrontation: "Ich glaube, dass Wettbewerb und Verbrauchern in Europa besser gedient sein wird, wenn wir einen starken Präzedenzfall haben, der den Rahmen für das künftige Verhalten einer Firma mit einer solchen marktbeherrschenden Stellung vorgibt."
Jetzt wird man sich vor den Schranken des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg wieder sehen. Microsoft will dort Klage einreichen.
43 Milliarden in der Kasse
Die Geldbuße kann Microsoft nach Angaben der britischen Zeitung "Financial Times" mit 43 Milliarden Dollar an flüssigen Mitteln locker bezahlen. Gates und seiner Führungsmannschaft geht es eher um das Prinzip. Es geht um die Microsoft-Religion vom unumschränkten Marketing, meinte ein langjähriger Beobachter des Falls.
Das Verfahren vor dem Gerichtshof in Luxemburg kann mehrere Jahre dauern. Bis dahin könnte Microsoft die ursprünglich klagenden Mitbewerber schon längst wirtschaftlich in die Knie gezwungen haben. Angeblich überlegt die Firma den weltgrößten Internet-Service AOL von TimeWarner zu kaufen, um ihn in das neue Longhorn-Betriebssystem zu integrieren.