Glauben in Deutschland
10. August 2012Die Frage, woran die Menschen in Deutschland glauben, ist nicht schnell zu beantworten. Die nach der Religionszugehörigkeit dagegen schon. Dafür reicht ein Blick in die Statistik, die auf Ergebnissen des Religionswissenschaftlichen Medien- und Informationsdienstes (REMID) basiert:
Derart statistisch belegt kann Deutschland also noch immer als christliches Land bezeichnet werden. Allerdings deutet sich mit der hohen Zahl Religionsloser und Nichtgläubiger ein Wandel an. Vor kurzem erst haben Religionssoziologen Ostdeutschland als die religionsloseste Region der Welt ausgemacht.
Christliches Abendland im Wandel
Nicht nur die stetig steigende Zahl von Agnostikern, die die Existenz Gottes weder bestreiten noch bejahen, und Atheisten, die daran glauben, dass es kein höheres Wesen gibt, deutet auf einen Veränderungsprozess hin. So sagten kurz vor Weihnachten 2011 in einer repräsentativen Umfrage noch 63 Prozent der Befragten, sie glaubten an Gott. Auch glauben 59 Prozent, dass Jesus Gottes Sohn ist. Christliche Grundüberzeugungen wie der Glaube an ein Leben nach dem Tod, das teilen 48 Prozent, oder an das Jüngste Gericht, 29 Prozent, werden laut dieser Erhebung des Meinungsforschungsinstituts TNS-Emnid jedoch nicht mehr von der Mehrheit geteilt.
Auch im Ausüben des christlichen Glaubens bröckelt Altgewohntes. So nimmt nur noch eine kleine Minderheit der Kirchenmitglieder am Gemeindeleben teil. Der regelmäßige Gottesdienstbesuch bei Deutschlands volkskirchlichen Protestanten bewegt sich bei mageren 3,6 Prozent, das macht in absoluten Zahlen gerade mal rund 860.000. Etwas besser steht mit knapp 13 Prozent, 3,1 Millionen Kirchgängern, die Katholische Kirche da. Zum Vergleich: Im Jahr 1950 besuchten noch mehr als die Hälfte der Katholiken regelmäßig den Gottesdienst.
Laut Umfrage nehmen außerdem alltägliche persönliche Glaubenspraktiken ab. So wird etwa das Tischgebet immer unpopulärer. Während Mitte der 1960er Jahre noch fast jeder Dritte täglich Gott für das Essen dankte, waren es im Dezember vergangenen Jahres nur noch sechs Prozent. Außerdem: Die Hälfte der Deutschen liest nie in der Heiligen Schrift, der Bibel. Eine konsequente Folge einer abnehmenden christlichen Bindung ist der Austritt aus der Institution Kirche. Mehr als 300.000 Bürger beenden ihre formelle Mitgliedschaft Jahr für Jahr.
Deutschland erstaunlich religiös
Um einen Überblick darüber zu bekommen, was Menschen rund um den Globus glauben, führte die Bertelsmann-Stiftung im Jahr 2008 in 21 Ländern den sogenannten "Religionsmonitor" durch. Diese religionssoziologisch angelegte Repräsentativ-Umfrage sollte ausloten, was den Menschen am Glauben wichtig ist, wodurch sich ihre Religiosität auszeichnet, welche Emotionen sie damit verbinden und welche religiösen Alltagspraktiken sie haben.
Auf Deutschland bezogen gab es Ergebnisse, die so manchen erstaunten. "Wenn man die Gesamtbevölkerung in Deutschland nimmt, dann sind etwa 18 Prozent hochreligiös. 52 Prozent bezeichnen sich als religiös. Fast jeder Dritte, nämlich 28 Prozent bezeichnet sich als nicht religiös oder als Atheist", sagt Kai Unzicker, Projektmanager des Religionsmonitors. Der Anteil der Hochreligiösen verwundert ebenso, wie die Gesamtzahl religiöser Menschen. Jenen, die einen Esoterikboom oder eine Rückkehr zu Naturreligionen kommen sehen, bescheinigt Unzicker: "Neue esoterische Kulte und Naturreligionen sind in Westeuropa so klein, dass sie nicht erfasst werden konnten." Allerdings verpuffen esoterische Einflüsse keineswegs wirkungslos.
Religion wird bunter
Der Soziologe und Erziehungswissenschaftler konstatiert, "dass Religiosität individueller und zugleich vielfältiger wird, dass sie sich ausdifferenziert. Selbst im Rahmen ein und derselben Konfession wird der Glaube viel stärker individuell ausgelebt." Das bedeute, die Gläubigen nähmen sich Anleihen aus anderen Religionen, ließen sich beeinflussen von Esoterik, von anderen spirituellen Praktiken wie Meditation.
Ein Trend, den auch der Journalist Matthias Drobinski bestätigt: "Wir sehen diese Mischformen, dass Menschen zumeist aus einem christlichen Hintergrund kommen und davon noch gewisse Ahnungen haben. Die Bilder, die sie benutzen, sind dann doch die christlichen – und das mischen sie."
Der bei der "Süddeutschen Zeitung" für Religion zuständige Journalist, ist Co-Autor des Buchs "Glaubensrepublik Deutschland. Reisen durch ein religiöses Land". Gemeinsam mit seiner Kollegin Claudia Keller vom "Tagesspiegel" stellt Drobinski Menschen vor aus unterschiedlichen Religionen, Konfessionen und Denominationen - also den unterschiedlichen Glaubensrichtungen innerhalb einer Konfession. Allesamt Menschen von der Basis, Menschen die Religion leben und prägen. Darunter eine Wahrsagerin, Mitglied und Gottesdienstbesucherin in der evangelischen Kirche. "Sie findet Maria, die Mutter Gottes toll. Da ist sie auf einmal sehr katholisch. Sie glaubt aber auch an die Macht ihrer Karten und das Schicksal, sodass sie Menschen die Zukunft vorhersagt. Und das ist, glaube ich, das, was zunimmt: dass die Menschen sich auf einem wie immer gearteten christlichen Hintergrund ihre Religion selber machen." Ein Trend, der den Kirchen aus mancherlei Gründen nicht gefallen kann - besonders aus theologischen.
Kirche wird nicht untergehen
Dass die christlichen Kirchen verschwinden werden, glaubt Drobinski nicht, sondern, "dass sie auf unabsehbare Zeit die größten religiösen Gruppen bleiben werden. Allerdings mit dramatisch weniger Mitliedern als jetzt. Aber gleichzeitig wird es andere Aufbrüche geben." Damit meint er etwa Gläubige, die deutlich sagen: Wenn die Institution Kirche sich nicht reformwillig zeigt, dann muss der christliche Glaube jenseits der Institution innerhalb neuer Formen gelebt werden. "Da gibt es dann auch einen großen Optimismus", unterstreicht Drobinski.
Kai Unzicker prognostiziert für Deutschland ebenfalls: "Religiosität ist weiter vorhanden, aber in einer wenig institutionell gebundenen Form. Im Rest der Welt war sie sowieso nie verschwunden." Was vor allem die evangelische Kirche mit Blick auf die Zukunft ein wenig hoffnungsfroh stimmen kann, ist die Entwicklung der ehrenamtlichen Mitarbeit: Die Zahl der Freiwilligen stieg zwischen 1999 und 2009 um fast die Hälfte auf 2,1 Millionen.