Religionsunterricht in Europa
14. April 2005
"Jeder Religionsunterricht bringt seine eigene Geschichte mit", sagt Peter Schreiner, Präsident der Intereuropäischen Kommission für Kirche und Schule (ICCS). "Man kann zwar Vergleiche anstellen, aber es wird keinen allgemeingültigen europäischen Ansatz geben." Wie der Unterricht organisiert wird, wer Lehrpläne und Unterrichtsmaterialien entwirft, Lehrer ausbildet und einstellt und welche Alternativen diejenigen Schüler haben, die keinen Religionsunterricht besuchen wollen – das regelt jedes Land für sich.
Lernen von Religionen: Konfessioneller Unterricht
"Die religiösen Landkarten sind sehr unterschiedlich in Europa", so Schreiner. Entsprechend unterschiedlich ist auch der Umgang mit Religion in der Schule: In Südeuropa, Mittel- und Osteuropa, Elsass-Lothringen, Finnland, Italien, Österreich und Deutschland ist der Religionsunterricht nach Konfessionen getrennt.
Einige Länder bieten außerdem eine konfessionsübergreifende Alternative an. Das Fach heißt dann "Ethik" oder "Philosophie" oder "Werte und Normen". Schüler in Belgien, Luxemburg, Portugal und Spanien können zum Beispiel von vornherein wählen, ob sie das eine oder andere besuchen wollen.
Deutschland und Österreich
Im deutschen Grundgesetz ist Religion in allen Bundesländern als Pflichtfach verankert. Es gibt allerdings eine Ausnahmeregelung, die so genannte Bremer Klausel: Dort, wo es am 1. Januar 1949 keinen verpflichtenden Religionsunterricht gab, muss auch heute keiner erteilt werden. Bremen und Brandenburg machen davon Gebrauch und bieten statt Konfessionsunterricht "Biblische Geschichte" und "Lebensgestaltung, Ethik, Religionskunde (LER)" an. Berlin ist das einzige Bundesland, in dem nicht der Staat, sondern die evangelischen und katholischen Kirchen den Religionsunterricht verantworten - als freiwilliges Zusatzangebot.
In Österreich wird nicht nur katholischer oder evangelischer Religionsunterricht, sondern auch orthodoxer, neuapostolischer, jüdischer, islamischer oder buddhistischer Religionsunterricht erteilt. Die Details regeln Vereinbarungen, die die Kirchen und Religionsgemeinschaften mit dem Staat ausgehandelt haben. Religion ist Pflichtfach, ein alternatives, nicht-konfessionelles Angebot gibt es seit 1997 als Schulversuch.
Italien und Griechenland
Italien gibt eine "Quasi-Garantie" für katholischen Unterricht an staatlichen Schulen. Der Unterricht ist für Schüler aller Konfessionen offen und seit 1984 freiwillig. Die meisten Schüler gehen aber trotzdem hin. Andere Konfessionen können auf eigene Kosten Unterricht anbieten, wenn Eltern und Schüler das wollen. Oder die Schüler besuchen – ebenfalls freiwillig – das Alternativfach "Bürger- und Menschenrechte". In Griechenland ist die Sachlage andersherum: Die konfessionell-orthodoxe Unterweisung ist Pflicht für alle Schüler, gleich welchen Glaubens. Wer nicht teilnehmen will, darf sich abmelden.
Lernen über Religionen: Religionskunde
In Nordeuropa, England, Wales und Schottland bieten die Schulen so genannten religionskundlichen Unterricht an: Die Schüler lernen etwas über Religionen. "Religionskundlicher Unterricht soll zwar nicht 'wertneutral', aber 'weltanschaulich neutral' sein", definiert Friedrich Schweitzer, Professor an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen, das Konzept. "Unterricht über Religion ist Teil des allgemeinen Bildungsauftrages der Schule, nicht aber 'religöser Unterricht' oder Unterricht in Religion."
In England und Wales entwickeln die örtlichen Schulaufsichtsbehörden die Lehrpläne in Zusammenarbeit mit der Anglikanischen Kirche und Vertretern anderer Religionsgemeinschaften. Schwerpunkt ist das Christentum. Seit 1994 sind Muslime, Hindus, Sikhs, Juden, Buddhisten und die anderen Religionen aufgefordert, Lehrinhalte beizusteuern. Aber: "Auch an sich 'neutrale' Konzepte kommen um eine Werte-Entscheidung nicht herum, wenn sie eine Orientierung geben wollen, was wahr ist und was falsch", gibt Peter Schreiner zu bedenken. "Manche gehen sogar so weit zu sagen: Man kann Werte nicht lehren, man muss sie leben."