Wenn das Geld ausbleibt
16. Oktober 2020Es ist ein Hilferuf. Laut und dennoch geräuschlos. "Wir müssen jetzt auf Mahlzeiten verzichten", schreibt Sunil N. per E-Mail. Der Touristenführer aus Sri Lanka ist verzweifelt. "Wieder verhängt die Regierung eine Ausgangssperre. Wieder breitet sich das Corona-Virus aus. Wir haben kein Geld, um Lebensmittel zu kaufen. Wir sind jetzt Bettler."
Noch vor wenigen Jahren empfing der sprachbegabte schmächtige Touristenführer aus Sri Lanka regelmäßig Besucher aus Deutschland und zeigte ihnen die Insel. Mittlerweile sind er und seine Familie auf Rücküberweisungen von Freunden angewiesen, um zu überleben. Denn Corona hat den bereits durch zahlreiche Krisen angeschlagenen Tourismus in Sri Lanka fast zum Erliegen gebracht.
Die Not wächst, das Geld schrumpft
Ob in Sri Lanka, China, Mexiko, Nigeria oder auf den Philippinen: Ausgerechnet in dem Moment, in dem finanzielle Unterstützung besonders wichtig ist, weil Corona weltweit Hunger und Armut verschärft, verringern sich die Rücküberweisungen weltweit. "Nach dem Lockdown sind die Zahlungen im April und Mai stark eingebrochen", bestätigt eine Weltbank-Sprecherin gegenüber der DW.
Im Juni und Juli seien die Rücküberweisungen zwar wieder etwas angestiegen. Doch die Weltbank ist alles andere als optimistisch: "Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit unter Migranten und der Wirtschaftskrise gehen wir davon aus, dass sich die Überweisungen weiter verringern."
2019 überwiesen Migranten noch mehr als 550 Milliarden Dollar an ihre Familien, über 130 Milliarden Dollar davon kamen aus Europa.
Bereits im April hatte die Weltbank wegen Corona einen Rückgang von rund 20 Prozent bei den Rücküberweisungen prognostiziert. Was das in der Praxis bedeuten würde, beschreibt das Netzwerk Knomad (Global Knowledge Partnership on Migration and Development), das auch vom deutschen Entwicklungsministerium finanziell unterstützt wird.
Mehr Geld als alle ausländischen Entwicklungshilfen
"Die Not der rund 800 Millionen Menschen, die zum Überleben auf die Überweisungen angewiesen sind, wird sich verschärfen. Auch die wirtschaftliche Stabilität in vielen armen Herkunftsländern ist gefährdet", heißt es bei Knomad. Denn durch Rücküberweisungen fließe mehr Geld in diese Länder als durch alle ausländischen Direktinvestitionen und Entwicklungshilfen zusammen.
Deutschland gehört in Europa neben Frankreich, Spanien, Großbritannien, Russland und Italien zu den wichtigsten Ländern für Rücküberweisungen. Nach Angaben der Bundesbank schwoll der Kapitalfluss in den vergangenen fünf Jahren stetig von 3,5 Milliarden auf 5,4 Milliarden Euro an.
Bezeichnend ist, dass von den zehn größten Empfängerländern nur eines nicht zu Europa gehört: Syrien. Marina Manke von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) verweist auf den Mangel aussagekräftiger Zahlen. "Wir verfügen weder über aktuelle Daten zu Rücküberweisungen noch zu den Auswirkungen von COVID-19", erklärt sie. Bis jetzt sei sie auf lokale Stichproben und Schätzungen angewiesen.
Jobkiller Corona
Zum Beispiel aus Moldawien. "Die Hälfte aller von uns befragten Migranten aus Moldawien haben uns bestätigt, dass sie über kein Einkommen mehr verfügen. Sie haben die Zahlungen an ihre Familien eingestellt," sagt Manke.
Die Finanzdienstleister TransferWise, Western Union und MoneyGram wollen zum Umfang ihrer Transfers keine Auskunft geben und verweisen auf ihre Geschäftsberichte. Diese wiederum lassen erkennen, dass die Zahlungsflüsse stark eingebrochen sind.
So verzeichnete Western Union im zweiten Quartal dieses Jahres einen Rückgang seiner Einnahmen in Höhe von 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Bei MoneyGram belief sich der Rückgang laut Quartalsbericht zwischen April und Juni auf rund 13 Prozent.
Migrationsexperten fordern deshalb von den Finanzdienstleistern, ihre Gebühren zu senken, damit von dem mühsam erarbeitetem Geld der Migranten ein Maximum bei der Familie im Herkunftsland ankommt.
Streit um Gebühren
Zurzeit schwanken die Gebühren zwischen drei und sieben Prozent pro Überweisung. Bei einem Gesamtvolumen von 554 Milliarden Dollar im Jahr wie 2019 bedeutet dies, dass zwischen 16 und 38 Milliarden Dollar bei den Finanzdienstleistern bleibt. Eine Summe, die den Familien fehlt und die in den betroffenen Ländern zu entwicklungspolitischen Fortschritten und Investitionsschub beitragen könnte.
Mit der zunehmenden Digitalisierung wächst allerdings der Druck auf die Finanzdienstleister. Angesichts der Corona-Krise investieren diese massiv in digitale Zahlungsmodelle. Außerdem lassen sich die Kosten für eine Überweisung auf zahlreichen Plattformen vergleichen, darunter auch auf der vom deutschen Entwicklungsministerium geförderten Seite www.geldtransfair.de.
Für Sunil N. in Sri Lanka sind diese Debatten über Rücküberweisungen weit weg, auch wenn sie ihn unmittelbar betreffen. Er sorgt sich um den nächsten Tag und sieht schwarz für die Zukunft des Tourismus auf der Insel.
Seit dem 19. März ist der Flughafen in Colombo für internationale Flüge geschlossen. "Unser Land ist gesperrt", schreibt er. "Wir haben nicht einmal mehr Geld für Gesichtsmasken. Es ist sehr schwer, zu überleben."