Reporter Tagebuch: Mongolei
12. Juli 2010Irgendwie kommt mir die Situation komisch vor. Ich bin im Westen der Mongolei. Unterwegs in der Provinz Zawchan. Gestern erst bin ich mit dem Flugzeug aus der Hauptstadt Ulan Bator gelandet. Danach folgte eine Fahrt mit dem Geländewagen. Vier Stunden über Schotterpisten. Eindrucksvoll, was die Autos alles aushalten. Und jetzt sitze ich hier: in einem Nomadenzelt – oder, wie die Mongolen sagen, in einem "Ger". Ich bin zu Besuch bei einer Nomadenfamilie. Will herausbekommen, was erneuerbare Energien für ihr Leben bedeuten.
Ich sitze in der einen Ecke des "Gers" auf einem Stahlbett. In der Hand halte ich eine Tasse Buttertee, eine mongolische Spezialität: Wasser, Milch, Tee, Salz und Butter – für einen Europäer schmeckt das eher gewöhnungsbedürftig. Die Familie sitzt etwa fünf Meter von mir entfernt auf der anderen Seite des Zeltes. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, über diese Distanz ein Gespräch zu führen. Die Frau ist schwanger, drei Kinder sitzen um sie herum. Der Mann in der traditionellen grünen Hirtenkleidung sei ihr Mann, bekomme ich gesagt.
Doch irgendetwas stimmt nicht. Das Gespräch kommt nicht richtig in Gang. Die Antworten wirken unnatürlich. Nach einigen Minuten kommt es dann heraus: das Ganze ist inszeniert. Ich hatte schon vor meiner Ankunft in der Mongolei angekündigt, dass ich eine Nomadenfamilie besuchen möchte. Die mongolischen Gesprächspartner wollten es besonders gut machen und haben mir eine Familie "zusammengestellt”. Nur leider ist die nicht echt.
Der Mann in der grünen Hirtenkleidung lebt eigentlich in einer Kleinstadt und arbeitet beim lokalen Energieversorger. Der echte Ehemann ist in der Hauptstadt Ulan Bator auf Jobsuche. Ein Ehemann, der seine schwangere Frau alleine lässt – das sieht nicht gut aus im deutschen Fernsehen. Deswegen die Inszenierung. Ich breche den Dreh ab. Ich möchte eine echte Familie in ihrem Alltag zeigen und kein Theater filmen. Die Stimmung ist schlecht. Mein Verhalten gilt als unhöflich. Der Reporter kenne sich eben nicht aus, er sei neu in der Mongolei, heißt es.
Ich bin müde. Seit meiner Ankunft habe ich pro Nacht nicht mehr als vier Stunden geschlafen. Ich spüre den Jetlag in den Knochen. Mit der Dolmetscherin steige ich in den Geländewagen. Wir fahren weiter – auf der Suche nach einer anderen, "echten" Familie. Am nächsten Nomadenzelt machen wir halt. Die Familie macht große Augen. Mit Besuch aus Deutschland hat sie nicht gerechnet.
Dann gibt es wieder Buttertee. Rund eine Stunde unterhalte ich mich mit dem Familienoberhaupt: über den ausbleibenden Regen, über das knapper werdende Weideland, über die Sorgen der Familie. Dann stimmt er zu. Wir dürfen drehen. Rund acht Stunden verbringen wir bei der Familie. Reporterglück! Die Interviews, die wir bei Ihnen führen, sind die spannendsten meines gesamten Aufenthalts in der Mongolei.