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Wie Konzerte nach dem Lockdown möglich sind

Elizabeth Grenier
30. Oktober 2020

Mit Testpublikum, Masken und Abstand spielten Wissenschaftler verschiedene Infektionsszenarien durch. Das Ergebnis von RESTART-19 macht der Musikszene Mut.

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In einer großen Halle sitzen in einem halb besetzten Saal Zuschauer, auf der beleuchteten Bühne stehen Rockmusiker (Foto: DW/E. Grenier).
Breit angelegte Studie untersuchte Ansteckungsszenarien bei GroßveranstaltungenBild: DW/E. Grenier

Der Zeitpunkt war denkbar schlecht. Zeitgleich mit der Verkündung des Teil-Lockdowns, der insbesondere größere Menschenansammlung verhindern soll, stellten Mediziner der Universität Halle ihre Studienergebnisse vor und erklärten, unter welchen Voraussetzungen Großveranstaltungen trotz Corona-Pandemie  stattfinden können.

Die Dramaturgie könne nicht besser gewählt sein, sagte hingegen Professor Michael Gekle, Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Halle, zum Auftakt der Pressekonferenz. Laut Gekle würden die Forschungsergebnisse bereits internationale Aufmerksamkeit erregen, mit medialer Berichterstattung in Südkorea, in der BBC oder der in "Washington Post".

Menschen in Schutzmasken stehen an einem Schalter an (Foto: picture-alliance/dpa/H. Schmidt).
Beim Testkonzert galt eine FFP2-Maskenpflicht für alle ProbandenBild: picture-alliance/dpa/H. Schmidt

Für die Studie "RESTART-19" über das Übertragungsrisiko von COVID-19 bei Sport- und Kulturveranstaltungen führten die Forscher im August 2020 in der Leipziger Arena mehrere Konzertsimulationen durch. Fast 2000 Freiwillige nahmen daran teil, die zuvor negativ auf das Coronavirus getestet worden waren. Während der gesamten Veranstaltung mussten die Probanden eine FFP2-Schutzmaske tragen, sowie einen Sender, der während der Veranstaltung die Aufenthaltsorte und die Abstände zu anderen Besuchern fast zentimetergenau maß.

RESTART-19: Kontakterhebung und Computer-Simulation

Mit den Probanden wurden dann drei Szenarien mit unterschiedlichen Einlasskonzepten und Sitzplänen durchgespielt. Bei der ersten Versuchsanordnung saßen alle dicht nebeneinander, so wie es vor der Pandemie üblich war. In den beiden anderen Szenarien sollten die Besucher Abstand halten. Je nach Szenario mussten unterschiedlich viele Plätze zwischen den Konzertbesuchern freibleiben.

Konzert-Experiment in Leipzig

Neben der Messung der engen Kontakte umfasste die Studie auch eine Computersimulation, in der das Belüftungssystem der Arena nachgebildet und so 24 infizierte Besucher in das virtuelle Modell einbezogen werden konnten. 

Dank der Simulation konnten so verschiedene Belüftungsmodelle getestet werden, was es den Wissenschaftlern erlaubte, die Ausbreitung von Aerosolen in einem  "guten"  und in einem "schlechten" Belüftungssystem zu vergleichen. Anschließend konnten diese Daten mit der Anzahl der Aerosol-Kontakte, sprich engen Kontakten während der Veranstaltung, kombiniert werden.

Empfehlung: Keine volle Auslastung, keine Stehkonzerte

Basierend auf den Ergebnissen der Studie gab Stefan Moritz, Leiter der Infektologie der Universitätsmedizin Halle, eine Reihe von Empfehlungen, wie während der Pandemie dennoch Live-Veranstaltungen in Arenen abgehalten werden können. Zum einen raten die Wissenschaftler davon ab, die Hallen bis zur Kapazitätsgrenze zu füllen. Stattdessen solle die Zuschauerzahl begrenzt werden. 

Die weitere Empfehlung lautet: Sitz- statt Stehkonzerte. Ein fester Sitzplatz hätte vor allem den Vorteil, dass er den Abstand zwischen den Konzertbesuchern fixiere, so Moritz. Eine dritte Empfehlung ist, die Zahl der Einlasspunkte zu erhöhen, da es insbesondere während des Wartens zu engen und längeren Kontakten mit anderen komme.

Einsatz von "Hygiene-Stewards"

Zudem plädiert Studienleiter Moritz für eine Maskenpflicht während der gesamten Dauer des Events. In einer Umfrage gab die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer der Studie an, dass sie dazu bereit wäre, eine Stoffmaske zu tragen. Eine FFP2-Maske, die die Atmung stärker einschränkt, stieß auf geringere Akzeptanz.

Laut den Wissenschaftlern wären Stoffmasken tatsächlich ausreichend. Wichtig sei dann aber, so Moritz, dass nur am Sitzplatz gegessen und getrunken werde.

Vollbesetzter Zuschauersaal. Alle tragen weiße FFP2-Masken (Foto: Getty Images/S. Gallup).
Fester Sitzplatz, Maskenpflicht, minimaler Kontakt: Probanden während des TestkonzertesBild: Getty Images/S. Gallup

Veranstalter sollten auch den Einsatz von "Hygiene-Stewards" einplanen, um sicherzustellen, dass die Regeln eingehalten werden. Studienleiter Moritz wies darauf hin, dass sich in dieser Hinsicht Arena-Veranstaltungen von privaten Großveranstaltungen wie Hochzeiten unterscheiden würden. Wichtig bleibt ein adäquates Lüftungssystem. Hier regte Moritz ein Investitionsprogramm von Bund und Ländern an, damit die Belüftungssysteme schnellstmöglich auf den neuesten Stand gebracht werden könnten.

Keine Kultur ist auch keine Lösung

Für Musikfans dürfte nach Umsetzung dieser Anforderungen nur noch wenig von dem elektrisierenden Gemeinschaftserlebnis eines Konzertbesuches, wie sie es aus Vor-Coronazeiten kannten, übrig geblieben sein.

Professor Gekle indes plädiert dafür, auf Basis der neuen Daten mit der Komplexität der gegenwärtigen Situation adäquat umzugehen, anstatt zu improvisieren. Der Mediziner geht davon aus, dass wir noch mehrere Monate mit der Pandemie zu kämpfen haben werden. Schließlich habe das Robert-Koch-Institut doch soeben erklärt, dass ein Impfstoff für die gesamte Bevölkerung nicht vor 2022 zu erwarten sei. 

Bis dahin sollte eines klar sein, meint Gekle: "Keine Kultur ist keine Lösung."

Adaption: Sven Töniges