Restaurierter Sieg der Menschlichkeit
30. Dezember 2004Finstere Zeiten sind über Europa gekommen: Diktator Hynkel ist der Herrscher von Tomania. Der faschistische Tyrann unterdrückt mit seinen Schergen Feldmarschall Herring und Propaganda-Minister Garbitsch erbarmungslos Minderheiten und Andersdenkende. Zusammen mit seinem Verbündeten Benzino Napoloni überfallen seine Truppen das benachbarte Austerlich - der erste Schritt zur erträumten Weltmacht. Aufgrund einer Verwechslung wird aber von den Tomaniern ausgerechnet der Frisör Charlie für Diktator Hynkel gehalten. Schließlich muss Charlie eine große Rede halten und rührt statt, wie erwartet, die Kriegstrommeln die Seele des tomalischen Volkes mit einem Aufruf zu Frieden, Toleranz und Menschlichkeit.
Der 1940 veröffentlichte Film "The Great Dictator" gilt heute als das Meisterwerk des Meisterkomikers Charlie Chaplin. Ihm gelang der Spagat zwischen dem erklärten Wunsch, die Welt solle über Hitler lachen und dem Respekt vor den Opfern Hitlers. Chaplin schuf mit seinem ersten Tonfilm eine "großartige, vernichtende Satire", wie der sowjetische Regiepionier Sergej Eisenstein ("Panzerkreuzer Potemkin") schrieb, ein "Sieg des menschlichen Geistes über die Unmenschlichkeit." Regisseur, Produzent und Hauptdarsteller Chaplin gelang in darstellerischer und filmischer Brillanz eine bis heute unerreichte Bloßstellung Hitlers und des Nationalsozialismus'. Der sorgsam choreographierte Tanz des Diktators mit der Weltkugel gehört zu den besten und bekanntesten Filmszenen überhaupt.
Aufwendige Restaurierung
Dass "Der große Diktator" jetzt wieder über die Kino-Leinwand tanzt, ist einem großen Restaurierungsprojekt zu verdanken: Schon seit einigen Jahren bemüht sich die italienische "Cinetica di Bologna" im Auftrag der "Chaplin
Association" mit großem Aufwand um die Restaurierung der Chaplin-Filme, denen die Jahre doch erheblich zugesetzt hatten. In minutiöser Arbeit werden anhand relativ gut erhaltener Kopien die originalen Kontraste der
Schwarz-Weiß-Filme wiederhergestellt, Kratzer und Beschädigung von der Tonspur digital entfernt.
Die Macher versprechen "bisher nicht gekannte Bild- und Tonqualität".
Filmkritiker halten die Restauration für gelungen - und das Publikum liebt den Film ohnehin. Schon vor zwei Jahren lief die restaurierte Fassung in Frankreich mit 200 Kopien hoch erfolgreich. In Deutschland wird sie zunächst in nur 15 Kinos zu sehen sein. "Aber selbst das hat sich hier in den letzten Jahren noch niemand mit Klassikern getraut", sagt Arne Höhne vom deutschen Filmverleih Piffl. Den "Großen Diktator" wieder in deutsche Kinos zu holen sei durchaus ein unternehmerisches Wagnis, weil Rechte und Kopien einfach teuer - und weil die Deutschen halt nicht die Franzosen sind. Wer weiß, wie sie diesmal den Film aufnehmen.
Denn die Deutschen fanden Chaplins Satire lange nicht besonders komisch. Aus Angst vor Hitler-Sympathisanten rekrutierte Chaplin für die Premiere des Filmes am 15. Oktober 1940 in New York einen schlagkräftigen Saalschutz aus Hafenarbeitern. Dresche bekam der Film aber auch von prominenten deutschen Intellektuellen im amerikanischen Exil - etwa vom Philosophen Theodor Wiesengrund Adorno oder auch Klaus Mann. "Keinen Stil, keinen roten Faden, keine Kraft", attestierte der Dichter dem Film. Er sei "eine lächerliche Farce, ausgeschmückt mit geschwollenen Bekenntnissen."
Lachen verboten
In Nazi-Deutschland konnte man über Chaplin schon gar nicht lachen: Chaplins Filme waren seit 1934 verboten. Nicht zuletzt wegen des falschen Gerüchts um Chaplins angebliche jüdische Wurzeln. Als Nachrichten über den "Großen Diktator" nach Deutschland kamen, versuchte die NS-Presse die Dreharbeiten zu stoppen. Der "Deutsche Filmkurier" forderte ein "Einschreiten" gegen den "Juden Karl Tonstein, besser bekannt unter dem Namen Charlie Chaplin" und dessen "Unverschämtheiten".
Nur eine einzige Kopie des Filmes soll bis 1945 nach Deutschland gelangt sein - und zwar für Hitlers Reichskanzlei auf Geheiß des Propaganda-Ministers Goebbels. Erst 1958 kam der "Große Diktator" in die bundesdeutschen Kinos. In der DDR musste man sogar bis 1980 warten, bis man sich über Hitler mit gebührendem Antifaschismus amüsieren durfte.