Riskantes Leben auf Vanuatu
19. März 2015Einige hatten es kommen sehen: Seit vier Jahren steht Vanuatu auf Platz eins des WorldRiskReport, des Welt-Risikoberichts der am stärksten durch Umweltkatastrophen bedrohten Länder. Der Sturm, der Vanuatu vergangenen Freitag (13.03.2015) verwüstete, zeigt, was das in der Realität bedeutet.
2014 erreichte Vanuatu 36,5 Prozent auf der Skala - und war damit unrühmlicher Spitzenreiter. Weitaus stärker gefährdet als die Philippinen auf Platz zwei mit 28,3 Prozent oder die Nachbarinsel Tonga (28,2). Im Vergleich ist Deutschland mit nur drei Prozent eines der sichersten Länder. Katar, das nach diesem Standard sicherste Land der Welt, erreicht gerade mal 0,8 Prozent. Japan dagegen ist das am stärksten gefährdete Industrieland (13 Prozent). Der WorldRiskIndex wird jährlich vom Institut für Umwelt und Sicherheit der UN Universität veröffentlicht.
Doch warum ist gerade Vanuatu so stark gefährdet?
Naturkatastrophen
Der kleine Inselstaat ist vor keiner Naturkatastrophe gefeit: Wirbelstürme, Tsunamis, Vulkanausbrüche. Vanuatu kennt sie alle. Etwa ein Drittel der insgesamt 250.000 Einwohner sind jährlich durch Erdbeben gefährdet. Aber was bedeutet ein "jährliches Risiko", wenn es um unregelmäßige Erdbeben oder einen steigenden Meeresspiegel geht?
Das "jährliche Risiko" ist ein Durchschnittswert. Betrifft ein Erdbeben eine Million Menschen und tritt ein Mal pro Dekade auf, gefährdet es durchschnittlich 100.000 Menschen jährlich. Das Gleiche gilt für Stürme. Der um einen Meter gestiegene Meeresspiegel wird in Zukunft etwa 30.000 Menschen gefährden.
64 Prozent der Bevölkerung Vanuatus sind so jedes Jahr von Naturkatastrophen bedroht. Auf den Inseln des benachbarten Tongas sind es dagegen nur 55 Prozent. Dabei kommen Vulkanausbrüche und Tsunamis noch nicht einmal in der globalen Berechnung vor. Beide gefährden aber die Inselgruppen.
"Vanuatu ist einzigartig", sagt Professor Jörn Birkmann, der Mann hinter dem WorldRiskIndex. Ein Sturm wie Pam habe in einem kleinen Inselstaat ganz andere Auswirkungen als etwa in Indonesien oder den USA. "Hurrikan Sandy verwüstete die Ostküste, aber andere Teile der USA waren nicht betroffen", so Birkmann. Wenn aber ein Sturm Vanuatu trifft, dann sind alle seine Bewohner betroffen - und er legt auch gleich die Hauptstadt lahm.
Bewältigung
Die wichtigste Frage nach der Katastrophe: "Werden Hilfsgüter und Maßnahmen tatsächlich bei den Menschen ankommen, die sie benötigen?" Die Wahrscheinlichkeit dafür ist gering, denn Vanuatu besitzt laut WorldRiskIndex nur unzureichende Bewältigungsstrategien. Die Regierung hat kaum Möglichkeiten, ihrer Bevölkerung in einer Notsituation zu helfen.
Zum Vergleich: Die Philippinen konnten den Taifun Haiyan gut bewältigen, weil die philippinische Manila von den Auswirkungen verschont blieb. Porta Vila dagegen, die Hauptstadt Vanuatus, wurde genauso stark getroffen wie die umliegenden Inseln. Dadurch konnten Helikopter nicht sofort mit Such- und Rettungsmaßnahmen beginnen.
Störanfälligkeit
Schon in stabilen Zeiten haben gerade einmal 57 Prozent der Bevölkerung Vanuatus Zugang zu sanitären Anlagen und Abwasserbeseitigung. "Das hört sich vielleicht hoch an - immerhin ist es über die Hälfte - aber in westlichen Ländern sind es 98 oder 99 Prozent der Bevölkerung. Vanuatu hat hier schwere Defizite", so Birkmann. Weitere Faktoren erhöhen die Instabilität des Systems: Einer von zehn Bewohnern der Inselgruppe lebt in extremer Armut, acht Prozent der Bevölkerung sind unterernährt.
Anpassung
"Das Rote Kreuz spricht von einem monatelangen Wiederaufbau. Wir schauen sogar noch weiter: Wie sieht es in den nächsten 50 Jahren mit den Entwicklungsmöglichkeiten aus?", fragt Birkmann. Ihm geht es um Faktoren wie Lesekompetenz bei Erwachsenen, Gleichberechtigung der Geschlechter und Lebenserwartung. Einer der wichtigsten Aspekte sei die mögliche Umsiedlung aus Gefahrengebieten. Die meisten Staaten könnten hier Prävention betreiben, Vanuatu dagegen nicht.
"In den USA oder Großbritannien ist es verboten, in Überflutungsgebieten zu siedeln. Aber hier auf Vanuatu gibt es kaum Orte, die nicht von Naturkatastrophen bedroht sind", sagt Birkmann. Meist vermieden Politiker im Anschluss an die Katastrophe, die Schuld für schlechte Prävention und unzureichende Rettungsmaßnahmen auf sich und die Regierung zu nehmen.
WorldRiskIndex
Um auf die 36,5 Prozentpunkte zu kommen, die Vanuatu auf dem WorldRiskIndex erreicht, multiplizierten die Wissenschaftler die Anzahl der potenziell von Umweltkatastrophen bedrohten Bewohner mit der allgemeinen "Verletzlichkeit" - die sich wiederum aus der Störanfälligkeit, fehlenden Bewältigungsstrategien und nicht vorhandenen Anpassungsmöglichkeiten errechnet.
Als Beispiel nennt Birkmann Japan. "Ein Großteil der japanischen Bevölkerung ist von Erdbeben bedroht, aber das Risiko einer Katastrophe ist geringer. Es gibt bestimmte Vorgaben für Gebäude und die Infrastruktur ist besser ausgebaut. Ob ein Naturphänomen zur Katastrophe wird, hängt stark von der Verletzlichkeit ab."
Jörn Birkmann ist Leiter des Instituts für Raumordnung und Entwicklungsplanung der Universität Stuttgart und wissenschaftlicher Kopf des WorldRiskIndex. Gerade ist er von der Weltkonferenz für Katastrophen-Risikoreduzierung zurückgekehrt, die vom 14. bis 18. März im japanischen Sendai stattfand. Dort bat H.E. Baldwin Lonsdale, Präsident Vanuatus, um international Hilfe, nachdem Zyklon "Pam" große Teile des Inselstaats zerstört hatte.