Riss zwischen USA und Europa gekittet
19. März 2004Der 22. Januar 2003, 40. Jahrestag des Élysée-Vertrags: Deutschland und Frankreich feierten pompös ihre freundschaftlichen Beziehungen. Und die Regierungen in Berlin und Paris fanden durch den drohenden Irak-Krieg zu nie dagewesener Geschlossenheit: Zusammen mauerten Jacques Chirac und Gerhard Schröder im UN-Sicherheitsrat gegen einen Resolutions-Entwurf, der einen Militärschlag der USA und ihrer Verbündeten legitimiert hätte. Beide Staatsmänner - Schröder und Chirac - erweckten den Eindruck, als sprächen sie im Namen ganz Europas.
Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: Einen Tag später trat zunächst US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld vor die Mikrofone."Wenn Sie an Europa denken, haben Sie Deutschland und Frankreich vor Augen. Ich denke, das ist das alte Europa. Wenn man sich heute den gesamten europäischen Teil der NATO ansieht, dann verlagert sich der Gravitations-Schwerpunkt nach Osten." Jene Sätze traten in Europa einen Sturm der Gefühle los.
Warnung an das alte Europa
Gab es tatsächlich einen Riss zwischen "altem" und "neuem" Europa? Oder war es nur ein Bluff, mit dem die US-Regierung versuchte, die Europäer zu spalten und Deutschland und Frankreich in der Irak-Frage zu isolieren? Die Antwort kam eine Woche später: In einem offenen Brief meldeten sich die Staats- und Regierungschefs von acht europäischen Staaten zu Wort - angefangen bei Großbritannien über Spanien, Portugal, Italien und Dänemark bis hin zu den mitteleuropäischen Ländern Polen, Tschechien und Ungarn. Unter dem Titel "Europa und Amerika müssen zusammen stehen" riefen sie zur Geschlossenheit mit den USA in der Irak-Frage auf. Die Spaltung Europas in Irak-Kriegs-Gegner und Befürworter der US-Position war damit perfekt.
Neue Allianz mit Russland
Wie tief der Graben zwischen den USA auf der einen und Deutschland und Frankreich auf der anderen Seite war, zeigte sich bei der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang Februar. Rumsfeld machte in seiner Eröffnungsrede klar, dass seine Regierung nicht länger dem Spiel Saddam Husseins mit den UN-Waffeninspekteuren zuschauen wolle. Und Deutschlands Außenminister Joschka Fischer wiederholte, dass die friedlichen Mittel, den Konflikt zu lösen, noch nicht ausgeschöpft seien.
An jenem Wochenende gelang der deutschen Regierung ein Überraschungs-Coup: Sie holte mit Russland eine weitere Veto-Macht im UN-Sicherheitsrat ins Boot der Irak-Kriegs-Gegner. Nach einem Treffen mit Bundeskanzler Schröder sagte der russische Präsident Wladimir Putin in Berlin:"Aktuell sehen wir keine Grundlage für eine Gewalt-Anwendung."
Gemeinsame Pflichten im Irak
In den folgenden Wochen liefen die diplomatischen Bemühungen auf Hochtouren. Aber an den Fronten änderte sich nichts. Als die von Washington geführte "Allianz der Willigen" ohne UN-Mandat am 20. März mit den Angriffen begann, trafen sich die Staats- und Regierungschefs der EU zum Gipfel in Brüssel. Der britische Premier Tony Blair brachte die Stimmung auf den Punkt: "Wir alle wissen um die Differenzen. Aber es hat auch keinen Sinn, diese zu wiederholen und sich daran festzubeißen."
Erst nach Kriegs-Ende näherten sich beide Seiten langsam wieder an. Zum einen, weil auf US-Seite die Erkenntnis wuchs, dass die Vereinten Nationen zur Durchsetzung einer demokratischen Nachkriegs-Ordnung notwendig sind. Zum anderen, weil die einstigen Kriegs-Gegner stets sehr moralisch argumentiert hatten - ihnen liege das Wohlergehen des irakischen Volkes am Herzen - und nun in der Pflicht standen, Hilfe zu leisten. Nicht zuletzt war aber auch das Interesse Deutschlands und Frankreichs groß, die Beziehungen mit Washington zu normalisieren. Mit der Wiederannäherung der Haupt-Kontrahenten in der Irak-Frage schloss sich nach und nach auch der Riss, der den europäischen Kontinent geteilt hatte. Von "altem" und "neuem Europa" ist ein Jahr nach Beginn des Irak-Kriegs so gut wie keine Rede mehr.